Von Dr Sarah Hernandez Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Rebecca

Eine neue Veröffentlichung über winzige 3D-Gehirnmodelle bestehend aus menschlichen Zellen zeigt, dass die Mutation die zur Huntington-Krankheit führt, frühe Abweichungen bei der Entwicklung des Gehirns hervorrufen kann. Dennoch steht fest, dass Huntington-Patienten vollständig ausgebildete Gehirnzellen entwickeln, die die normalen Aufgaben ausführen und das in den meisten Fällen über Jahrzehnte hinweg. Wir wollen daher die Erkenntnisse in einen Zusammenhang stellen und genauer verstehen, was diese Änderungen der Hirnentwicklung, die an menschlichen Zellen in der Petrischale entdeckt wurden, für Huntington-Patienten bedeuten könnten.

An menschliche Hirnzellen herankommen - ohne Hirnproben zu entnehmen

Auch wenn die Huntington-Krankheit allein beim Menschen auftritt, haben die meisten Organismen eine ähnliche Version des Gens, dessen Mutation die Krankheit auslöst. Wir nennen es kurz Htt. Eine Menge an Organismen kann daher verwendet werden, um die Krankheit zu erforschen und jedes Model kann über unterschiedliche Aspekte der Wirkweise der Krankheit Informationen liefern. Beispielsweise können Wissenschaftler zum Nachweis der Wirksamkeit eines Medikaments Fruchtfliegen oder Würmer zu Rate ziehen.

Jeder Mensch hat einzigartige Eigenschaften in seiner DNA. Indem Forscher spezielle Zellen verwenden, die sich durch nichts unterscheiden außer durch die Anzahl an CAG-Wiederholungen auf dem Huntington-Gen, können sie sicher sein, dass jede beobachtete Veränderung auf die Huntington-Krankheit zurückzuführen ist.
Jeder Mensch hat einzigartige Eigenschaften in seiner DNA. Indem Forscher spezielle Zellen verwenden, die sich durch nichts unterscheiden außer durch die Anzahl an CAG-Wiederholungen auf dem Huntington-Gen, können sie sicher sein, dass jede beobachtete Veränderung auf die Huntington-Krankheit zurückzuführen ist.

Während siche Fliegen und Würmer durchaus stark vom menschlichen Organismus unterscheiden, haben sie für die Wissenschaft den Vorteil einer sehr geringen Lebensdauer (bei Fruchtfliegen sind es etwa 14 Tage), sodass man schnell Ergebnisse erhält. Wenn sie herausfinden wollen, was in einem etwas komplexeren Gehirn geschieht, untersuchen Forscher oft Mäuse. Aber um tatsächlich die Auswirkungen auf das menschliche Gehirn zu testen, müssen sie zwangsläufig Untersuchungen am Menschen durchführen - oder zumindest an menschlichen Zellen.

Im Jahr 2006 haben zwei Wissenschaftler unabhängig voneinander gezeigt, dass der Entstehungsprozess von Hautzellen umgekehrt werden kann und sie in jede beliebige andere Zelle des Körpers umgewandelt werden können. Später sind auch bereits Zellen aus dem Blut dafür genutzt worden. Solche künstlich veränderten Zellen werden induzierte pluripotente Stammzellen - kurz “iPS-Zellen” - genannt.

Für die Forschung an der Huntington-Krankheit können Wissenschaftler die iPS-Zellen in Gehirnzellen, z. B. Neuronen umwandeln. Sie können sogar Haut- oder Blutzellen eines Huntington-Patienten verwenden und haben damit eine Möglichkeit dessen Neuronen zu untersuchen ohne Proben aus seinem Hirn zu entnehmen. Das ist nicht nur ein erstaunlicher wissenschaftlicher Fortschritt sondern auch eine ganz wunderbare Botschaft an die Patienten, falls sie an ihrem Gehirn hängen sollten!

Gewöhnlich werden solche Zellen in einer flachen Petrischale herangezogen, doch kürzlich gelang es Forschern, die iPS-Zellen dazu zu bringen, in dreidimensionalen Kugeln zu wachsen - das ähnelt dann einem Gehirn im frühen Entwicklungsstadium. Man spricht bei diesen 3D-Strukturen von Gehirn-Organoiden/zerebral Organoiden und verwendet sie als winzige Gehirnmodelle.

Anhand der Organoide kann erforscht werden, wie die Zellen sich in der Wachstumsphase anordnen und Aufschluss über sehr frühe Ereignisse in der Entwicklung des Gehirns geben. Doch während diese winzigen, hirnähnlichen Strukturen sich in ihrem Bildungsprozess ähnlich dem menschlichen Gehirn verhalten, handelt es sich dennoch nicht um eine funktionierende Nachbildung und sie haben nicht die Fähigkeit kognitive Funktionen auszuführen.

In einer neuen Studie an Gehirn-Organoiden wurde die Auswirkung der Huntington-Mutation auf deren Entwicklungsprozess untersucht. Dazu wurden vier verschiedene Zelllinien verwendet, die völlig identisch sind, bis auf einen Unterschied: das mutierte Huntington-Gen.

Sie sind ein wunderschöner und einzigartiger Schneekristall

In einer neuen Studie an Gehirn-Organoiden wurde die Auswirkung der Huntington-Mutation auf deren Entwicklungsprozess untersucht. Dazu wurden vier verschiedene Zelllinien verwendet, die völlig identisch sind, bis auf einen Unterschied: das mutierte Huntington-Gen. Halt! Wie können vier verschiedene Zelllinien identisch sein und trotzdem verschieden?

Man stelle sich Menschen wie Schneekristalle vor: jeder Mensch ist einzigartig auf seine Weise. Nicht nur aufgrund äußerlicher Unterschiede wie Haarfarbe oder Augenform, sondern auch auf genetischer Ebene. Jede/r hat einen leicht abweichenden Aufbau im Code seiner/ihrer DNA, der uns verschieden macht. Während zwei Menschen beispielsweise den Gencode für die Ausbildung von Händen haben, könnte einer von ihnen lange, dünne und der andere kurze, dicke Finger haben.

Wenn Forscher Zellen von zwei Menschen verwenden, einem mit und einem ohne die Huntington-Krankheit, wird man bei diesen Zellen nicht nur eine unterschiedliche Zahl von CAG-Wiederholungen im Huntington-Gen vorfinden, sondern auch all die anderen genetischen Unterschiede, die die beiden Personen zu einzigartigen Individuen machen! Das kann es unmöglich machen, Ergebnisse von Studien zu interpretieren, denn die Wissenschaftler können dann nie sicher sein, ob sich unterschiedliche Eigenschaften tatsächlich aus der Huntington-Krankheit oder aus anderen genetischen Unterschieden ergeben.

Zurück zur vorliegenden Studie: um Fehlinterpretationen zu vermeiden, wurde eine Reihe von Zelllinien verwendet, die aus einer einzigen Zelllinie gewonnen wurden. Der einzige Unterschied von Linie zu Linie ist eine unterschiedliche Anzahl an CAG-Wiederholungen des Huntington-Gens.

Kürzliche Fortschritte ermöglichen es, Neuronenstrukturen dreidimensional zu züchten. Es entsteht ein Minigehirn. In dieser Studie wurden an solchen Minigehirnen mit der juvenilen Form der Huntington-Krankheit (rechts) geringere und kleinere interne Strukturen festgestellt, hier pink eingefärbt, als bei Minigehirnen ohne die Huntington-Genmutation (links).
Kürzliche Fortschritte ermöglichen es, Neuronenstrukturen dreidimensional zu züchten. Es entsteht ein Minigehirn. In dieser Studie wurden an solchen Minigehirnen mit der juvenilen Form der Huntington-Krankheit (rechts) geringere und kleinere interne Strukturen festgestellt, hier pink eingefärbt, als bei Minigehirnen ohne die Huntington-Genmutation (links).

Die Anzahl an CAG-Abfolgen wurde von 30 (das wäre jemand ohne Huntington-Risiko) über 45 und 65 auf 81 gesteigert (damit werden die Erwachsenen-, die junge Erwachsenen und die juvenile Erkankung abgebildet). Alle anderen Gene in den Zelllinien sind tatsächlich identisch geblieben.

Die juvenile Huntington-Krankheit mit sehr frühem Ausbruch ist eventuell keine rein degenerative Störung

Beim züchten von Organoiden aus den vier Zelllinien wurde als erstes festgestellt, dass trotz der gleichen Endgröße der Organoide, die Huntington-Organoide kleinere interne Strukturen formten, die die Entwicklung der wichtigen Neuronen im Gehirn ermöglichen. Das legt nahe, dass bereits die Entwicklung des Gehirns gestört ist. Die Beobachtung wurde allerdings erst ab einer CAG-Anzahl von 65 gemacht, nicht bei 45 Wiederholungen.

Was bedeutet das? Die Autoren der Studie interpretieren ihre Ergebnisse so, dass die Mutation, die die Huntington-Krankheit verursacht, die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigt. Oder aber alternativ, dass sie eine Verlangsamung der Entwicklung hervorruft.

Um das weiter zu untersuchen, wurde an älteren Organoiden geforscht - man maß den Unterschied zwischen den Organoiden mit 30 und denen mit 81 CAGs und fand heraus, dass bei letzteren immernoch kleinere interne Strukturen vorlagen, trotz der vergangenen Zeit. Es scheint also, zumindest bei der juvenilen Form der Krankheit, dass es sich nicht bloß um eine Verzögerung der Hirnentwicklung handelt, sondern um eine Art Blockade. In diesem Experiment waren die Organoide mit jungem-erwachsenen und erwachsenem Ausbruch nicht eingeschlossen.

Worin sich beide Studien einig sind, ist, dass die Mutation, die die Huntington-Krankheit verursacht, zu frühen Veränderungen bei der Bildung von Neuronen führt. Es wird allerdings nicht gesagt, dass diese Veränderungen nicht kompensiert werden können.

Ein weiteres Hauptergebnis der Arbeit legt nahe, dass sich die 81-CAG-Organoide schneller zu Neuronen entwickeln als die 30-CAG-Organoide. Dies widerspricht jedoch einer Untersuchung von vor etwa einem Jahr: in einem wissenschaftlichen Paper wurde beschrieben, dass Huntington-Organoide aus iPS-Zellen sich langsamer zu Neuronen entwickeln als Huntington-freie Organoide.

Ist nun eine der Studien richtig und die andere falsch? Nein. Es gab Unterschiede bei der Durchführung der beiden Studien, denn es wurden verschiedene Zelllinien verwendet und zu abweichenden Zeitpunkten gemessen.

Worin sich beide Studien einig sind, ist, dass die Mutation, die die Huntington-Krankheit verursacht, zu frühen Veränderungen bei der Bildung von Neuronen führt. Es wird allerdings nicht gesagt, dass diese Veränderungen nicht kompensiert werden können. Tatsächlich haben die Autoren der neueren Studie ein Medikament mit der Fähigkeit identifiziert, die niedrigeren Ergebnisse bei den 81-CAG-Organoiden teilweise zu verbessern.

Was ist jedoch mit den Organoiden mit 45 und 65 Wiederholungen? Bisher ging es meist um die Organoide mit juveniler Form, die etwa 5 bis 10 % der gesamten Menge an Huntington-Patienten ausmachen. Also eine seltene Form einer ohnehin schon seltenen Erkrankung.

Frisch aus der Presse

Die 81-CAG-Repeat-Organoide, die die juvenile Form der Huntington-Krankheit repräsentieren, bilden schneller Neuronen und zeigen eine beeinträchtigte Entwicklung verglichen mit den Organoiden ohne Genmutation oder mit 45 oder 65 Repeats. Die Entwicklung des Gehirns scheint also insbesondere durch die juvenile Form abgeändert zu werden.
Die 81-CAG-Repeat-Organoide, die die juvenile Form der Huntington-Krankheit repräsentieren, bilden schneller Neuronen und zeigen eine beeinträchtigte Entwicklung verglichen mit den Organoiden ohne Genmutation oder mit 45 oder 65 Repeats. Die Entwicklung des Gehirns scheint also insbesondere durch die juvenile Form abgeändert zu werden.

Es soll erwähnt sein, dass die beschriebene Studie derzeit in einem Magazin namens BioRxiv veröffentlicht ist. BioRxiv ist eine bemerkenswerte Quelle, denn sie veröffentlichen Daten vor dem Druck und stellen sie jedem zur Verfügung. Während ein breites Publikum so früher von Ergebnissen erfährt, bedeutet das aber auch, dass noch keine fachgerechte Beurteilung durch andere Wissenschaftler stattgefunden hat. Diese erfolgt normalerweise durch neutrale Forscher, die keine Verbindung zu dem Projekt haben.

Eine solche Beurteilung ist essentiell, um die Verlässlichkeit wissenschaftlicher Studien zu erhalten und bietet den Autoren eine durchdachte Rückmeldung von Experten aus dem gleichen Feld. Im vorliegenden Fall, wo diese Beurteilung noch nicht stattgefunden hat, könnte es sein, dass eben jene Experten noch weitere Tests fordern, z. B. an den Organoiden mit 45 oder 65 CAG-Wiederholungen. Man kann davon ausgehen, dass zu dieser Studie noch nicht alles gesagt ist. HDBuzz wird weiter am Ball bleiben und die finale Veröffentlichung abwarten.

Normalisieren sich die Entwicklungsabweichungen jemals?

Während die Organoide sehr gut die Huntington-bezogenen Veränderungen bei der frühen Entwicklung auf zellulärer Ebene zeigen können, werden für die Untersuchung der Auswirkungen auf einen voll entwickelten Menschen tatsächlich Daten von Patienten benötigt.

Eine weitere Studie hat genau hier angesetzt und die Größe verschiedener Hirnstrukturen von Kindern und Heranwachsenden (6 bis 18 Jahre) mit und ohne Huntington-Veranlagung im Erwachsenenalter im MRT untersucht. Diese Kinder haben keine Huntington-Symptome und bekamen die Erlaubnis ihrer Eltern in der Studie teilzunehmen. Die Untersuchung ergab ein größeres Striatum (eine der am ehesten angegriffenen Regionen bei der Huntington-Krankheit) bei Mutationsgenträgern im Alter von 6 bis 11, während es bei gesunden Kindern im Alter zwischen 11 und 18 größer ist. Es scheint also, als ob Kinder mit dem mutierten Gen ein schneller Neuronen bilden, während Kinder ohne das mutierte Gen sie später einholen und am Ende ein größeres Striatum haben. Allerdings zeigte sich dieser Unterschied recht moderat mit nur 1 ml - in etwa ¼ eines Gummibärchens.

Studien wie diese, die nicht-invasive Methoden einsetzen, mit deren Hilfe kleine Veränderungen gemessen werden können, sind genau was man braucht, um die Auswirkungen der Huntington-Krankheit auf das Gehirn zu erfassen. Sie werden dabei helfen, Ergebnisse aus Studien, die sich mit sehr frühen Entwicklungen beschäftigen, wie etwa bei der Studie an den Organoiden, im Zusammenhang mit menschlichen Patienten zu interpretieren.

Letztlich ist die Forschung, die eine veränderte Entwicklung des Gehirns bei Huntington-Patienten zeigt, noch neu und während die Biologie dahinter sehr spannend ist, kennen die Wissenschaftler noch nicht die vollständige Bedeutung im Zusammenhang mit der Krankheit. Dennoch ist es wichtig zu wissen, dass gleichzeitig auch an der Entdeckung von Mechanismen gearbeitet wird, die die festgestellten Entwicklungsabweichungen ausgleichen könnten.

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte offenzulegen. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...