Tablette könnte die Geschichte der Huntingtin-Verminderung umschreiben
Forscher von PTC Therapeutics haben eine fantastisch anmutende Veröffentlichung gemacht - sie beschreiben eine Tablette, die zur Huntingtin-Verminderung eingenommen werden soll. Wird sich dadurch alles ändern?
Von Dr Sarah Hernandez und Dr Jeff Carroll 19. Februar 2022 Bearbeitet von Dr Rachel Harding Übersetzt von Rebecca Ursprünglich veröffentlicht am 1. Februar 2022
Die Huntingtin-Verminderung genießt in der Huntington-Forschung viel Aufmerksamkeit und das aus gutem Grund. Es handelt sich um die erste mögliche Behandlungsmethode der Ursache der Huntington-Krankheit. Allerdings zeigen sich Grenzen für die existierenden Huntingtin-Verminderungsmethoden auf: Sie können die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden und verlangen daher invasive Formen der Medikamentengabe über das Nervenwasser oder gar über Gehirnoperationen, sie zeigen mitunter eine unzureichende Verteilung im Gehirn und sorgen auch nicht für die Reduzierung von Huntingtin-Eiweiß in den übrigen Körperregionen außerhalb des Gehirns.
Wissenschaftlern der Firma PTC Therapeutics gelang es kürzlich in einer Veröffentlichung im hochgeachteten Journal Nature Communications eine Reihe von kleinen Molekülen vorzustellen, die in der Lage sind das Huntingtin-Niveau herabzusetzen und einfach in Form einer Tablette eingenommen werden können. Noch dazu wirken sie sowohl im Gehirn als auch im restlichen Körper. Noch vor 5 Jahren hätte man derartige Meldungen für Science Fiction gehalten. Lassen Sie uns genauer betrachten, welche Daten bereits vorliegen und was dies für den Kampf gegen die Huntington-Krankheit bedeutet.
Nadel im Heuhaufen
PTC begann damit eine riesige Bibliothek von Molekülen durchzutesten - um die 300.000 unterschiedliche. Mit ihnen versetzten sie Zellen, die von Huntington-Patienten gewonnen wurden. Die Auswirkung wurde also direkt an menschlichen Zellen erforscht, in mancher Hinsicht kann dies aussagekräftiger sein, als die Untersuchung eines Tiermodells.
Die Nachricht verändern
Von diesen 300.000 zeigten zwei Moleküle in den Versuchen von PTC, dass sie in der Lage waren, die Menge an Huntingtin in menschlichen Zellen zu verringern. In beiden Fällen handelt es sich um sogenannte “Splice-Modulatoren”. Sie sorgen für eine andere Auslegung der Bauanleitung von Huntingtin. Es wurden weitere Experimente mit diesen Molekülen durchgeführt und ein weiteres, ihnen ähnliches Molekül namens HTT-C2 analysiert.
Jedes Gen stellt eine Art Erzählung dar. Sobald eine Gensequenz zu Ende ist, steht dort geschrieben “Ende”, damit die Zelle weiß, hier ist Schluss. Die Splice-Modulatoren sorgen nun dafür, dass das Wort “Ende” bereits vor dem eigentlichen Ende erscheint. So macht die Geschichte keinen Sinn mehr und die Zelle vernichtet die ausgelesene Botschaft. Das beschriebene Eiweiß wird nicht hergestellt. Ähnlich wie man sicherlich ein Buch wegwerfen würde, dessen Inhalt lautet “Es war einmal. Ende.”
Auswählen des Huntington-Gens
Ein Nachteil der Splice-Modulatoren im Gegensatz zu anderen Ansätzen ist deren Eigenschaft unspezifisch zu sein. Der Wirkstoff HTT-C2 kann neben dem Huntington-Gen auch das “Ende” anderer Gene beim Auslesen verschieben. HTT-C2 scheint allerdings wenigstens zum größten Teil das Huntington-Gen anzusteuern, wenn es in geringen Dosen verabreicht wird. In Untersuchungen aller Gene der Zelle nach der Behandlung mit HTT-C2 konnten keine weitverteilten Auswirkungen auf die anderen Gene beobachtet werden, selbst wenn die Dosierung von HTT-C2 höher war, als sie jemals in der Anwendung sein würde. Die Selektivität von HTT-C2 scheint also entgegen von Befürchtungen ausreichend zu sein.
Die Wirkung ist anpassbar und umkehrbar
Soweit zu den Experimenten an Zellen in der Petrischale. Was passiert aber, wenn HTT-C2 von lebenden Organismen eingenommen wird? Wird man die gleichen Effekte beobachten? Wird es in der Lage sein, das Huntingtin-Level im Gehirn zu senken? Um diese Fragen zu beantworten, haben sich die Forscher zunächst mit Huntington-Mäusen beschäftigt.
„Dieser neue Einsatz, der Huntingtin-Verminderung durch das Einnehmen einer Tablette erreichen will, könnte die Situation insbesondere für Huntington-Patienten, die skeptisch gegenüber invasiveren Ansätzen sind, völlig verändern. “
Die Mäuse bekamen HTT-C2 jeden Tag zu fressen. Immerhin mussten sie also weder eine Lumbalpunktion erhalten, noch eine Operation des Gehirns durchleiden.
Ermutigend ist, je mehr HTT-C2 die Mäuse fraßen, desto stärker wurde Huntingtin verringert. Das ist eine gute Nachricht, denn es bedeutet, dass man die Dosis je nach Bedarf anpassen kann. Es ist nämlich noch nicht bekannt, wie stark die Menge an Huntingtin bei Betroffenen tatächlich reduziert werden sollte, um die gewünschten positiven Effekte zu erhalten und gleichzeitig mögliche Schäden auszuschließen.
Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass die Wirkung von HTT-C2 recht schnell umkehrbar ist. Bereits nach 10 Tagen der Beendigung der Einnahme, pendelte sich die Huntingtin-Menge wieder auf das Niveau vor Beginn der Behandlung ein. Mit anderen Worten wird das Medikament schnell wieder aus dem Körper “ausgewaschen”. Falls man bei der späteren Anwendung also einmal feststellen sollte, dass die Gabe von HTT-C2 unerwünschte Nebenwirkungen hat, kann man sich sicher sein, dass nach dem Absetzen des Medikamentes, der Wirkstoff den Körper schnell wieder verlässt, ohne bleibende Schäden zu hinterlassen.
Weniger Huntingtin in Gehirn und Körper
HTT-C2 wirkt auf beide Versionen, die mutierte und die wilde Variante des Huntingtin-Eiweißes. Anders also, als allelspezifische Ansätze wie, z. B. der von Wave Life Sciences. Die wilde Form erfüllt gewünschte Aufgaben in der Zelle, daher ist es wichtig, genau nachzuverfolgen, in wie weit die Konzentration des Eiweißes verringert wird.
Als die Forscher sich Gehirne von Huntington-Mäusen, die HTT-C2 eingenommen hatten, ansahen, zeigte sich dort eine in etwa halbierte Menge von Huntingtin im Vergleich zu unbehandelten Huntington-Mäusen. Auch in den Hirnarealen, die stark von der Huntington-Krankheit beeinträchtigt werden, wurde diese Reduktion beobachtet.
Huntingtin wird in jeder Zelle des Körpers hergestellt, nicht nur im Gehirn. Die auffälligsten Symptome der Huntington-Krankheit, wie motorische oder kognitive Einschränkungen, entstehen durch Veränderungen im Gehirn. Allerdings gibt es auch negative Auswirkungen auf weitere Körperorgane und auf Herz und Muskeln. Man geht daher davon aus, dass es nützlich sein könnte, wenn die Huntingtin-Menge in allen Körperregionen, nicht nur im Gehirn, reduziert wird.
Tatsächlich konnten die Forscher nach dem Einsatz von HTT-C2 eine Verringerung von 90% in Bereichen außerhalb des Gehirns feststellen. Aus Sicherheitsgründen möchte man eine derartig starke Reduzierung aber nicht erreichen, sodass das Medikament noch abgewandelt wurde, bis man schließlich sowohl im Gehirn als auch im restlichen Körper Werte um 50% erreichen konnte.
Wie geht es mit Splice-Modulatoren bei der Huntington-Krankheit weiter?
Splice-Modulatoren sind ein interessanter neuer Ansatz für die Huntingtin-Verminderung. Ermutigenderweise hat auch bereits ein ähnlicher Wirkstoff namens Risdiplam eine Zulassung von der FDA erhalten und wird schon eingesetzt um eine andere neurodegenerative Erkrankung, die spinale Muskelatrophie, zu behandeln. Dies stärkt die Hoffnung, dass eine ähnliche Behandlung auch bei der Huntington-Krankheit möglich sein könnte.
„Splice-Modulatoren wie HTT-C2 aus dieser Veröffentlichung oder PTC-518 aus PTC’s laufendem Programm scheinen alle Anforderungen zu erfüllen: sie Senken Huntingtin sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gehirns ab, sie können einfach geschluckt werden, sie überwinden die Blut-Hirnschranke und wirken speziell auf Huntingtin. “
Während HTT-C2 für diese Veröffentlichung verwendet wurde, um das Wirkkonzept zu prüfen, will PTC nun mit einem anderen Medikament weitermachen. Es trägt den Namen PTC-518. Die Phase-I-Studie mit menschlichen Teilnehmern läuft gerade noch. Bisher konnten keine Sicherheitsbedenken festgestellt werden. Weiterhin wurde bereits eine dosisabhängige Verminderung von Huntingtin festgestellt. Die Phase-II-Studie soll Ende 2022 starten.