Jeff CarrollVon Dr Jeff Carroll Bearbeitet von Dr Tamara Maiuri Übersetzt von Rebecca

In einer Pressemitteilung, von der es wahrscheinlich ist, dass sie den größten Durchbruch bezüglich der Huntington-Krankheit seit der Entdeckung des Gens 1993 verkündet, gaben Ionis und Roche gestern bekannt, dass das Medikament zur Huntingtin-Verminderung - IONIS-HTTRx - das mutierte Huntingtin im Nervensystem vermindert und sicher andwendbar und gut verträglich ist.

Was bedeutet Huntingtin-Verminderung?

Die Therapiemöglichkeit für die Huntington-Krankheit, die wir am interessantesten finden, nennt sich Huntingtin-vermindernd. Sie haben vielleicht auch schon von Gen-Stummschaltung gehört, aber Huntingtin-vermindernd ist etwas präziser und wir erklären gleich warum.

Ionis Pharmaceuticals übergibt die Lizenz für IONIS-HTTRx an Roche nach erfolgreicher Phase 1/2a Studie
Ionis Pharmaceuticals übergibt die Lizenz für IONIS-HTTRx an Roche nach erfolgreicher Phase 1/2a Studie

Jeder Mensch hat zwei Kopien des Huntington-Gens - eine, die von der Mutter und eine, die vom Vater vererbt wurde. Bei Menschen, die die Huntington-Krankheit entwickeln, ist eine Kopie dieses Gens auf bestimmte Art verändert - mutiert.

Dort wo das Huntington-Gen anfängt, gibt es eine sich wiederholende Abfolge in seinem Code, die Wissenschaftler verwenden, um die DNA zu beschreiben, C-A-G. Bei Menschen, die die Huntington-Krankheit im Laufe Ihres Lebens nicht entwickelt, beträgt die Anzahl der Wiederholungen der C-A-G-Abfolge etwa 20, bei Menschen mit der Huntington-Krankheit sind es mehr als 40.

Unsere Zellen verwenden Gene wie Rezepte zur Herstellung von Proteinen - kleine Molekülgebilde mit nützlichen Funktionen in den Zellen. Wenn eine Zelle mehr von einem bestimmten Protein herstellen soll, werden die Rezepte mittels einer Substanz ähnlich der DNA, mittels der RNA übertragen. Wissenschaftler nennen diese Kopie des Gens die Boten-RNA, weil sie die Informationen der Gene an den Ort der Herstellung der Proteine überbringt.

Daraus folgt, dass die Information des mutierten Gens an mehr als einem Ort in der Zelle gefunden werden kann - denn die ungewöhnlich häufigen Wiederholungen aus der menschlichen DNA werden auch in die Boten-RNA kopiert. Letztlich verwenden Zellen diese RNA als Anleitung für die Konstruktion eines Eiweißes - des Huntingtin-Proteins.

Ein Großteil der Huntington-Forschung legt nahe, dass es dieses mutierte Eiweiß ist, nicht das Gen oder die Boten-RNA, das die Fehlfunktion von Gehirnzellen verursacht und sie absterben lässt. Aber was wir sicher wissen, ist dass jeder Mensch mit der Huntington-Krankheit eine mutierte Kopie des Huntington-Gens aufweist, die als Blaupause für das giftige Protein dient. So wird das mutierte Huntington-Gen zum Feind Nummer eins für diejenigen, die Behandlungsmöglichkeiten entwickeln.

Während die Technologien sich im Detail unterscheiden, haben in der Huntington-Welt alle von ihnen eine spannende mögliche Anwendung - und zwar, die Menge des entstehenden, mutierten Huntingtins zu verringern. In vielen Tierversuchen, bei denen die unterschiedlichsten Gen-Stummschaltungsmethoden eingesetzt wurden, wurde beobachtet, dass sich der Zustand der betroffenen Tiere verbesserte oder sie gar nicht erst krank wurden.

Das ist wunderbar. Allerdings ist es noch nicht das Endziel, die Hungtion-Krankheit in Labormäusen oder Fruchtfliegen zu besiegen, sondern letzten Endes sollen auch betroffene Menschen geheilt werden können.

Erinnerung: Was ist die Geschichte dieses Medikaments und der Studie?

Unter allen Huntingtin-vermindernden Technologien, die es gibt, sind die weitentwickelsten die Antisense-Oligonukleotide, kurs ASOs. Es handelt sich um kurze, spezifisch gestaltbare, chemisch-modifizierte Bestandteile von DNA, die leicht in Zellen eindringen können. Wenn sie drinnen sind, lokalisieren sie und verbinden sich mit einer avisierten Boten-RNA und tragen zu deren Abbau bei.

Ionis Pharmaceuticals in Carlsbad Kalifornien hat ASOs für eine Reihe von Krankheiten über die letzten Jahrzehnte hinweg entwickelt. Vor einigen Jahren haben sie festgestellt, dass die Huntington-Krankheit gut zu dieser Technologie passt, da bekannt ist, dass die Verringerung des mutierten Huntingtins in Gehirnen von Tieren zu deren Genesung beiträgt.

In der Phase-1/2a-Studie wurden dosisabhängige Verminderungen des mutierten Huntingtins bei Menschen, die mit IONIS-HTTRx behandelt wurden, beobachtet

Letztes Jahr landete Ionis einen Riesenerfolg mit einem ASO für eine andere Nervenkrankheit namens Spinale Muskelatrophie (SMA). Die dazugehörige Studie untersuchte, ob ein ASO, das in die Rückenmarksflüssigkeit gegeben wird, helfen könnte den Zustand von Babies, die mit der Krankheit geboren wurden, zu verbessern. Die Technologie ist im Grunde gleich, sie zielt nur auf ein anderes Gen ab.

Den Kindern in der Ionis-SMA-Studie ging es so viel besser, dass Regulierungsbehörden die Studie frühzeitig abbrachen, wodurch alle teilnehmenden Kinder - auch die, die vorher ein Placebo bekamen - das Medikament erhalten konnten.

Ionis’ SMA-Medikament wurde danach in den USA, Europa und vielen weiteren Ländern von den Aufsichtsbehörden freigegeben und steht nun als Medikament für Kinder mit SMA zur Verfügung.

Also, wie sieht es mit der Huntington-Krankheit aus?

Ionis hat in den frühen 2000ern begonnen an ASOs gegen die Huntington-Krankheit zu arbeiten, zunächst an Zellkulturen, danach an verschiedenen Tiermodellen. Sie fanden vielversprechende Wirkungen, sodass eine Studie an Menschen greifbar wurde. Gute Vorahnungen mehrten sich im Jahr 2013, als der Pharma-Gigant Roche ankündigte in einer Partnerschaft mit Ionis ein ASO-Medikament namens Ionis-HTTRx gegen die Huntington-Krankheit zu entwickeln. Dadurch wurden vonseiten Roche große Ressourcen und Erfahrungschätze freigesetzt, um sich der Krankheit anzunehmen.

Im Juli 2015 startete die aufregendste Medikamentenstudie bisher - eine, in der ein ASO gegen die Produktion von Huntingtin menschlichen Betroffenen verabreicht wurde. Das Ziel dieser Studie war die Unbedenklichkeit und Verträglichkeit des Medikaments zu erproben und festzustellen, ob es das tat, wozu es entwickelt wurde, nämlich die Produktion des mutierten Huntingtins zu verringern. Uns versetzte der Start dieser Studie in große Aufregung und wir berichteten darüber hier.

Bei jedem Versuch ein Medikament zu entwickeln, ist es das erste Ziel, sicherzustellen, dass es keine giftigen Nebeneffekte gibt. Leider gibt es in der Geschichte viele Beispiele von Medikamenten, die zunächst vielversprechend schienen, bei der Verabreichung aber unerwünschte bis gefährliche Nebeneffekte zeigten.

Daran dachten Ionis und Roche als sie eine Studie entwarfen, deren Hauptziel es war, festzustellen, ob das Medikament für Menschen sicher anwendbar ist. Die erste Studie umfasste 46 Personen mit frühen Huntington-Symptomen in Deutschland, Kanada und dem Vereinigten Königreich. Sie begann im Juli 2015 und sollte im November 2017 beendet sein. Man sieht also, dass der Zeitplan eingehalten wurde, was nicht immer der Fall ist.

Bevor wir über die Ergebnisse sprechen, müssen ein paar wichtige Details im Blick behalten werden. Erstens, ASO-Medikamente erreichen das Gehirn nicht, wenn sie in Form einer Tablette geschluckt werden. Folglich werden sie für Nerven- und Gehirnkrankheiten am unteren Ende der Wirbelsäule injiziert. Diese Technik heißt Lumbalpunktion. Das klingt ein bisschen unheimlich, ist aber eine gängige Methode, die tausendmal am Tag in Krankenhäusern durchgeführt wird.

Zweitens gab es bei dieser Studie eine Placebo-Reihe. Das bedeutet, dass manche der Teilnehmer zwar die alle Schritte durchliefen, allerdings Injektionen ohne Medikament erhielten. Diese Herangehensweise ist für medizinische Studien essentiell. Wenn es keine Gruppe von Menschen gibt, die die Studie ohne Medikament durchlaufen, wie kann man dann sicher sein, dass die Wirkung tatsächlich auf das Medikament zurückzuführen ist?

Dosis-abhängige Verringerung des mutierten Huntingtins, gemessen in der Rückenmarksflüssigkeit der Patienten, die das Medikament erhielten
Dosis-abhängige Verringerung des mutierten Huntingtins, gemessen in der Rückenmarksflüssigkeit der Patienten, die das Medikament erhielten

Letztens, die Dosis. Immer wenn Wissenschaftler ein neues Medikament an Patienten geben, starten sie mit sehr geringen Dosen. In einer solchen Studie, die formell als Studie mit vielfach ansteigender Dosis bezeichnet wird, erhalten die ersten Teilnehmer eine sehr niedrige Dosis und diejenigen, die später dazukommen, eine höhere. Das ermöglicht es den Ärzten, sorgfältig die Reaktion der Menschen nach jeder neuen Dosis zu beobachten und negative Nebeneffekte frühzeitig zu erkennen.

Was ist passiert?

Am Montag, den 11. Dezember, gab Ionis eine Pressemeldung heraus, die die Hauptergebnisse der ersten Studie von Ionis-HTTRx zusammenfasst. Die Überschrift lautete: “Ionis pharmaceuticals licenses IONIS-HTTRx to partner following SUCCESSFUL Phase 1/2a Study in patients with Huntington’s Disease”. Weiterhin wurde beschrieben, dass eine “dosisabhängige Verringerung des mutierten Huntingtin-Proteins beobachtet wurde”.

Wenn Sie sich fragen, wie aufgeregt Sie diesbezüglich sein sollten, dann lassen sie sich gesagt sein, dass beide HDBuzz-Herausgeber einen kleinen Freudentanz aufgeführt haben. Das sind wirklich großartige Neuigkeiten!

Sicherheit zuerst. Ionis und Roche haben die Teilnehmer der Studie sehr sorgfältig beobachtet, um jegliche Zeichen der Unverträglichkeit erkennen zu können. In der Pressemittteilung berichtet Ionis: “Die Sicherheit und Verträglichkeit von Ionis-HTTRx, die in der Studie der Phase 1/2a beobachtet wurden sprechen für eine Fortsetzung der Entwicklung”. Das bedeutet, dass es keine Schwierigkeiten in Bezug auf Unverträglichkeiten gab und die erste Hürde für das Medikament erfolgreich genommen wurde.

Erinnern Sie sich - diese Studie war nicht dazu ausgelegt, zu beweisen, dass Ionis-HTTRx gegen die Symptome der Huntington-Krankheit hilft. Das Ziel war es, ein Medikament auf seine Sicherheit hin zu überprüfen. Daher gab es so wenige Teilnehmer wie möglich, um das Risiko zu minimieren.

Weiterhin war diese Studie kurz - jeder Teilnehmer erhielt die Injektionen nur über vier Monate hinweg. Diese Zeit ist zu kurz, um Veränderungen beim Fortschreiten der Huntington-Krankheit wahrzunehmen. Auch wenn Ionis-HTTRx sich als Wundermittel herausstellt, könnten die Auswirkungen auf die Symptome in nur vier Monaten sehr gering sein und man sollte nicht erwarten, sie in einem so kurzen Versuch messen zu können.

Also - und das ist sehr wichtig - wissen wir noch nicht, ob das Medikament die Symptome von Huntington-Patienten tatsächlich verbessert.

Jedoch hat die Studie einen wichtigen Schritt über die Verträglichkeit hinaus getan, da jedes Mal, wenn die Teilnehmer eine Injektion bekamen auch eine Probe ihrer Hirn-Rückenmarksflüssigkeit (CSF) genommen wurde.

Frühere Forschungen hatten gezeigt, dass der Gehalt von Huntingtin in der CSF gemessen werden kann. Es scheint, als ob durch die Erkrankung der Gehirnzellen im Verlauf der Huntington-Krankheit dazu führt, dass Teile ihres Inhaltes in das Fluid, dass das Gehirn umspült, freigesetzt werden.

“der Schlüssel (zum Erfolg) ist es jetzt, zügig eine größere Studie anzuknüpfen, um herauszufinden, ob HTTRx das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt”

Da das Ziel von Huntingtin-vermindernden Medikamenten wie Ionis-HTTRx ist, die Menge des Huntingtins in den empfindlichen Gehirnzellen zu reduzieren, entsteht so theoretisch eine gute Möglichkeit, zu erfahren, ob das Medikament seinen Zweck erfüllt: Man misst einfach den Gehalt von Huntingtin in der CSF vor und nach der Behandlung.

Wir finden, dass das aufregendste an der Mitteilung durch Ionis gestern folgende Aussage ist: “In der Phase-1/2a-Studie wurden dosisabhängige Reduktionen des mutierten Huntingtins bei Patienten, die mit Ionis-HTTRx behandelt wurden, beobachtet”. Frank Bennett, Ionis’ Chefwissenschaftler, ging so weit zu sagen, dass diese Verringerungen die “Erwartungen maßgeblich überstiegen”.

Das bedeutet, dass das Medikament seinen Zweck erfüllt! Dosisabhängig bedeutet dabei, dass je höher die Dosis, desto niedriger der Gehalt an Huntingtin in der CSF.

Und was jetzt?

Das ist großartig und jeder in der Huntington-Gemeinschaft ist den mutigen Teilnehmern der Studie und ihren Angehörigen sehr dankbar. Weiterhin danken wir auch Roche und insbesondere Ionis, die an ihren Ansatz geglaubt haben und über Jahre hinweg daran gearbeitet haben, bis zu diesem Punkt zu kommen.

Wir sind aber noch nicht ganz fertig. Was passiert als nächstes?

Als erstes muss eine Studie mit einer genügend großen Anzahl an Teilnehmern und einer ausreichend langen Dauer der Behandlung durchgeführt werden, damit die Auswirkung auf die Huntington-Symptome beobachtet werden kann. Der Erfolg der ersten Studie gibt dafür die Grundlage. Die Studie sollte hunderte von Patienten einbeziehen und so bald wie möglich beginnen.

Die Forscher wissen, wie dringend der Bedarf nach einer solchen Studie ist. In der Pressemeldung sagte die führende Wissenschaflterin Dr. Sarah Tabrizi: “der Schlüssel (zum Erfolg) ist es jetzt, zügig eine größere Studie anzuknüpfen, um herauszufinden, ob HTTRx das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt”. Roche’s bekräftigende Zusage, die heute verkündet wurde, ist ein hervorragendes Zeichen dafür, dass eine solche Studie in Kürze zu erwarten ist. Natürlich werden wir über die Details, sobald sie veröffentlicht sind, auf HDBuzz berichten.

Das ist ein großartiger Wochenstart für die Huntington-Gemeinschaft und er ebnet uns den Weg für weitere spannende Arbeiten im Jahr 2018. Zum ersten Mal in der Geschichte werden Huntington-Patienten mit Medikamenten behandelt, von denen man weiß, dass sie die Menge des Huntingtins im Gehirn verringern. Bis die nächste Studie durchgeführt ist, werden wir nicht sagen können, ob das auch die Symptome der Huntington-Krankheit mindert. Und auch wenn wir wissen, dass das Medikament über eine kurze Dauer hinweg unschädlich ist, muss noch erprobt werden, ob es unerwünschte Langzeitwirkungen gibt. Jedoch sehen wir diesem Hindernis mit wachsender Hoffnung entgegen. Das hier ist auf jeden Fall das beste, verfrühte Weihnachtsgeschenk, das wir uns wünschen könnten.

Der HDBuzz-Mitbegründer Dr. Ed Wild ist ein Forscher im Ionis-HTTRx-Programm und Mitglied im Wissenschaftsbeirat für Ionis und Roche. Daher wurde dieser Artikel von Jeff Carroll geschrieben. Jeff Carroll arbeitet zusammen mit Ionis an Mausstudien, aber war in der beschriebenen Studie nicht eingebunden. Tamara Maiuri hat keinen Interessenskonflikt offenzulegen. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...



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