Von Dr Michael Flower Bearbeitet von Professor Ed Wild Übersetzt von Rebecca

Gen-Schere und Genom-Bearbeitung stellen derzeit einen viel diskutierten Ansatz in der medizinischen Wissenschaft dar. Eine “Operation an der DNA” hat das Potenzial genetisch bedingte Krankheiten wie die Huntington-Krankheit zu behandeln oder zu heilen. In diesem Artikel wollen wir uns ansehen, was diese Technologie mittlerweile leisten kann und die Herausforderungen, die sich immer noch stellen, diskutieren. Außerdem werden wir betrachten, wie ein Team von Schweizer Wissenschaftlern kürzlich einen Weg fand, die Gen-Schere nach getaner Arbeit abzuschalten.

Zunächst ein paar Grundlagen

Wir alle bestehen aus Zellen, jede Zelle enthält eine vollständige Kopie unserer DNA. Unsere DNA ist das allumfassende Werk, das unsere Körper beschreibt und Anleitungen gibt. Sie besteht aus vier chemischen “Buchstaben” - A, T, G und C. Das Gesamtwerk wird als Genom bezeichnet. Unsere Zellen lesen die Abfolge der Buchstaben aus, um Eiweiße zu bauen. Der Abschnitt der DNA, der die Anleitung für ein einziges solches Protein gibt, nennt sich Gen.

Die Genom-Bearbeitung verwendet Proteinmaschinerien, um DNA an definierten Stellen zu zerschneiden. Sie für die Bearbeitung von Genen in Gehirnzellen einzusetzen ist aber kompliziert und riskant. (In Wirklichkeit werden keine Roboterarme verwendet.)
Die Genom-Bearbeitung verwendet Proteinmaschinerien, um DNA an definierten Stellen zu zerschneiden. Sie für die Bearbeitung von Genen in Gehirnzellen einzusetzen ist aber kompliziert und riskant. (In Wirklichkeit werden keine Roboterarme verwendet.)

Was passiert bei der Genom-Bearbeitung?

Die Huntington-Krankheit wird durch die Mutation eines Gens verursacht, das das Rezept für ein Protein namens Huntingtin darstellt. Dieses Gen besitzen zwar alle Menschen, aber bei Menschen mit der Huntington-Krankheit wird die Abfolge CAG am Anfang des Gens zu oft wiederholt. Daher stellen die Zellen ein schädliches, mutiertes Huntingtin her.

Wäre es nicht wunderbar, wenn wir diesen mutierten Teil der DNA in einen gewöhnlichen verwandeln könnten? Diese Idee ist nicht neu, aber kürzlich wurden die entsprechenden Werkzeuge entwickelt, die vielleicht eines Tages die DNA in Menschen verändern können.

Bei der Genom-Bearbeitung werden Proteine namens Nukleasen verwendet, sie sind wie molekulare Maschinen, die die DNA zuschneiden. Die Technologie, über die in letzter Zeit gesprochen wird, heißt CRISPR. Seine Geschichte reicht bis in die frühen 1990er zurück, als Forscher eigentümliche Verklumpungen von sich wiederholenden DNA Buchstaben in Bakterien fanden. Diese nannten sie CRISPRs, aber damals wussten sie noch nicht, was sie eigentlich taten. Etwas später, im Jahr 2002, fanden Wissenschaftler heraus, dass es DNA Anweisungen zur Herstellung von Nukleasen ganz in der Nähe der CRISPRs gibt. Diese Nukleasen heißen “Cas”. Danach, im Jahr 2005, wurde ein weiteres Puzzleteil hinzugefügt, als Wissenschaftler entdeckten, dass die kurzen Abfolgen zwischen den Wiederholungen nicht von den Bakterien selbst stammten, sondern von einer Virus-DNA, die aufgrund einer Infektion in die Bakterien eingedrungen war.

Es stellte sich heraus, dass die Kombination aus CRISPR und Cas (CRISPR/Cas) tatsächlich ein bakterielles Immunsystem ist - ein Mittel gegen Viren. Wenn ein Virus in eine Bakterienzelle eindringt, entnimmt die Bakterie ein kleines bisschen von seiner DNA und fügt es in ihr eigenes Genom zwischen den CRISPR-Wiederholungen ein. Der gesamte Mechanismus aus CRISPR, der Virus-DNA und dem Schneidewerkzeug (Nuklease) wird zu einer Abwehr, die die DNA des eingedrungenen Virus erkennt und sie in kleine Stücke schneidet, wodurch eine Infektion verhindert wird.

Schließlich, im Jahr 2012, zeigten Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier, dass durch eine Veränderung der DNA-Abfolge im mittleren Bereich, Cas dazu gebracht werden kann, DNA an jedem beliebigen Punkt abzuschneiden. Dieser Bereich sorgt also für die Zielausrichtung der Cas Nuklease - et voilà, wir haben ein programmierbares Genom-Bearbeitungswerkzeug!

Wie wird aus der Gen-Bearbeitung eine Behandlungsmethode?

In menschlichen Zellen gibt es weder CRISPR noch Cas. Um also das menschliche Genom zu bearbeiten, muss als erstes den Zellen gezeigt werden, wie diese Werkzeuge hergestellt werden. Um das zu tun, haben Wissenschaftler die DNA-Anleitung für CRISPR und Cas in einen harmlosen Virus verpackt und die Zellen damit infiziert. Der Virus setzt in den Zellen dann seine DNA frei. Die Zellen stellen nach dieser Anleitung die CRISPR- und Cas-Werkzeuge her, die dann an der zelleigenen DNA ansetzen und an der gewünschten Stelle zuschneiden.

Eine große Herausforderung ist es, sicherzustellen, dass Cas nicht sein Ziel verfehlt. Wenn an einer anderen Stelle eine sehr ähnliche DNA-Sequenz existiert, könnte Cas dort auch zuschneiden. Das bedeutet, dass bei dem Versuch ein Gen zu korrigieren ein anderes beschädigt würde - und daraus könnte eine ganz neue Krankheit resultieren.

Das KamiCas9 Genom-Bearbeitungssystem deaktiviert zuerst das Huntington-Gen und schaltet sich dann etwa vier Wochen später selbst aus.

Die Gen-Schere zur Behandlung von Krankheiten

Die Genom-Bearbeitung hat das Potenzial zur Heilung vieler Krankheiten. Die Forschung ist noch in einem frühen Stadium, insbesondere im Bezug auf Menschen. In einer neuen Studie haben chinesische Wissenschaftler CRISPR/Cas an menschlichen Embryonen getestet, um eine Mutation zu korrigieren, die die Blutkrankheit Beta-Thalassämie verursacht. Die Embryonen wurden nicht implantiert, aber es wurde gezeigt, dass ihr Genom bearbeitet werden konnte.

Die Gen-Schere nutzen, um die Huntington-Krankheit zu behandeln

Eine vielversprechende Huntingtin-Verminderungs-Studie läuft gerade, in der ein Medikament namens Antisense-Oligonukleotid (ASO) eingesetzt wird, um die Menge des Huntingtins in Gehirnzellen zu verringern. Diese Methode wird auch als Gen-Stummschaltung bezeichnet, es handelt sich aber nicht um Genom-Bearbeitung, da die DNA dabei nicht verändert wird.

Die Genom-Bearbeitung würde einen entscheidenden Schritt weiter gehen, indem sie die Huntington-Krankheit auf DNA-Ebene behandelt. Es gibt mehrere Möglichkeiten hier anzusetzen. Idealerweise wäre es möglich, die überlange CAG-Wiederholung auf Normallänge zurückzukürzen. Allerdings, auch wenn CRISPR/Cas momentan gut darin ist, einzelne DNA-Buchstaben abzuändern, kann man damit bisher noch nicht spezifisch das verlängerte Gen ansteuern und die CAG-Wiederholungen reduzieren. Eine alternative Herangehensweise ist es, ein genetisches Stopp-Schild in das Huntington-Gen einzufügen, sodass keine Eiweißproduktion stattfindet.

Theoretisch sollte die Genom-Bearbeitung die Proteinherstellung dauerhaft und vollständig verhindern. Das klingt schon gut, allerdings ist es sehr riskant, da der Eingriff einmal durchgeführt nicht mehr rückgängig gemacht werden kann und wenn etwas schief läuft könnten dadurch bleibende Schäden entstehen.

Die Feinabstimmung von CRISPR/Cas auf die Huntington-Krankheit

Sobald die DNA für CRISPR und Cas in ein Genom eingebracht wurde, bleiben diese dort für immer. Das bedeutet, dass die Zellen damit fortfahren werden die Cas-Nuklease herzustellen, auch wenn sie nur für die eine Aufgabe benötigt wurde - und zwar die DNA der Zelle, in der es herumschwimmt, zurechtzuschneiden. Danach wird es eigentlich nicht länger gebraucht.

Früher oder später könnte das Risiko entstehen, dass die Cas-Nuklease die DNA irgendwo einschneidet, wo sie es gar nicht sollte, damit könnte eine neue Mutation und so wiederum eine Krankheit entstehen. Und dann ist da noch, dass Cas ursprünglich aus Bakterien stammt. Das menschliche Immunsystem könnte es als Fremdkörper identifizieren und angreifen und es könnte eine gefährliche Immunreaktion hervorrufen.

Ein Risiko bei der Gen-Bearbeitung ist, dass versehentlich das falsche Ziel getroffen wird und Gene verändert werden, die gar nicht verändert werden sollen.
Ein Risiko bei der Gen-Bearbeitung ist, dass versehentlich das falsche Ziel getroffen wird und Gene verändert werden, die gar nicht verändert werden sollen.

Idealerweise will man eine CRISPR/Cas-Behandlung, die nur über sehr kurze Zeit hinweg wirksam ist. Die DNA soll auf die vorgesehene Weise bearbeitet werden und dann soll die Gen-Schere sich möglichst selbst abschalten.

Die Gruppe von Nicole Déglon an der Universität von Lausanne in der Schweiz hat einen Weg gefunden, genau das umzusetzen: Sie entwickelten eine Möglichkeit, Cas nach der Beendigung seiner Aufgabe abzuschalten und dadurch das Risiko eines falschen Schnittes oder einer gefährlichen Immunreaktion zu reduzieren.

Die tolle Idee des schweizer Teams war es, eine CRISPR/Cas-Einheit mit dem Huntington-Gen als Ziel herzustellen - allerdings mit einer zusätzlichen CRISPR-Sequenz, die die Cas-Nuklease dazu bringt zuletzt auch ihre eigene DNA anzusteuern. Wenn sie ihre eigene DNA zerschneidet, deaktiviert sie sich selbst.

Diese zusätzliche CRISPR-Sequenz, die sie “KamiCas9” nennen (ja, es ist eine recht zweifelhafte Anspielung auf das Wort “Kamikaze”), wird viel langsamer hergestellt als die, die auf das Huntington-Gen abzielt, ihre Auswirkung wird also verzögert. Das bedeutet, das zuerst das Huntington-Gen deaktiviert werden kann, bevor etwa vier Wochen später, sich das Genom-Bearbeitungssystem selbst abschaltet. Die Korrekturen, die am Huntington-Gen vorgenommen wurden, werden für immer bleiben und die Selbstzerstörung von CRISPR/Cas verringert später das Risiko für ungewollte Nebenwirkungen.

Was bedeutet das aktuell für die Genom-Bearbeitung?

Die Genom-Bearbeitung birgt ein riesiges Potenzial, um eine große Bandbreite von Krankheiten zu behandelnt. Aber wenn sie nicht richtig vorgenommen wird, könnte sie auch schädliche genetische Veränderungen in der menschlichen DNA hervorrufen, die ungekannte Auswirkungen auf Patienten und zukünftige Generationen haben könnten.

Die Gruppe von Déglon hat mit dem Abschalten des Bearbeitungswerkzeuges nach getaner Arbeit einen entscheidenden Fortschritt erzielt. Trotzdem bleibt das Einbringen des Bearbeitungssystems in das menschliche Gehirn eine große Herausforderung und genauso sieht es mit dem Risiko eines falschen Schnittes vor der eigenen Deaktivierung aus.

Die Genom-Bearbeitung ist eine vielversprechende Technologie, die in der Zukunft eventuell eine Methode zur Huntington-Prävention darstellt oder sogar das Huntington-Risiko für zukünftige Generationen eliminieren könnte. Die neue Abschaltvorrichtung ist ein Beispiel dafür, dass Wissenschaftler hart daran arbeiten, die Techniken immer weiter zu verbessern. Die Anstrengungen, aus der Genom-Bearbeitung eine Hilfe für Huntington-Familien zu machen, dauern an!

Die Autoren haben keinen Interessenskonflikt offen zu legen. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...