Eine neue Herangehensweise an klinische Studien zur Huntington-Prävention
Sind Medikamentenstudien vor Ausbruch der Huntington-Krankheit möglich? Neue Forschungsergebnisse sagen "ja"!
Von Dr Jeff Carroll 30. Oktober 2017 Bearbeitet von Professor Ed Wild Übersetzt von Rebecca Ursprünglich veröffentlicht am 27. Oktober 2017
Eine neue Analyse der klinischen Daten aus den Studien TRACK-HD und COHORT deckt eine Möglichkeit auf, Medikamentenstudien auch präventiv anzulegen, ohne dass bereits Symptome der Huntington-Krankheit aufgetreten sind.
Klinische Studien zur Huntington-Krankheit bis heute
Klinische Studien sind Experimente, die in Erfahrung bringen wollen, ob eine Behandlungsmethode den Verlauf oder den Schweregrad der Huntington-Krankheit beeinflussen kann. Die Huntington-Gemeinschaft hat in den vergangenen 20 Jahren sehr viele Studien (fast 100 Stück!) erfolgreich abgeschlossen - einige von ihnen führten zur Identifikation von Medikamenten, die die Symptome verbessern (Tetrabenazin und Deutetrabenazin), aber keine (bisher!) konnte präventiv den Ausbruch der Krankheit verschieben oder ihn ganz verhindern.
Bisher wurden fast alle Studien an Personen durchgeführt, die bereits Symptome der Huntington-Krankheit zeigten. Nur wenige, kleinere Studien hatten das Ziel bei Menschen, die das mutierte Huntington-Gen tragen, aber noch keine Symptome zeigen, den Ausbruch der Krankzeit zu verschieben oder ihm vorzubeugen.
Was ist ein Endpunkt?
Um zu verstehen warum es schwierig ist solche präventiven Studien durchzuführen - und was die vorliegende neue Veröffentlichung uns sagen will - müssen wir über etwas nachdenken, was man Endpunkt nennt. Ein Endpunkt in einer klinischen Studie ist das Ergebnis, das man untersuchen will. Bei vielen Huntington-Studien, die sich auf die Bewegungssymptome konzentrieren, ist der Endpunkt ein bestimmtes Maß dafür, wie gut oder schlecht die Bewegungssymptome einer Person am Ende sind. Andere Endpunkte beziehen sich vielleicht auf andere erfassbare Größen wie Depressionen, die durch stimmungskontrollierende Medikamente verursacht werden oder die eigentliche Wirksamkeit eines getesteten Medikaments.
Damit eine Studie erfolgreich ist, müssen Wissenschaflter vorher einen Endpunkt festlegen. Danach führen sie die Studie durch, messen den definierten Endpunkt und ziehen daraus Schlüsse, ob die verwandte Therapie einen Einfluss auf den Endpunkt hatte.
Ein gutes Beispiel ist die kürzlich durchgeführte First-HD Studie zu Deutetrabenazin. Die Wissenschaftler legten vorher fest, dass sie Bewegungssymptome in der Gruppe der untersuchten Huntington-Patienten messen wollen und definierten genau, wie stark die Verbesserungen sein müssten, um die Therapie als wirksam ansehen zu können. Es zeigte sich am Ende, dass das Medikament diese Verbesserungen und die Studie damit ihren “Endpunkt” erreichte und die FDA ließ das Medikament daraufhin für die Huntington-Krankheit zu.
Nun, stellen Sie sich vor, Sie wollten den Ausbruch der Huntington-Krankheit verschieben oder ihn vollständig ausschließen. Sie untersuchten dann eine Gruppe von Menschen, die das mutierte Gen tragen, aber keine Symptome zeigen. Sie würden diesen Menschen das zu untersuchende Medikament verabreichen… aber was dann? Per Definition zeigen die Personen noch keine Symptome, also können auch keine Symptome gemessen werden. Wie kann man feststellen, ob das Medikament wirkt?
Lernen von Krebs-Studien
Diese Schwierigkeit gibt es nicht nur bei der Huntington-Krankheit - auf vielen Krankheitsgebieten gibt es ähnliche Herausforderungen bei dem Entwurf präventiver Studien. Bei Krebs, zum Beispiel, ist das Ziel einer neuen Behandlung eventuell eine Operation oder den Tod der Patienten hinauszuzögern. Insbesondere Krebs-Forscher haben diese Art klinischer Studien in letzter Zeit durchgeführt, ihr Ziel wird auch als Weiterleben ohne Fortschreiten der Krankheit (auf Englisch Progression-free survival) genannt.
„Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass ein wahrnehmbar wirksames Medikament zur Huntington-Prävention in weniger als 400 Personen getestet werden müsse. “
Die Mathematik hinter diesem Ansatz ist etwas kompliziert, aber die Grundidee ist einfach. Das Ziel einer solchen Studie ist es, die durchschnittliche Zeit zu ermitteln, die es dauert, bis ein vorher definiertes Ereignis eintritt. Bei der Huntington-Krankheit könnte dieses Ereignis die formale Diagnose von Symptomen durch einen Arzt sein. Es könnte auch die Zeit sein, bis etwas anderes - beispielsweise ein festgelegtes Maß an Bewegungsstörungen - eintritt.
Diese Idee auf die Huntington-Krankheit zu übertragen, würde bedeuten, dass zwei Gruppen von Symptom-freien Freiwilligen gebildet würden, von denen eine das zu untersuchende Medikament und die andere einen Placebo bekäme. Dann würde erfasst werden, wie lange es bei jeder der Gruppen dauert, bis das festgelegte Ereignis eintritt.
In der Theorie klingt das Konzept schon mal gut. Würde es auch in der Realität für die Huntington-Krankheit funktionieren?
Neue Auswertungen
Erfreulicherweise sind bei der Huntington-Krankheit bereits hervorragende Datenquellen für die Forscher vorhanden, in denen sie stöbern können. Zwei Langzeitstudien von Trägern des mutierten Huntington-Gens - TRACK-HD und COHORT - wurden entworfen, um Veränderungen dieser Personen nachzuvollziehen. Hier wurden auch solche Personen mit einbezogen, die noch keine Symptome zeigen. Auch wenn es einige Unterschiede zwischen diesen beiden Studien gab, war das Grundkonzept ähnlich genug, um nützliche Vergleiche anzustellen.
Eine Gruppe von Forschern, angeführt von Jeff Long (University of Iowa) und Sarah Tabrizi (University College London), entschied sich dazu, diese vorhandenen Datenmengen heranzuziehen, um zu verstehen, ob eine Studie zum Weiterleben ohne Fortschreiten der Krankheit im Falle der Huntington-Krankheit funktionieren könnte.
Es ging dabei also nicht darum ein neues Medikament zu testen, sondern die Daten von TRACK-HD und COHORT in einer Art Machbarkeitsstudie zu nutzen, um aufzuzeigen, was passieren würde, wenn ein geeignetes Medikament existierte und welche die Auswirkungen sein könnten, ob kleiner oder größer.
Bezogen auf ihre Erfahrungen aus anderen Huntington-Studien, gingen die Wissenschaftler davon aus, dass eine Studie, die diese neuen Endpunkte setzt, drei Jahre dauern würde und das etwa eine von zehn teilnehmenden Personen die Studie abbrechen würde. Mit diesen Annahmen gelang es den Forscher zu zeigen, dass ein wahrnehmbar wirksames Medikament zur Huntington-Prävention in weniger als 400 Menschen getestet werden müsste. Diese Menge scheint aus derzeitiger Sicht gut erreichbar zu sein.
Welche Informationen kann man mit nach Hause nehmen?
Diese neue Auswertung lehrt uns zwei wichtige Dinge. Erstens ist es sehr wichtig, dass Huntington-Familien weiterhin wann immer sie können an Studien teilnehmen. Die Teilnehmer der TRACK-HD- und COHORT-Studien wussten nicht, dass es einmal eine solche neue Analyse ihrer zur Verfügung gestellten Daten geben würde. Der Fortschritt der Wissenschaft beschleunigt sich dadurch, dass sich Datenmengen anhäufen und alles, was wir daraus über die Huntington-Krankheit lernen hilft dabei, weiter voranzukommen, neue Werkzeuge und neue Erkenntnisse aufzudecken.
Zweitens stellt diese Forschungsarbeit einen ausgezeichneten Beweis dafür auf, dass die Huntington-Gemeinschaft in der Lage wäre, eine Studie zum Weiterleben ohne Fortschreiten der Krankheit durchzuführen. Die Gemeinschaft hat nämlich schon einige Studien der Größe von etwa 400 Teilnehmern gestemmt - und somit potenziellen Sponsoren die Machbarkeit demonstriert.
Währenddessen geht die Suche nach einem Medikament, das auf die vorgeschlagene Art und Weise untersucht werden kann, weiter. Dieses und nächstes Jahr sind sehr aufregend in Bezug auf solche Medikamente - insbesondere Huntingtin-vermindernde Substanzen. Hoffentlich wird es also nicht lange dauern, bis eine neue Studie genau nach dem beschriebenen Muster durchgeführt werden kann.