Wenn Gene instabil sind: Augenmerk auf somatische Instabilität bei der Huntington-Krankheit
Die Anzahl von CAG-Wiederholungen erhöht sich an manchen Orten im Körper, wenn Menschen mit der Huntington-Krankheit älter werden. Man spricht von somatischer Instabilität. Von diesem Forschungsbereich berichtet unser neuester Artikel.
Von Dr Rachel Harding und Dr Leora Fox 20. September 2020 Bearbeitet von Dr Rachel Harding Übersetzt von Rebecca Ursprünglich veröffentlicht am 26. August 2020
Was ist somatische Instabilität?
Man möchte meinen, dass die DNA eine feste Blaupause ist, ein überspannender Plan für die biologischen Bausteine, die unsere Zellen, Organe und den ganzen Körper zusammensetzen. Aber wie jeder wirklich gute Plan, ist die DNA eigentlich dynamisch und anpassbar. Sie wird ständig als Vorlage für die Erstellung der RNA benützt, die wiederum für die Bildung der Eiweiße, aus denen wir bestehen, benötigt wird. Aus diesem Grund wird die DNA ständig überprüft, instand gehalten und repariert. Es gibt in unseren Zellen eine ganze Mannschaft von DNA-Reparatur-Proteinen, deren Hauptaufgabe es ist, sicherzustellen, dass die DNA in einem Topzustand bleibt.
Allerdings macht das Reparier-Team manchmal Fehler. Insbesondere dann, wenn die DNA schon ein Problem hat, beispielsweise die Huntington-Mutation - eine zu hohe Anzahl an CAG-Wiederholungen auf dem Huntington-Gen. Solche sich lange wiederholenden DNA-Abschnitte können schwer instandzuhalten sein. Haben Sie zum Beispiel mal versucht eine großen Stadtplan in sein Ausgangsformat zurückzufalten und dabei kam ein viel dickerer Papierstapel heraus als er ursprünglich war? Wenn bei der DNA-Reparatur etwas schief läuft, können sich wiederholende Sequenzen ihres Codes instabil werden. Bei der Huntington-Krankheit führt das dazu, dass im Laufe des Lebens einer Person in bestimmten Körperzellen zu der ohnehin schon erhöhten Anzahl von CAGs immer neue Wiederholungen dazu kommen. Dieses Phänomen heißt somatische Instabilität.
Je mehr Wiederholungen, desto toxischer verhält sich das Eiweiß Huntingtin, es verklumpt in Gehirnzellen und stört normale Funktionen. Die sich steigernde Anzahl an CAGs könnte daher dazu führen, dass die Krankheit Menschen stärker betrifft, je älter sie werden. In den vergangenen Jahren haben große Genstudien gezeigt, dass es durch die somatische Instabilität zu einem früheren Auftreten von Symptomen kommen kann. Die Forschung beschäftigt sich nun genauer mit der Frage wann, wo und warum somatische Instabilität auftritt. Mit diesem Wissen ausgerüstet, haben sie bereits begonnen die Werkzeuge und Medikamente zu entwickeln, die die Instabilität bekämpfen sollen und neue Firmen wurden gegründet, die sich Medikamententests für Betroffene zum Ziel gesetzt haben.
Wann tritt somatische Instabilität auf?
Die Huntington-Krankheit beruht auf einer bekannten genetischen Ursache. Erwachsene können sich entscheiden, eine Blutuntersuchung durchführen zu lassen, wenn sie herausfinden wollen, ob ihre Symptome auf die Huntington-Krankheit zurückzuführen sind oder ob sie später in ihrem Leben daran erkranken werden. Das Ergebnis der Untersuchung verrät die Anzahl von CAG-Wiederholungen auf dem Huntington-Gen. Da jeder zwei Kopien des Gens erbt, ein von jedem biologischen Elternteil, zeigt sich bei Mutationsgenträgern fast immer eine “normale” Kopie (10 bis 26 CAGs) und eine mutierte Kopie (36 bis 40 oder mehr CAGs). Man findet diese beiden Kopien in jeder einzelnen Körperzelle. Mehr zu den Wiederholungen erklärten wir auch in diesem HDBuzz-Artikel.
Ein Mutationsgenträger hat auf dem mutierten Gen nicht zwangsweise die gleiche Anzahl von CAGs wie sein betroffenes Elternteil. Mitunter könnte ein Vater 40 CAGs haben, sein Sohn 41 und seine Tochter 48. Von der Anzahl hängt das Alter des Ausbruchs ab, daher könnten diese engverwandten Personen in ganz unterschiedlichen Lebensphasen beginnen, Symptome zu zeigen. Bei dieser Änderung der Anzahl von CAG-Wiederholungen spricht man auch von “Keimbahn-Instabilität”.
Somatische Instabilität unterscheidet sich davon, da sie im Laufe des Erwachsenenlebens und nur in bestimmten Bereichen des Körpers auftritt. Beispielsweise würde bei einer 25-jährigen Person im Blut eine Anzahl von 42 CAGs gemessen. Wenn der Test viele Jahre später wiederholt würde, käme man wahrscheinlich immernoch zu demselben Ergebnis. Das hängt damit zusammen, dass somatische Instabilität in Blutzellen selten ist. Dank außergewöhnlicher Menschen, die nach dem Tod Ihre Gehirne der Forschung zur Verfügung stellen, können wissenschaftler aber somatische Instabilität im Gehirn untersuchen. Daher wurde bekannt, dass bei einer Person, die mit 25 Jahren im Bluttest 42 CAGs aufwies, zur Zeit ihres Todes etwa 30 Jahre später in einigen Gehirnzellen 45, 60, 100 oder sogar 1000 CAGs entstanden sein können.
Welche Gene beeinflussen somatische Instabilität und warum ist das von Interesse?
„Beobachtungsstudien wie diese sind essenziell für die Planung von Medikamentenstudien, da sie den Forschern helfen, fundierte Entscheidungen zu Zeitrahmen und Endpunkten zu treffen. “
In den vergangenen Jahren konnten durch Gen-Studien an tausenden Huntington-Betroffenen wichtige Erkenntnisse zur somatischen Instabilität und DNA-Reparatur gewonnen werden. Darunter Anzeichen dafür, dass die kontinuierliche Verlängerung des CAG-Stranges zu einem früheren Ausbruch von Symptomen führen kann. Oder, dass Unterschiede von nur einem Buchstaben im DNA-Reparaturgen das Ausbruchsalter mitbestimmen können. Eine große Studie vor ein paar Jahren zeigte, dass Betroffene mit nur leicht unterschiedlichen Versionen des DNA-Reparaturgens “FAN1” zu deutlich verschiedenen Zeitpunkten Symptome entwickelten.
FAN1 trägt gewöhnlich zur DNA-Reparatur bei, indem es hilft, Stränge der Doppelhelix zu trennen, die sich verklebt haben. Ohne FAN1 scheint die Vervielfältigungsarbeit an der DNA an der Stelle der CAG-Wiederholungen schief zu laufen, und es werden zusätzliche CAGs hinzugefügt. Eine Studie, die im Juni 2020 veröffentlicht wurde, beschäftigt sich nähergehend mit FAN1 und dessen Rolle bei der Huntington-Krankheit. Die Versuche dazu wurden von einem Konsortium aus Huntington-Genspezialisten aus den USA und Großbritannien durchgeführt. Leider der Studie war Dr. Jong-Min Lee an der Harvard Medical School. Sie zeigten, dass abhängig von der Form des FAN1-Gens geringere oder größere Mengen des FAN1-Proteins hergestellt werden und dass DNA-Reparaturen besser oder schlechter durchgeführt werden. Normalerweise spielen geringe genetische Abweichungen bei FAN1 kaum eine Rolle, aber bei der Huntington-Krankheit ist eine reibungslos ablaufende DNA-Reparatur von ausschlaggebender Bedeutung. Betroffene mit bestimmten Formen von FAN1 wiesen entweder einen viel früheren oder einen viel spätern Ausbruch von Symptomen auf, als von der reinen CAG-Anzahl her erwartet.
Zusätzlich zu FAN1 gibt es eine Anzahl anderer Gene, die das Ausbruchsalter bei der Huntington-Krankheit beeinflussen, man bezeichnet sie als “genetische Einflussnehmer”. Bis jetzt handelt es sich bei diesen Genen NICHT um etwas, dass bei der Huntington-Diagnose abgeprüft wird. Allerdings legt die jüngste Forschung nahe, dass ein Screening von Huntington-Betroffenen in Bezug auf FAN1 und andere genetische Einflussnehmer künftig von Nutzen sein könnte. Dadurch könnte individuell genauer vorhergesagt werden, wie sich die Krankheit bei einer Person entwickeln könnte oder es könnten gezieltere klinische Studien mit einheitlicheren Teilnehmerkohorten verwirklicht werden. Bereits jetzt führt das genauere Verständnis der Wirkung von FAN1 und anderen DNA-Reparaturgenen auf die Huntington-Krankheit zu neuen Strategien für Therapien, die die DNA-Reparatur verbessern und die CAG-Vermehrung verlangsamen sollen. Nichts dergleichen wäre möglich ohne die Teilnahme von Betroffenen an den Studien, die ihre Zeit, Energie und ihre Blutproben beispielsweise für Beobachtungsstudien wie Enroll-HD zur Verfügung stellen.
Wo findet somatische Instabilität statt?
Somatische Instabilität ist zu einem gewissem Grad in jedem Körperteil zu finden, jedoch gibt es große Variationen zwischen verschiedenen Zelltypen. Beispielsweise zeigt sich in Blutzellen eine sehr geringe Instabilität, weshalb der Gentest zur Diagnose über eine Blutprobe mit hoher Wahrscheinlichkeit über die Lebensdauer hinweg wiederholt das gleich Ergebnis zeigt.
In kürzlich veröffentlichten Arbeiten wurden ausführlichere Analysen darüber erstellt, wie stark die somatische Instabilität in verschiedenen Körperteilen ist und es wurden präzise Level der Instabilität in den einzelnen Hirnregionen ermittelt. Eine internationalen Gruppe aus Harvard (USA), Bochum (Deutschland), aus den Dres. Vanessa Wheeler, Ricardo Mouro Pinto, Larissa Aning und ihren Mitarbeitern zeigte unlängst, dass die Hirnregionen Cortex und Nucleus caudatus die größte Instabilität von CAG-Wiederholungen auf dem Huntington-Gen aufweisen. Diese Analyse konnte dank Gehirnspenden von Huntington-Patienten nach deren Tod durchgeführt werden. Interessanterweise arbeiteten die Forscher ebenfalls heraus, dass andere Gene mit CAG-Wiederholungen, beispielsweise, die Gene, die spinocerebellare Ataxie (SCA) hervorufen, ebenso in den Bereichen Cortex und Nucleus caudatus Instabilitäten zeigten.
Außerhalb des Nervensystems stellten sich die Leber und die Hoden als Orte mit den höchsten Instabilitäten heraus. Als Mouro Pinto und Kollegen sich die Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit von Huntington-Patienten anschauten, konnten sie auch dort Instabilität beobachten, allerdings in geringerem Maße. Die Instabilität im Gehirn an lebenden Patienten zu messen ist natürlich bis heute nicht möglich, daher nähern sich die Forscher über die Messung anderer Gewebeproben an. Auch wenn die Instabilität im Nervenwasser gering zu sein scheint, geht man davon aus, dass es sich um einen guten Hinweis auf die Instabilität im gesamten Patienten handelt und eventuell um einen guten Biomarker für die Beobachtung des Krankheitsfortschritts durch Zuständige im Gesundheitswesen.
Wie können wir somatische Instabilität ansteuern, um die Huntington-Krankheit zu behandeln?
Forscher auf dem Gebiet der Huntington-Krankheit wissen schon recht lange, dass die Höhe der somatischen Instabilität in einem Patienten den Zeitpunkt des Ausbruchs von Symptomen beeinflusst. Ihre Hypothese besagt, dass eine stärkere Instabilität zu mehr CAG-Wiederholungen und damit zu einem früheren Ausbruch von Symptomen führt. Falls es ihnen gelingt, die Instabilität zu beschränken, könnte es sich um einen hilfreichen Ansatz für eine Behandlung der Krankheit handeln.
Datensätze aus den letzten 5 Jahren in etwa, die andere genetische Faktoren mit Einfluss auf die Huntington-Krankheit, beleuchteten die Frage, warum bei manchen Patienten eine größere Instabilität vorliegen könnte, als bei anderen. Wenn Patienten einen einzigen Buchstabendreher beispielsweise in FAN1 aufweisen, geht man davon aus, dass die Instabilität sich bei ihnen verändert. Die genetischen Einflussnehmer könnten also ein gutes Zielobjekt für eine künftige Medikation sein, man könnte die weitere Vermehrung der CAGs verhindern oder gar ihre Anzahl verkleinern.
Einer der vielversprechendsten Wirkstoffe, die sich aus diesen großangelegten Genanalysen ergaben, ist ein DNA-Reparaturgen namens MSH3. Einzelne Buchstabenänderungen innerhalb MSH3 können auch das Ausbruchsalter beeinflussen. Wissenschaftler glauben, dass ein mögliches Medikament, dass MSH3 hemmt, das Ausmaß der somatischen Instabilität eingrenzen kann. Es gibt daher eine Anzahl verschiedener wissenschaftlicher Gruppen, die sich mit diversen Strategien zur Ansteuerung von MSH3 beschäftigen und einige aufregende noch unveröffentlichte Erkenntnisse wurden auf dem HD Therapeutics Meeting 2020 in Palm Springs diskutiert.
Wer ist an der Medikamentenforschung gegen somatische Instabilität bei der Huntington-Krankheit beteiligt?
Die Huntington-Gemeinschaft beinhaltet dutzende Firmen und Organisationen, die daran arbeiten, Heilungsstrategien für die Huntington-Krankheit zu entwickeln. Darunter gibt es auch viele, die sich aufgrund der oben beschriebenen Erkenntnisse, darum bemühen Wirkstoffe zu isolieren, die die somatische Instabilität oder allgemeiner die DNA-Reparatur beeinflussen.
LoQus23 Therapeutics ist eine der Firmen im Bereich der DNA-Reparatur, gegründet aus Mitgliedern des Dementia Discovery Fund, der in neue Medikamente für neurodegenerative Erkrankungen investiert. Sie wollen Proteine im DNA-Reparaturmechanismus ansteuern, indem sie kleine Moleküle einsetze, die später als Tablette einnehmbar wären. Während ihrer Präsentation bei der HDSA Virtual Convention verbildlichten sie ihren Ansatz mit einer Gruppe aus Stoffhasen und -bären. Eine weitere Firma auf dem Gebiet ist Triplet Therapeutics, die sich mit möglichen Wirkstoffen für Krankheiten wie Huntington beschäftigt, die durch sich zu oft wiederholende Gensequenzen verursacht werden. Wie von den Huntingtin-Verminderungsmethoden bekannt, setzt auch Triplet Therapeutics kleine Genabschnitte, so genannte Antisense-Oligonukleotide (ASOs) ein und experimentiert auch mit “small interfering RNAs” (siRNAs). Sie hoffen, die Aktionen und das Vorkommen bestimmter Proteine zu reduzieren, die bei der DNA-Reparatur eine Rolle spielen.
Tatsächlich beteiligt sich Triplet Therapeutics gerade an einer Studie, die das Fortschreiten der Huntington-Krankheit genauestens untersucht, sie heißt SHIELD-HD natural history study. Es sollen 60 Huntington-Patienten über zwei Jahre hinweg beobachtet werden, um die durch Huntington verursachten Veränderungen bei der Reparatur von DNA-Schäden und die somatische Instabilität besser zu verstehen. Es werden unterschiedliche Messungen an den Patienten zu diesem Zweck durchgeführt. Man beobachtet Symptome, nimmt Blut- und Nervenwasserproben. Beobachtungsstudien wie diese sind essenziell für die Planung von Medikamentenstudien, da sie den Forschern helfen, fundierte Entscheidungen zu Zeitrahmen und Endpunkten zu treffen.
Teilnahme an künftiger Huntington-Forschung
Die Zeit, die zwischen der Entdeckung einer möglichen Wirksubstanz und einer Beobachtungsstudie wie SHIELD-HD vergeht ist meistens viel länger. Einer der Hauptgründe für die zügigen Fortschritte in der Hutington-Forschung ist die rege Teilnahme von Freiwilligen aus der Huntington-Gemeinschaft. Daten und Proben aus großangelegten Beobachtungsstudien bestärken die Analysen, die die Medikamente von morgen identifizieren. Die Wichtigkeit der regen Teilnahme an Studien wie Enroll-HD wird hierdurch erneut unterstrichen.
Im Fall der somatischen Instabilität hat die Entschlüsselung der DNA-Reparatur mithilfe tausender Proben von Patienten den bahnbrechenden Unterschied gemacht. Die Forscher haben schnellen Zugriff zu den Informationen, um die Biologie der DNA-Reparatur tiefer zu erforschen, herauszuarbeiten, welche Gene besonders wichtig sind und darauf basierend neue Medikamente zu entwickeln. Auch Ähnlichkeiten zu anderen Nervenkrankheiten in Bezug auf die genetischen Einflussnehmer und die Verwundbarkeit der DNA-Reparatur konnten aufgedeckt werden. Wir sind sicher, dass die Erkenntnisse bedeutend für künftige medizinische Innovationen sein werden.