Melatonin-Behandlungserfolg bei HK-Mäusen
Melatonin verzögert Ausbruch der HK und verlängert Überleben bei kranken Mäusen - könnte es dies auch bei Patienten?
Von Professor Ed Wild 25. Januar 2012 Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Lisanne Mütze Ursprünglich veröffentlicht am 31. Oktober 2011
Melatonin, ein Hormon, das von der Zirbeldrüse im Gehirn produziert wird, wird in Tablettenform zur Behandlung von Schlafstörungen verwendet. Neue Forschungen weisen darauf hin, dass es den Verlauf der Huntington-Krankheit (HK) verlangsamt, bisher jedoch nur im Mausmodell - eine gute Nachricht, aber es bedeutet nicht, dass jeder Betroffene es gleich einnehmen sollte.
Melatonin und die Zirbeldrüse
Melatonin ist ein Hormon - ein Signalmolekül, das vom Körper produziert und in die Blutbahn freigesetzt wird.
Bei Mensch und Tier wird Melatonin von der Zirbeldrüse produziert, eine etwas mysteriöse Struktur, die tief im Gehirn liegt. Die Zirbeldrüse wird auch als ‘drittes Auge’ bezeichnet, da sie bei einigen Eidechsen auf der Oberseite des Kopfes angesiedelt ist und zum wahrnehmen der Schatten von fliegenden Raubtieren dient.
Licht und Dunkelheit sind auch für die menschliche Zirbeldrüse und das Melatonin, welches sie produziert, wichtig. Die Zirbeldrüse empfängt Lichtsignale von den Augen und schüttet Melatonin aus, wenn es dunkel ist. Melatonin wirkt sich auf die Schlaf-Zentren im Gehirn aus und macht uns schläfrig. Der Abfall am Tage und der nächtliche Anstieg des Melatoninspiegels regeln unseren Schlaf- und Wachrhythmus, entsprechend der Veränderungen im Tageslicht.
Wie funktioniert Melatonin?
Die kurze Antwort lautet, dass es nicht wirklich bekannt ist. Wie die meisten Hormone, wird Melatonin aus einer Drüse ausgeschüttet und zirkuliert im Blut. Hier trifft es auf so genannte ‘Rezeptor’-moleküle, welche sich auf der Oberfläche von Zellen befinden. Es sind 2 Arten von Melatonin-Rezeptoren bekannt, MT1 und MT2. Wenn Melatonin an einen Rezeptor bindet, wird eine Reihe von chemischen Reaktionen innerhalb der Zelle ausgelöst. Diese verursachen subtile Veränderungen in der Aktivierung bestimmter Gene. Es sind wahrscheinlich diese Änderungen in der Genaktivierung, welche den Einfluss von Melatonin auf den Schlaf bewirken.
Jenseits des Schlafens
Dennoch überrascht Melatonin die Wissenschaftler noch. Im Gegensatz zu vielen anderen Hormonen besitzt Melatonin potentiell wichtige chemische Eigenschaften, abgesehen von seiner Fähigkeit MT1 und MT2-Rezeptoren zu aktivieren. Es ist ein Antioxidant. Diese Stoffgruppe ist in der Lage, schädliche Nebenprodukte der Zellatmung (Prozess der Gewinnung von Energie aus der Nahrung) unschädlich zu machen.
Aufgrund dieser Eigenschaften ist es naheliegend, dass Melatonin sich weit über die Regulierung des Schlafs hinaus auswirken könnte - einschließlich möglicher positiver Auswirkungen auf Dinge wie Gedächtnisfunktionen und Krebsleiden. Allerdings ist der Beweis für solche Effekte nicht erbracht.
Melatonin als Medikament
Melatonin ist in Form von Tabletten erhältlich. In den USA und Kanada ist es frei, in Europa nur auf Rezept, erhältlich. Es ist zur Nacht einzunehmen, um den Schlaf zu fördern, und somit sehr beliebt bei Schichtarbeitern und nach Langstreckenflügen.
Die Menge an Melatonin, welches von der Zirbeldrüse produziert wird, nimmt mit zunehmendem Alter ab. Deshalb ist Melatonin in einigen Ländern nur für die Behandlung von älteren Menschen zugelassen.
Nicht alle Melatonin-Tabletten sind gleich, die Dosen variieren deutlich. Einige Tabletten haben eine 'verlängerte Freisetzung’. Dies bedeudet, dass das Melatonin allmählich und nicht einmalig freigesetzt wird. Diese Art von Tabletten, zur Schlafenszeit genommen, imitieren das natürliche Muster von Melatonin am genauesten.
Melatonin bei der Huntington-Krankheit
Einige Menschen mit Chorea Huntington nehmen Melatonin bereits ein und es gewinnt an Popularität bei HK- Ärzten. Schlafstörungen, vor allem ein gestörtes Muster von Schlafen und Wachen, sind üblich bei der HK. Studien haben gezeigt, dass HK- Patienten weniger Melatonin in der Nacht produzieren, als Personen im gleichen Alter, die nicht an der HK erkrankt sind. Dies mag ein Grund dafür sein, dass Personen, die an HK leiden, Schlafstörungen haben können, die sich durch die Einnahme von Melatonin am Abend lindern lassen.
Krankheits-modifizierende und symptomatische Behandlungen
„Melatonin behandelte Mäuse behielten ihre Bewegungskontrolle einige Wochen länger bei, und überlebten rund 20% länger “
Eine ‘Modifikation der Krankheit’ wäre der heilige Gral für die Forscher der Huntington-Krankheit. Ein Krankheits-modifizierendes Medikament reduziert die Schäden, welche durch die Krankheit verursacht werden. Hierdurch werden die Symptome gelindert oder verhindert.
Zurzeit wird Melatonin zur ‘symptomatischen’ Behandlung genutzt - das bedeutet, dass Symptome, wie z.B. die Schlafstörungen, gelindert werden. Diese Behandlung verhindert jedoch nicht das Voranschreiten der HK.
Es gibt viele symptomatische Behandlungen für verschiedene Aspekte der HK, die einen großen Unterschied für Erkrankte machen können. Effektive symptomatische Behandlungen sind besser als nichts - aber das eigentliche Ziel sind Krankheits-modifizierende Behandlungen. Im Idealfall erweisen sich Krankheits-modifizierende Behandlungen auch als Symptom lindernd.
Könnte Melatonin auch Krankheits-modifizierend sein?
Im Jahr 2008 hat sich eine Gruppe von Forschern um Dr. Robert Friedlander von der University of Pittsburgh, USA, gefragt, ob bereits auf dem Markt befindliche Medikamente Neurone vor Schäden schützen können. Sie testeten mehr als tausend Medikamente und Melatonin war eines von nur zwei, welches einen Effekt zeigte.
Unsere Zellen verfügen über Mechanismen, um mit bedrohlichen Situationen umzugehen. Zum einen gibt es Stressantworten, die vor Gefahren, wie zum Beispiel übermäßiger Hitze, schützen. Wenn diese Mechanismen nicht ausreichen und eine Zelle irreparabel beschädigt wird, kann sie sich kontrolliert opfern, um Schäden an benachbarten Zellen zu verhindern. Wissenschaftler nennen diese edle Tat ‘programmierter Zelltod’ oder ‘Apoptose’.
Während ihrer Arbeiten 2008 verabreichte Friedlanders Team Melatonin an Zellen mit der HK-Mutation, die in einer Petrischale gezüchtet wurden. Diese Zellen lebten länger und zeigten weniger chemische Anzeichen des programmierten Zelltods. Dies war ein frühzeitiger Hinweis auf eine mögliche Krankheits-modifizierende Wirkung von Melatonin bei der HK.
Was ist neu?
Seit 2008 versuchte Friedlander herauszufinden, auf welche Weise Melatonin Zellen mit der HK-Mutation schützt. Eine neue Publikation im “Journal of Neuroscience” (eine neurobiologische Fachzeitschrift) zeigt die Fortschritte die gemacht wurden auf.
Durch eine Reihe von verschiedenen Experimenten zeigte Friedlanders Team, dass eine Melatonin-Behandlung eine Reihe von unterschiedlichen Effekten an den im Labor gezüchteten Zellen hervorruft. Melatonin behandelte Zellen wiesen eine geringere Aktivität in den Systemen des programmierten Zelltods auf, eine stabilere elektrische Aktivität und effektivere Abfallentsorgung. Jeder dieser Effekte könnte sich als hilfreich erweisen.
Friedlander fragte sich, ob diese Effekte durch die Bindung von Melatonin an die MT1 und MT2-Rezeptoren bedingt wurden, oder ob es einen direkten chemischen Effekt durch die antioxidativen Eigenschaften von Melatonin gab.
Bei Zellen, in denen die Bildung des MT1-Rezeptors verhindert wurde, zeigte sich keine schützende Wirkung durch Melatonin. Das deutet darauf hin, dass die Aktivierung des MT1-Rezeptors durch Melatonin einen entscheidenden Schritt darstellt. Die Unterbindung des MT2-Rezeptors hatte keine negativen Auswirkungen auf die schützende Wirkung von Melatonin.
Melatonin-Behandlung bei HK-Mäusen
Der nächste Schritt war, Melatonin in einem Tiermodell der HK zu testen. Friedlander wählte ein HK- Mausmodell, das R6/2-Maus genannt wird. R6/2-Mäuse erkranken schnell, so dass sie auch schnell zum testen von Wirkstoffen hergenommen werden können. In der Regel sterben sie innerhalb von 6 Monaten nach der Geburt, wohingegen eine normale Maus mehrere Jahre alt werden kann.
Schon von jung auf wurde der Hälfte an Mäusen täglich Melatonin per Injektion verabreicht, wohingegen die andere Hälfte Placebo-Injektionen erhielt. Die Mäuse, welche Melatonin verabreicht bekamen, behielten ihre Bewegungskontrolle um einige Wochen länger, litten weniger an einer Abnahme des Gehirnvolumens und überlebten länger - ihre Lebensspanne war 20% länger. Zudem waren einige chemische Marker des Zelltods in den Melatonin behandelten Mäusen reduziert.
Eine Melatonin-Behandlung wendete jedoch nicht alle Auswirkungen der HK-Mutation ab - die Mäuse verloren dennoch an Gewicht, starben vorzeitig, und reicherten weiterhin Klümpchen des Huntingtin- Proteins in ihren Neuronen an.
Wie sieht die Situation beim Menschen aus?
Friedlanders Team brachte seine Arbeit zum Abschluss, indem sie die Melatonin-Signalwege in Gehirnen untersuchten, die von HK-Patienten nach ihrem Tod gespendet wurden - ein kostbares Geschenk an die HK-Gemeinschaft.
Sie fanden ein verringertes Auftreten der MT1-Rezeptoren - wie sie es schon in der Zellkultur mit der HK-Mutation beobachtet hatten. Das beweißt nicht, dass eine Melatonin-Behandlung im Menschen erfolgreich wäre, legt aber Nahe, dass die in Zellkultur beobachteten Veränderungen der Zellen im menschlichen Gehirn widergespiegelt werden.
Sollte ich Melatonin einnehmen?
Durch sorgfältige Forschung hat Friedlanders Team die nützliche Wirkung von Melatonin auf Zellen mit der HK-Mutation deutlich gezeigt. Ein 20%iger Anstieg der Lebenserwartung und eine Verzögerung der Symptome in HK-Mäusen sind ermutigende Ergebnisse.
Allerdings ist es noch zu früh, um von Melatonin als Krankheits-modifizierendes Medikament zu sprechen. Es wäre verfrüht den Schluss zu ziehen, dass HK-Betroffene Melatonin zur Vorbeugung oder zur Verlangsamung der Krankheit einnehmen sollten.
Melatonin ist nicht der erste Wirkstoff, der zu einer Verbesserung der R6/2-Maus geführt hat - tatsächlich haben dies dutzende von Medikamenten schon zuvor getan. Doch bisher scheiterte jedes dieser Medikamente daran, den gleichen Nutzen in menschlichen Patienten zu zeigen. Die R6/2-Maus ist schlichtweg einfacher zu behandeln als menschliche Patienten.
Studien am Menschen sind teuer, wenn sie ordnungsgemäß ausgeführt werden, und jede birgt Risiken für die Teilnehmer. Aus diesem Grund sind viele HK-Forscher der Meinung, dass Medikamente in verschiedenen Tiermodellen getestet werden müssen, um die Besten auszuwählen, die in Studien an Menschen übernommen werden.
Natürlich hat Melatonin den Vorteil, dass es für den menschlichen Gebrauch zugelassen ist, so dass es bereits durch wichtige Sicherheits-Studien gegangen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es sicher oder effektiv für die Behandlung von HK ist.
Kürzlich hat sich gezeigt, dass Minocyclin, ein weiteres Medikament, welches in HK- Mäusen gut funktionierte, bei HK-Patienten unwirksam ist. Alarmierend war, dass Minocyclin den Krankheitsverlauf verschlechtert hat, als es an einer Motorneuron Erkrankung (ALS) getestet wurde. Diese Art von unerwarteten Ergebnissen ist der Grund warum es so wichtig ist, Wirkstoffe gründlich in kontrollierten Studien zu testen.
Demnach muss Melatonin weiterhin an Tieren untersucht werden, und eine Erprobung an menschlichen Patienten könnte dann der nächste Schritt sein.
Mittlerweile ist Melatonin bereits im Einsatz zur Behandlung der Schlafsymptome der Huntington-Krankheit. Es stehen mehrere Schlaf fördernde Medikamente zur Auswahl. Die Ergebnisse für Melatonin in HK-Mäusen könnte ein zu berücksichtigender Faktor bei der Entscheidung sein, welches Medikament getestet werden sollte.