Von Dr Sarah Hernandez Bearbeitet von Dr Leora Fox Übersetzt von Rebecca

In der Wissenschaft ist es bereits seit einer Weile bekannt, dass die Huntington-Krankheit zu einem beschleunigten Verlust von Neuronen führt. Was wäre, wenn es eine Möglichkeit gäbe, die abgestorbenen Neuronen zu ersetzen? In einer neuen Studie gelang es Forschern dank einer verblüffenden Methode genau das bei lebenden Mäusen zu erreichen - sie verwandelten andere Hirnzellen in Neuronen und erhielten vielversprechende Ergebnisse.

Neuronen sind nicht alleine

In der Huntington-Forschung beschäftigt man sich viel mit Neuronen. Das ist auch verständlich. Neuronen sind die Zellart im Gehirn, die von der Huntington-Krankheit am meisten betroffen ist und gleichzeitig sind es genau diese Zellen, die Nachrichten austauschen, um unsere Bewegungen, Stimmungen und Erinnerungen zu ermöglichen. Sie sind wie Programmierer im Gehirn, die Information in Aktionen umsetzen.

Insbesondere Neuronen in einem Bereich des Gehirns namens Striatum - stratiale Neuronen - tendieren zu hoher Empfindlichkeit gegenüber der Huntington-Mutation. Momentan weiß man noch nicht genau, warum genau diese Zellen so empfindlich sind. Wissenschaftler wissen aber, dass Huntington-Symptome in direktem Zusammenhang mit dem Verlust der Neuronen in diesem Hirnareal stehen.

Gehirnzellen: Es gibt viele verschiedene Arten von Zellen im Gehirn: Neuronen sind nur eine davon. Bei ihnen handelt es sich allerdings um eine besonders empfindliche Zellart in Bezug auf die Huntington-Krankheit.
Gehirnzellen: Es gibt viele verschiedene Arten von Zellen im Gehirn: Neuronen sind nur eine davon. Bei ihnen handelt es sich allerdings um eine besonders empfindliche Zellart in Bezug auf die Huntington-Krankheit.

Eigentlich gibt es aber viele verschiedene Zelltypen im Gehirn. Die häufigste Art sind nicht etwa die Neuronen, sondern Gliazellen. Zu ihnen gehören wieder verschiedene Unterarten im Gehirn und im Rückenmark. Sie unterstützen, isolieren und beschützen. Sie sind wie eine Art Bodyguard des Gehirns und stellen sicher, dass andere Zellen den Schutz haben, den sie brauchen, um ihre Aufgaben zu erfüllen.

Eine Art der Gliazellen trägt den Namen Astrozyten oder Sternzellen. Aus ihnen besteht ein großer Teil unseres Nervensystems, in etwa 30%. Da man sie überall im Gehirn findet, existieren sie auch in Bereichen, in denen im Verlauf der Huntington-Krankheit Neuronen absterben, auch im Striatum. Im Gegensatz zu Neuronen beenden Gliazellen ihre Zellteilung nicht, sobald sie ausgewachsen sind, sondern behalten die Zellteilung bei.

Kürzlich haben sich Forscher den Überfluss an Gliazellen im Gehirn und ihre Reproduktionseigenschaften zu Nutze gemacht: mithilfe einer Technologie verwandelten sie Astrozyten in Mäusegehirnen in neue, funktionierende Neuronen. In unserer Analogie brachten sie also die Bodyguards dazu ihren Job mit den Programmierern zu tauschen.

Auch genannt: Neuron

Die Forschungsarbeit wurde von Dr. Gong Chen geleitet. Er war zuvor Professor an der Penn State University und leitet nun das Institute of CNS regeneration der Jinan Universität in China. Seine Gruppe beschäftigt sich mit einer Technologie der Zellumwandlung, die als direkte Konversion bezeichnet wird.

Kürzlich haben sich Forscher den Überfluss an Gliazellen im Gehirn und ihre Reproduktionseigenschaften zu Nutze gemacht: mithilfe einer Technologie verwandelten sie Astrozyten in Mäusegehirnen in neue, funktionierende Neuronen.

Die Methode erlaubt es den Wissenschaftlern verschiedene Zelltypen, zum Beispiel Astrozyten in Neuronen umzuwandeln, indem chemische Stoffe zugesetzt werden, die Einfluss auf die Gene nehmen, die die Rolle der Zellen bestimmen. Sie ändern sozusagen ihre Stellenbeschreibung. Es ist eine Methode, die schon häufig und seit längerer Zeit in Laboren in der Petrischale angewendet wurde.

Was war nun also besonders an dem Bericht zu dieser Studie und wieso war dem Journal Nature Communications es wert, das ganze zu veröffentlichen? Der Grund ist, dass die Forscher hier die direkte Konversion innerhalb der Gehirne von lebendigen Mäusen durchführen konnten. Mittels eines unschädlichen Virus wurden die notwendigen chemischen Stoffe zu den Astrozyten transportiert, um sie so anzuregen, dass sie ihre Funktion ändern und zu Neuronen werden. So konnten sie also einige der zahlreich vorhandenen Astrozyten in wahrscheinlich sehr wertvolle striatale Neuronen verwandeln - eine tolle Leistung!

Natürlich klingt das erst mal bedenklich: sie nutzten ein Virus? Insbesondere in Zeiten der globalen COVID-19-Krise wollen wir davon eigentlich am liebsten nichts mehr hören. In diesem Fall handelt es sich jedoch um eine wirklich unschädliche und häufig genutzte Methode. Man verwendet dabei eigentlich nur die Hülle des Virus, das meist schädliche Innenleben wurde entfernt. Wie eine Art Briefumschlag, in dem Man einen Brief mit beliebigem Inhalt stecken kann, werden in die Virushülle dann die gewünschten Anleitungen für die Zellen hineingesteckt.

Eine neue Aufgabe im Unternehmen oder ein Firmenwechsel

Eine wichtige Erkenntnis aus der Veröffentlichung ist, dass die Gesamtzahl der Astrozyten mit der Zeit nicht abnahm. Durch Zellteilung hatten sie ihre eigene Anzahl konstant gehalten, obwohl einige von ihnen abgezogen wurden, um zu Neuronen zu werden. Es handelt sich also um eine Methode, die abgestorbene Neuronen ersetzt, ohne die Astrozytenpopulation insgesamt negativ zu beeinflussen. Weiterhin konnte der ganze Prozess lokal im Striatum durchgeführt werden, genau dort, wo neue Neuronen besonders dringend gebraucht werden könnten.

Zellen im Gehirn können dazu gebracht werden, einen neuen Job anzunehmen. So entstehen aus anderen Zellarten möglicherweise sehr wertvolle Neuronen, die durch die Krankheit abgestorbene Neuronen ersetzen könnten.
Zellen im Gehirn können dazu gebracht werden, einen neuen Job anzunehmen. So entstehen aus anderen Zellarten möglicherweise sehr wertvolle Neuronen, die durch die Krankheit abgestorbene Neuronen ersetzen könnten.

Chen und seine Kollegen konnten auch beobachten, dass die neuen Neuronen genau wie die alten Signale sendeten. Sie verbanden sich mit anderen Hirnbereichen und was noch erfreulicher ist, die untersuchten Huntington-Mäuse konnten sich nach der Behandlung besser bewegen und lebten länger. All das klingt sehr vielversprechend.

Nun ist die Idee verlorene Neuronen durch neue zu ersetzen nicht neu. Was allerdings diesmal anders ist, ist, dass frühere Studien neue Zellen mittels Operationen einbrachten, man spricht hier von Zelltransplantation. In Bezug auf unseren Vergleich mit dem Jobwechsel wäre es so, als würden bei Chen und Kollegen die Zellen den Job innerhalb des gleichen Unternehmens ändern, während bei vorangegangenen Studien die Zellen einen Job in einer ganz neuen Firma annehmen mussten.

Verschiedene Forschergruppen haben mit der Zelltransplantation als Therapie gegen die Huntington-Krankheit experimentiert. Einige von Ihnen sind bereits auf dem Weg der Vorbereitung von klinischen Studien. In der jüngeren Vergangenheit verwendete man unausgereifte Zellen wie Stammzellen oder neurale Vorläuferzellen, die noch nicht völlig auf einen bestimmten Zelltyp festgelegt sind. Erst durch ihre Umgebung sollen sie die Informationen bekommen, die ihnen sagen, welche Zelltypen gebraucht werden.

Zelltransplationen zeigen Potenzial, bergen aber auch Risiken. Es gibt keine Garantie dafür, dass die Zellen sich genau zu den Arten von Neuronen ausbilden, die benötigt werden. Außerdem ist nicht sicher, ob die Zellen auf lange sicht überleben, da sie sich nicht in ihrer angestammten Umgebung befinden.

Was noch erfreulicher ist, die untersuchten Huntington-Mäuse konnten sich nach der Behandlung besser bewegen und lebten länger.

Chen konnte diese Risiken minimieren, weil seine chemischen Stoffe ganz spezifische Prozesse steuern, die Astrozyten in striatale Neuronen umwandeln. In diesem Fall ist exakt festgelegt, welcher Zelltyp am Ende entsteht und wo dieser Zelltyp entsteht.

Bereit für den großen Auftritt?

Was man bei diesem Ansatz nicht vergessen sollte, ist dass die Astrozyten aus einer Huntington-Maus stammen. Damit enthalten sie die gleiche genetische Mutation, die die Huntington-Krankheit verursacht. Die Forscher wissen bisher noch nicht genau, was das für die Lebensdauer der neuen Neuronen bedeutet.

Die Ergebnisse aus der vorliegenden Studie sind durchaus aufregend und möglicherweise handelt es sich um ein weiteres Werkzeug zur Bekämpfung der Huntington-Krankheit. Bisher handelt es sich allerdings um einen ersten Konzeptnachweis und der Weg bis in die Klinik ist noch sehr weit. Was wirklich beeindruckend ist, ist dennoch, dass durch die direkte Konversion Linderungen der Symptome bei den Huntington-Mäusen erzielt werden konnten.

Es ist wahrscheinlich, dass die Technologie bald an größeren Tiermodellen oder beispielsweise in Kombination mit Huntingtin-Verminderung erprobt wird. Sicherlich mit interessanten Ergebnissen. Wir bleiben für Sie dran!

Dr. Leora Fox arbeitet für die Huntington's Disease Society of America (HDSA). HDSA steht in Verbindung mit der Firma NeuExcell, die die vorliegende Arbeit förderte. Beiden haben ein gültiges Verschwiegenheitsabkommen. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...