Von Dr Rachel Harding Bearbeitet von Dr Leora Fox Übersetzt von Rebecca

Es scheint, dass die Huntington-Gemeinschaft in letzter Zeit mit Neuigkeiten von verschiedenen Firmen und klinischen Studien überschwemmt wurde. Diese Nachrichten waren nicht nur düster und negativ. Auch wenn einige der bekannten Studien tatsächlich enttäuschende Ergebnisse verkündeten, gab es auch wirklich positive Nachrichten von verschiedenen Firmen. Es gibt also Gründe für uns, positiv gestimmt zu bleiben. Wir wollen hier einen kurzen Überblick über den atkuellen Status der in der Entwicklung befindlichen Behandlungsmöglichkeiten für die Huntington-Krankheit geben.

Das Problem an der Wurzeln packen - Huntingtin-Absenkungs-Therapien

Wir sprechen seit langer Zeit über Huntingtin-Absenkungs-Therapien auf HDBuzz, inklusive der fortgeschrittenen, klinischen Studien die durchgeführt wurden. Das zugrundeliegende Prinzip ist das Ziel, die Menge der schädlichen Form des Huntingtin-Proteins zu reduzieren, das im Körper und Gehirn von Menschen mit der Huntington-Krankheit hergetellt wird. Die Wissenchaftler, die an diesen Therapien arbeiten, hoffen dass durch die Verringerung der Menge des schädlichen Proteins, der Verlauf der Huntington-Krankheit verlangsamt oder sogar rückgängig gemacht werden kann. Das Huntington-Gen ist ein essentielles Gen, vor allem während der Entwicklung des Gehirns, sodass wir es nicht komplett aus dem Gehirn entfernen wollen. Daher ist das Verringern der Huntingtin-Menge ein vorsichtiger Balanceakt zwischen ausreichender Reduzierung für eine Symptomverbesserung und ausreichend Protein im Gehirn, damit es seine normale Funktion in den Zellen erfüllen kann. Aber was sind die verschiedenen Strategien und welche Firmen entwickeln derzeit Huntingtin-Absenkungs-Therapien?

Selbst wenn Studien nicht zu den erwünschten Ergebnissen führen, gibt es immer eine Menge von ihnen zu lernen, was der Forschung hilft und sie auf dem Weg zum Medikament weiter voranbringt.
Selbst wenn Studien nicht zu den erwünschten Ergebnissen führen, gibt es immer eine Menge von ihnen zu lernen, was der Forschung hilft und sie auf dem Weg zum Medikament weiter voranbringt.

ASOs können die Huntingtin-Menge verringern

Forscher haben Moleküle namens Antisense-Oligonukleotide (ASOs) entwickelt, die die Boten-mRNA des Huntington-Gens erkennen. Die mRNA enthält die Bauanleitung, mit der eine Zelle das Huntingtin-Protein bauen kann. Wenn man diese Anleitung mithilfe von ASOs unlesbar macht, verringert man die Menge an Huntingtin. Ein Nachteil von ASOs ist, dass sie relativ groß und sperrig sind und wiederholt verabreicht werden müssen. Außerdem müssen sie durch Lumbalpunktionen verabreicht werden.

Der ASO-Kandidat von Roche, genannt Tominersen, hatte die Bauanleitungen für sowohl die normale und als auch die schädliche Form von des Huntington-Gens zum Ziel. Die Firma Wave Life Sciences dagegen nutzt auch ASOs, aber ihre Strategie ist anders: Die ASOs von Wave greifen nur die mRNA für die schädliche Huntingtin-Variante an, da sie entwickelt wurden um kleine spezifische genetische Abschnitte zu erkennen, die es nur auf dem mutierten Allel des Huntington-Gens gibt. Diese Strategie würde das gesunde Huntingtin unberührt lassen. Allerdings hat nicht jede schädliche Huntingtin-Form die gleichen spezifischen Abweichungen, so dass nicht alle Menschen mit der Huntington-Krankheit mit diesen ASOs behandelt werden könnten.

Leider waren die letzten Studien mit ASOs gegen die Huntingtin-Krankheit von Roche und Wave nicht erfolgreich. Im Fall von Wave’s PRECISION-HD trials, waren die ASOs nicht so effektiv wie die Forscher sich das erhofft hatten: Die Behandlung war sicher, aber hat die Huntingtin-Menge einfach nicht verringert. Wave entwickelt momentan jedoch ein drittes ASO mit einer verbesserten chemischen Struktur, das in Kürze in klinischen Studien getestet werden wird. Im Fall von Roche, wurde die GENERATION-HD1-Studie gestoppt, weil ein unabhängiges Gremium, welches Zugriff auf alle Daten der Studie hatte, den Abbruch empfahl. Weiteres hierzu finden Sie in unserem Bericht zu Huntington’s Disease Therapeutics Conference 2021 - Tag 1.

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass klinische Studien keine fertige medizinische Behandlung bieten können. Klinische Studien gehören zu den kompliziertesten Experimenten, die Wissenschaftler durchführen können. Und auch wenn sie nicht zu den erhofften Ergebnissen führen, generieren diese Studien wertvolle Erkenntnisgewinne, die zukünftige Entscheidungen und Behandlungsoptionen verbessern werden. Wave und Roche haben beide gemeldet, dass sie weiter an Behandlungen gegen die Huntington-Krankheit forschen möchten.

Gen-Therapien zur Huntingtin-Absenkung

Obwohl die klinischen Studien von Roche und Wave nicht so verliefen wie erhofft, gibt es immer noch einen breiten Konsens unter den Huntington-Wissenschaftlern, dass das Verringern von Huntingtin ein vielversprechender Ansatz für die Behandlung der Huntington-Krankheit ist. ASOs sind nicht die einzige Möglichkeit um die Menge des Huntingtin-Proteins abzusenken.

Die Firma uniQure hat beispielsweise eine Gen-Therapie mit dem Wirkstoff AMT-130 entwickelt. Die Firma hofft, dass dieser eine Einmal-Behandlung für die Huntington-Krankheit darstellen könnte. AMT-130 wird durch eine Gehirn-Operation verabreicht und nutzt einen Virus, um das Medikament im gesamten Gehirn zu verteilen. Die Behandlung zielt auf die genetische Information von schädlichem und normalem Huntingtin-Protein und verringert die Menge von beiden.

Kürzlich gab es gute Nachrichten von uniQure: Gentherapie-Studie auf dem Weg und vielversprechende Daten in Tieren. Zunächst haben sie eine erste Gruppe von zehn Patienten in ihrer Phase I/II klinischen Studie in den USA behandelt. Dies geschah dank der selbstlosen Studienteilnehmer früher als ursprünglich vorgesehen, trotz der Schwierigkeiten die damit verbunden sind, eine klinische Studie während einer globalen Pandemie durchzuführen. Sie planen ebenfalls eine kleine Studie mit Menschen in Europa. Weiterhin veröffentlichten sie Daten von Experimenten mit kleinen und großen Tiermodellen. Diese drei Publikationen demonstrieren zusammen die hohe Sicherheit, Stabilität, und gute Verteilung von AMT-130 im Gehirn.

Auch wenn es kürzlich Rückschläge zu vermelden gab, ist die Huntington-Forschung weiterhin voll von Ideen und Ansätzen.

All diese Nachrichten sind sehr positiv für die technischen Aspekte des AMT-130-Ansatzes, aber wir warten noch immer auf die Langzeit-Daten zur Sicherheit und auf Daten die zeigen, ob AMT-130 dabei hilft, die Symptome der Huntington-Krankheit zu verringern.

Eine Tablette zur Huntingtin-Absenkung

Eine Operation am Gehirn oder wiederholte Lumbalpunktionen sind keine idealen Behandlungsmöglichkeiten und nicht weltweit für alle Patienten mit der Hungtinton-Krankheit zugänglich. Weil ASOs und andere Moleküle für Gentherapien groß und sperrig sind, können sie allerdings nicht die Bluthirnschranke überwinden. Wenn sie in das zentrale Nervensystem eingebracht werden, verringern sie daher die Huntingtin-Konzentration nur dort und nirgendwo sonst im Körper. Daher besteht großes Interesse an Wirkstoffen aus kleinen Molekülen, welche als Tablette eingenommen werden könnten und sich im ganzen Körper verteilen könnten.

Aber wie arbeiten diese kleinen Moleküle um das Huntingtin-Niveau abzusenken? Die Therapien mit kleinen Molekülen die bis heute entwickelt wurden, können die genetische Nachricht nicht auf gleiche Weise beeinträchtigen wie die ASOs oder die Gentherapie. Stattdessen greifen sie in zelluläre Prozesse ein, die genetische Nachrichten für die Herstellung von Proteinen auschneiden, einfügen und vorbereiten. Man spricht bei diesen Prozessen von “Splicing” und daher bei den besagten, kleinen-Molekülen von “Splice-Modulatoren”.

Novartis ist eine von den Firmen, die an diesem Ansatz interessiert sind. Ein Medikament namens Branaplam, welches zur Behandlung der neurologischen Erkrankung spinale Muskelatrophie (SMA) entwickelt wurde, könnte zur Behandlung der Huntington-Krankheit umgewidmet werden. Branaplam soll in klinischen Studien zur Behandlung der Huntington-Krankheit noch in diesem Jahr getestet werden.

PTC Therapeutics hat ebenfalls einen Splice-Modulator namens PTC518 entwickelt, der die Menge an Huntingtin in verschiedenen Tier- und Labormodellen der Huntington-Krankheit bereits erfolgreich verringern konnte. Eine klinische Phase-I-Studie läuft gerade an gesunden Menschen, um die Sicherheit von PTC518 zu untersuchen. Vorläufige Daten, die auf einem Investoren-Treffen mitgeteilt wurden, schauen vielversprechend aus und deuten, dass die Therapie so wirkt wie gedacht. Bisher wurden auch keine gefährlichen Nebenwirkungen entdeckt.

Neue genetische Techniken zur Behandlung der Huntington-Krankheit

Wir leben in einer Zeit in der großartige Fortschritte in genetischen Techniken neue Möglichkeiten zur Behandlung von Krankheiten bereitstellen. Die RNA-Vakzine für COVID-19 sind nur eines der erstaunlichen Beispiele. Ebenso gibt es Firmen die daran arbeiten, neue genetische Techniken zur Behandlung der Huntington-Krankheit zu entwickeln.

Atlanta Therapeutics arbeitet an RNAi-Therapien für verschiedene neurodegenerative Erkrankungen, inklusive der Huntington-Krankheit. RNAi-Therapien funktionieren ähnlich wie ASOs, indem sie eine spezifische genetische Nachricht angreifen, um die Konzentration eines bestimmten Proteins abzusenken. Atalanta baut eine besondere RNAi-Form mit einer verzweigten Struktur. Diese kann sich gut im gesamten Gehirn verteilen, sodass die Firma davon ausgeht, dass es ein guter Ansatz ist, um Gehirnerkrankungen zu behandeln.

Therapien mit kleinen Molekülen greifen in zelluläre Prozesse ein, die genetische Nachrichten für die Herstellung von Proteinen auschneiden, einfügen und vorbereiten.
Therapien mit kleinen Molekülen greifen in zelluläre Prozesse ein, die genetische Nachrichten für die Herstellung von Proteinen auschneiden, einfügen und vorbereiten.

Locanabio ist eine weitere Firma, die neue genetische Technicken entwickelt hat, die darauf abzielen die genetischen Nachrichten, welche Zellen als Anleitung zur Herstellung von krankmachenden Proteinen nutzen (wie zum Beispiel für Huntingtin), anzugreifen. Wir freuen uns auf mehr Details und Nachrichten von diesen beiden Firmen in den kommenden Monaten.

Weitere Ansätze zur Behandlung der Hungtington-Krankheit

Einige Firmen versuchen die Huntington-Krankheit mit ganz anderen Ansätzen zu behandeln und konzentrieren sich bei der Behandlung auf andere Aspekte der Huntington-Krankheit und nicht auf das Hungtingtin-Protein selbst. Diese unterschiedlichen Ansätze sollten die Chance erhöhen, schließlich eine oder sogar mehrere Behandlungen zu entwickeln, die den meisten Menschen helfen können.

Annexon Biosciences führt zur Zeit eine Phase-II-Studie mit Huntington-Patienten für ein Medikament namens ANX005 durch. Die Behandlung zielt auf einen Teil des Immunsystems ab, das sogenannte Komplementsystem. Bei Menschen mit der Huntington-Krankheit scheint das Komplementsystem überaktiviert zu sein, was wiederum Nervenzellen schädigt und die Verbindungen zwischen den Gehirnzellen verändert. Die Therapie versucht dies zu korrigieren, indem die Überaktivierung des Komplementsystems gestoppt wird.

Prilenia führt die PROOF-HD Studie durch, eine Phase-III-Studie mit dem Medikament Pridopidine. Kürzlich haben Wissenschaftler herausgefunden, dass der schützende Effekt von Pridopidine auf Nervenzellen über den Sigma-1-Rezeptor vermittelt wird. Auch wenn frühere klinische Studien mit Pridopidine enttäuschende Ergebnisse lieferten: In dieser neuen Studie werden Patienten in einer früheren Phase der Krankheit viel länger behandelt, in der Hoffnung dass dies zu besseren Ergebnissen für die Patienten führt.

Zusätzliche Erhöhung der CAG-Zahl verhindern

Auf Grundlage auf einem riesigen Datensatz aus Genom-weiten Studien, die die Ursachen der starken zeitlichen Unterschiede des Krankheitsausbruchs erforschten, machen sich aktuell viele Firmen daran, weitere Therapieoptionen auszuloten, um das Ausbruchsalter möglichst nach hinten zu verschieben. Obwohl im Allgemeinen einen höhere CAG-Anzahl zu einem früheren sichtbaren Symptomen führt, findet man oft Betroffene, die die gleiche CAG-Anzahl aufweisen, bei denen die Krankheit aber zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten ausbricht. Einer der Gründe für solche Unterschiede scheint in den der DNA-Reparatur zu liegen. Es ist mittlerweile bekannt, dass eine einzige Buchstabenabweichung im DNA-Code zu früheren Ausbrüchen führen kann, da sie ein Phänomen namens somatische Instabilität auslöst, das auch für die Art der Symptome und den weiteren Verlauf eine wichtige Rolle spielt. Triplet Therapeutics und LoQus23 Therapeutics sind zwei Firmen, die hier ansetzen, um die Huntington-Krankheit möglichst aufzuhalten.

Triplet führt gerade die Studie SHIELD-HD durch, bei der es sich nicht um eine Medikamentenstudie handelt, sondern die den Verlauf der Huntington-Krankheit und die Auswirkungen der mit der Zeit immer längeren CAG-Wiederholungssequenz näher untersucht. Man will den besten Zeitpunkt für eine mögliche Behandlung mit den von Triplet entwickelten Wirkstoffen bestimmen.

Studien zur Symptombehandlung der Huntington-Krankheit

Beobachtungsstudien, die darauf ausgelegt sind, ein tiefes Verständnis der Biologie hinter der Huntington-Krankheit zu erlangen, sind ein wichtiger Baustein auf der Suche nach Behandlungen.
Beobachtungsstudien, die darauf ausgelegt sind, ein tiefes Verständnis der Biologie hinter der Huntington-Krankheit zu erlangen, sind ein wichtiger Baustein auf der Suche nach Behandlungen.

Während sich Gen-Therapien an die Ursache der Huntington-Krankheit machen, gibt es auch weiterhin wichtige Entwicklungen im Bereich der Symptombehandlung und Verbesserung der Lebensqualität.

Sage Therapeutics beschäftigt sich mit kognitiven Veränderungen, die durch die Huntington-Krankheit hervorgerufen werden. Dazu entwickeln und bewerten sie Werkzeuge, mit denen Denk- und Planungsfähigkeiten aus der Sicht der Patienten selbst abgefragt werden können. Im Englischen spricht man hier von “Patient-reported Outcome” (=PRO). Es werden dem Patienten direkt Fragen gestellt, die er selbst anstelle seines Arztes beantwortet. Momentan befindet sich Sage in der Vorbereitungsphase einer klinischen Phase-I/II-Studie zu ihrem Medikament SAGE-718, dass die kognitive Symptome verbessern soll.

Neurocrine Biosciences arbeitet gerade mit der Huntington Study Group an einer Phase-III-Studie für das Medikament Valbenazin. Die Studie soll KINECT-HD heißen und die Auswirkung von Valbenazin auf Bewegungssymptome untersuchen. Der Wirkstoff ist chemisch ähnlich wie die bereits zugelassenen Medikamente Tetrabenazin und Deutetrabenazin und wurde für eine Krankheit namens Spätdyskinesie bereits freigegeben.

Beobachtungsstudien und regionale Studien

ENROLL-HD und HDClarity sind zwei große und wichtige Beobachtungsstudien, die weiterhin laufen und von deren Inhalt und Bedeutung wir hier auf HDBuzz schon oft berichtet haben.

Weiterhin gibt es PREDICT-HD), hier beschäftigt man sich mit dem Verlauf der Krankheut und eine Studie, die sich mit noch-nicht-symptomatischen Mutationsgenträgern beschäftigt: ChAnGE-HD.

Viele Forschergruppen führen außerdem kleinere, regionale Studien durch. Es werden neue bildgebende Verfahren und andere Methoden zur Datengewinnung zu Betroffenen, deren Familien, zu Fachärzten und zur Erfahrung mit Gentests, Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität (beispielsweise der Fähigkeit zu sprechen), sowie neue Kombinationen von Medikamenten oder auch alternative Heilmethoden untersucht. Trotz kleinerem Maßstab bei diesen Studien, können natürlich auch hier günstige Entwicklungen und Entdeckungen für Huntington-Patienten gemacht werden.

Rachel Harding hat keine Interessenskonflikte offenzulegen. Leora Fox arbeitet für die Huntington's Disease Society of America, die Beziehungen und Geheimhaltungsvereinbarungen mit vielen hier genannten Firmen inne hat. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...