Ein Löffel Branaplam sorgt für niedrigere Huntingtin-Werte
Branaplam wurde ursprünglich gegen Spinale Muskelatrophie (SMA) entwickelt, aber ein neues Papier zeigt dessen potentielle Wirksamkeit gegen Huntington. Es kann einfach geschluckt werden. Die klinische Studie VIBRANT-HD hat bereits begonnen.
Von Dr Rachel Harding 19. März 2022 Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Rebecca Ursprünglich veröffentlicht am 16. März 2022
Wissenschaftler von Novartis und dem Kinderkrankenhaus von Philadelphia haben kürzlich in einer Veröffentlichung dargelegt, wie das Medikament Branaplam, das ursprünglich für die neurologische Erkrankung Spinale Muskelatrophie (SMA) entwickelt wurde, umfunktioniert werden könnte, um die Huntington-Krankheit zu behandeln. Branaplam kann die Menge an Huntingtin-Eiweiß herabsenken und wird nun in einer neuen klinischen Studie namens VIBRANT-HD untersucht.
Huntingtin-Verminderung als beliebter Forschungsansatz
Trotz Rückschlägen bei einigen klinischen Studien, sind sich viele Experten einig, dass die Huntingtin-Verminderung eine attraktive Strategie zur Behandlung von Huntington bleibt. Jeder Huntington-Patient trägt ein verlängertes Huntington-Gen in sich, dass zur Produktion eines verlängerten Huntingtin-Eiweißes führt. Dieses Protein scheint giftig zu sein und daher versucht die Forschung seine Menge in Körper und Gehirn zu reduzieren.
Einge Firmen erproben Medikamente zur Huntingtin-Verminderung bereits an Patienten, dazu gehören Roche, Wave Life Sciences und uniQure. Jeder ihrer Ansätze ist etwas anders, reduziert entweder nur die mutierte Form des Huntingtins oder sowohl die mutierte als auch die gewöhnliche Form. Bei diesen schon weiter vorangeschrittenen Methoden können sich die eingesetzten Wirkstoffe allerdings nicht im ganzen Körper verteilen, da sie bisher nur gezielt ins Nervenwasser oder direkt ins Gehirn gegeben werden. Damit erreichen sie zwar den am stärksten beeinträchtigten Bereich, stellen aber eine große Belastung für Patienten und Beteiligte dar und können nicht zur Heilung des gesamten Körpers führen. Zudem sind sie sehr teuer. Unter diesen Voraussetzungen handelt es sich damit nicht um Methoden, die leicht weltweit eingesetzt werden können, denn der Zugang zu medizinischer Versorgung wie auch die finanzielle Situation vieler Menschen werden das nicht zulassen.
Neue Anwendung eines SMA-Medikamentes zur Behandlung von Huntington
Bei so genannten “kleinen Molekülen” handelt es sich um ein beliebtes Forschungsgebiet zur Behandlung von Erkrankungen des Gehirns. Solche Wirkstoffe können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und daher beispielsweise in Form einer Tablette oder eines Sirups eingenommen werden. Belastende Eingriffe können also für die Patienten vermieden werden. Lange Zeit war es in der Huntington-Gemeinschaft kaum vorstellbar, dass es jemals ein kleines Molekül geben würde, dass zur Huntingtin-Verminderung eingesetzt werden kann. Bis nun zwei Firmen unabhängig voneinander mit genau solchen Lösungen an die Öffentlichkeit getreten sind. Es handelt sich um ähnliche Substanzen, die von den Firmen Novartis und PTC Therapeutics entwickelt wurden. Kürzlich berichteten wir schon über die Entwicklungen bei PTC Therapeutics hier auf HD Buzz. Und jetzt gibt es Neues zum Medikament von Novartis, namens Branaplam.
Branaplam wirkt auf die Prozesse in unseren Zellen ein, die genetische Botschaften verarbeiten. Genauer auf den Prozessierungsschritt, der in der Fachsprache Spleißen (Englisch: splicing) genannt wird. Jede genetische Nachricht kann man sich wie ein Geschichtenbuch vorstellen. Am Ende der Geschichte steht das genetische Äquivalent von „das Ende“, um der Zelle mitzuteilen, dass die Sequenz für diese Nachricht vollständig ist. Branaplam kürzt das Geschichtenbuch nun zusammen und sorgt dafür, dass plötzlich “das Ende” da steht, obwohl die Geschichte noch keinen Sinn ergibt. Die Zelle erkennt das und zerstört die Nachricht, d. h. sie stellt das zugehörige Protein auch nicht her.
„Lange Zeit war es in der Huntington-Gemeinschaft kaum vorstellbar, dass es jemals ein kleines Molekül geben würde, dass zur Huntingtin-Verminderung eingesetzt werden kann. Bis nun zwei Firmen unabhängig voneinander genau das erreicht haben! “
Eigentlich wurde Branaplam für die tödliche Kinderkrankheit SMA entwickelt, da es auch die Konzentration des Proteins SMN2 herabsenkt. Forscher stellten eher zufällig fest, dass es die gleiche Wirkung auf Huntingtin hat. In der neuen Veröffentlichung werden weitere Details dazu erläutert.
Wie senkt Branaplam das Huntingtin-Niveau?
Als erstes behandelten die Forscher Zellkulturen in der Petrischale mit Branaplam und schauten sich an, wie die genetisch Botschaften in den Zellen verändert wurden. Sie fanden heraus, dass ein bestimmter Teil der Huntingtin-Botschaft namens Pseudoexon normalerweise beim Spleißen einfach rausgeschnitten wird. Branaplam verursachte stattdessen, dass dieser Teil erhalten blieb. Dadurch wurde die Botschaft als Abfall identifiziert und von der Zelle abgebaut. Wenn die Zellen anschließend nicht mehr mit Branaplam behandelt wurden, konnte der Effekt rückgängig gemacht werden und die Huntingtin-Boten-Menge pendelte sich wieder auf Normalniveau ein.
Soviel zur Huntington-Botschaft. Wie sah es aber mit dem Huntingtin-Eiweiß selbst aus? Die Forscher maßen die Menge an Huntingtin bei verschiedenen Dosen von Branaplam und konnten eine dosisabhängige Verminderung feststellen. Im nächsten Schritt wiederholten sie ihre Experimente an Zellkulturen, die von Huntington-Patienten stammten. Auch hier konnten die Ergebnisse reproduziert werden.
Erkenntnisse aus der Forschung an Branaplam in Huntington-Tiermodellen und bei SMA-Patienten
Auch bei Huntington-Mäusen erforschte die Gruppe die Wirkung von Branaplam. Die Mäuse fraßen unterschiedliche Mengen Branaplam und anschließend wurde die Huntingtin-Konzentration in verschiedenen Hirnarealen gemessen. In vier verschiedenen Bereichen konnten sie zeigen, dass die Huntington-Nachricht mit Pseudoexon dosisabhängig zunahm. Gleichzeitig nahm die Menge an Huntingtin-Eiweiß entsprechend ab. Als die Forscher aufhörten, den Mäusen Branaplam zum Fressen zu geben, stellten sich wieder die ursprünglichen Gleichgewichte ein.
Was nun für die Wissenschaftler bei der ganzen Übung entscheidend war, war die Frage, ob sich durch die Huntingtin-Verminderung auch die Symptome der Huntington-Mäuse verbessern ließen. Sie testeten die Bewegungen der behandelten Mäuse und verglichen sie mit Huntington-Mäusen, die kein Medikament erhalten hatten und mit ganz gewöhnlichen Labormäusen. Im Vergleich sagen die Wissenschaftler, bewegten sich die behandelten Huntington-Mäuse eher so wie ganz gewöhnliche Labormäuse. Allerdings liegen hierzu recht wenige Daten vor.
Auch das Blut von SMA-Patienten konnten die Wissenschaftler auf die Konzentration von Huntingtin hin untersuchen. Aufgrund ihrer Studien zu SMA hatten sie Blutproben von Patienten, die über zwei Jahre hinweg wöchentlich je eine Dosis Branaplam erhalten hatten. Nach mehr als 900 Tagen konnte ein nachhaltig niedrigeres Niveau an Huntingtin in den Blutproben festgestellt werden, eine Absenkung um etwa 40%. Novartis ist der Meinung, dass sich so zeigen lässt, dass das Medikament den gewünschten Effekt auch über eine lange Zeit hinweg hat.
„Der nächste Schritt für Branaplam ist eine Phase-IIb-Studie namens VIBRANT-HD. Dies wird das erste Mal sein, dass Branaplam bei Erwachsenen mit Huntington getestet wird. “
Was kommt als Nächstes für Branaplam?
Wir haben auf dem letzten CHDI-Therapeutics-Treffen von Novartis-Wissenschaftlern Neuigkeiten über ihr Branaplam-Programm gehört. Dr. Beth Borowsky stellte Details einer jetzt abgeschlossenen Phase-I-Studie vor, in der das Medikament zum ersten Mal an Erwachsenen getestet wurde, um eine sichere Menge und Häufigkeit der Dosierung herauszufinden. Da Branaplam ursprünglich zur Behandlung von SMA bei Säuglingen entwickelt wurde, ist die Ermittlung einer sicheren Dosis für erwachsene Patienten ein wichtiger erster Schritt.
Der nächste Schritt für Branaplam ist eine Phase-IIb-Studie namens VIBRANT-HD. Dies wird das erste Mal sein, dass Branaplam bei Erwachsenen mit Huntington getestet wird. Die Studie soll herausfinden, welche Dosis des Medikaments verabreicht werden muss, um Huntingtin zu senken. Branaplam wird wie Hustensaft in einer Flüssigkeit verabreicht, die die Teilnehmer der Studie einmal pro Woche trinken. Verschiedene Teilnehmergruppen erhalten unterschiedliche Branaplam-Dosen. Viele verschiedene klinische Daten werden von den Teilnehmern der Studie gesammelt, einschließlich der Werte verschiedener Biomarker wie Huntingtin und Neurofilament. Die Rekrutierung für diese Studie ist im Gange und wir werden hoffentlich bald Neuigkeiten über den Verlauf erfahren.