Huntington und Histamin: Sich um Hybrid-Rezeptoren kümmern, um stressige Ansagen im Gehirn zu unterbinden
Forscher nutzten kürzlich ein Antihistaminikum, um Dopaminübertragungen im Gehirn zu hemmen und Huntington-Symptome bei Labormäusen zu lindern. Ein Hype bezüglich der Nutzung von Antiallergika zur Behandlung der Krankheit ist allerdings unangebracht.
Von Dr Leora Fox 19. Juli 2020 Bearbeitet von Dr Sarah Hernandez Übersetzt von Rebecca Ursprünglich veröffentlicht am 15. Juli 2020
Dopamin ist ein wichtiger chemischer Botenstoff im Gehirn, der durch die Huntington-Krankheit aus dem Gleichgewicht gerät. Wissenschaftler berichteten kürzlich von einer Methode, mit der das Gleichgewicht wieder hergestellt werden kann und Symptome bei Huntington-Mäusen gelindert werden können. Sie verwendeten ein Anti-Histamin-Medikament, das sich auf Hybrid-Dopamin-Rezeptoren auswirkt. Es handelt sich um einen innovativen Ansatz für die Huntington-Therapie, dennoch sollte man jetzt nicht gleich seine Allergiemedikamente auspacken.
Neurotransmitter: das Gehirn zum Sprechen bringen
Unsere Neuronen kommunizieren mithilfe winziger Bläschen aus chemischen Stoffen von Zelle zu Zelle. Diese lebensnotwendigen Stoffe heißen Neurotransmitter. Sie lösen elektrische Signale aus, die die Aktivität des Körpers und des Gehirns steuern. Einige Neurotransmitter finden sich nur im Gehirn, andere gibt es im Herz, im Immunsystem, Darm oder anderen Körperteilen.
Die Botschaften der Neurotransmitter werden von den Gehirnzellen mittels Rezeptoren ausgelesen. Medikamente setzen häufig an diesen Rezeptoren an, die unsere Gefühle, Wahrnehmungen und Bewegungen beeinflussen. Wirkstoffe, die sich an Rezeptoren binden und Neurotransmitter blockieren oder unterstützen können eine große Bandbreite von Krankheitssymptomen behandeln: von Angststörungen und Migräne bis hin zur Steifigkeit under der Parkinson-Patienten leiden oder den überbordenden Bewegungen der Huntington-Krankheit.
Im Allgemeinen passt jede Art von Neurotransmitterstoff auf einen anderen Rezeptor. Oft verwenden Zellen allerding auch Vielzweckrezeptoren, die mehr als nur eine chemische Verbindung aufnehmen können. Kürzlich untersuchten Wissenschaftler solche Hybrid-Rezeptoren. In ihrem Fall konnten die Rezeptoren zwei verschiedene Neurotransmitter empfangen, Dopamin und Histamin. Die Forscher verwendeten ein Medikament, das die Histaminaufnahme hemmt, verringerten dadurch auch die Dopaminaufnahme und konnten so Symptome bei Huntington-Mäusen lindern.
Leider haben manche Nachrichtenkanäle daraus Überschriften gebastelt, wie man sie sonst oft für Clickbaits findet. Diese legen nahe, dass Antihistamine, die als Allergiemedikamente eingesetzt werden, eingenommen werden können, um die Huntington-Krankheit zu behandeln. Das ist so nicht richtig. Und dennoch zeigt die Wissenschaft hier einen wichtigen Zusammenhang zwischen Dopamin und Histamin auf, der für künftige Behandlungsmethoden weiter untersucht werden könnte.
Dopamin und Histamin
„Beispielsweise verlieren Huntington-Patienten nach und nach die Zellen im Striatum, die auf Dopamin angewiesen sind, um den Muskeln zu sagen, dass sie sich nicht mehr zu bewegen brauchen. Gleichzeitig nutzen anderen Zellen Dopamin, um die Muskeln anzuweisen “bewegt euch, bewegt euch!”. “
Es gibt über hundert Botenstoffe, die man zu den Neurotransmittern zählt. Allerdings ist eine kleinere Gruppe von ihnen für die meisten Botschaften von Neuron zu Neuron verantwortlich. Die feinen Unterschiede zwischen den Nachrichten ergeben sich dann aus den hunderten von verschiedenen Rezeptoren: sie nehmen die Neurotransmitter auf und helfen der Zelle dabei, sich für eine bestimmte Reaktion zu entscheiden. Das führt in unserem Alltag dazu, dass eine große Gruppe von Menschen auf die gleichen Neuigkeiten ganz unterschiedlich reagieren kann.
Wahrscheinlich haben Sie von dem Neurotransmitter Dopamin bereits gehört, es wird im Volksmund als “Glückshormon” bezeichnet. Und tatsächlich spielt es eine Rolle, wenn wir uns über den Gewinn in einem Spiel freuen, die korrekte Antwort auf eine Frage geben oder auch ein Bier trinken. Da es aber an eine Reihe von Rezeptoren binden kann, tritt es auch in Aktion bei der Kontrolle von Bewegungen, bei unserer Wahrnehmung und Motivation, sowie weiteren Vorgängen in Gehirn und Körper. Die verhaltens-, emotionsbezogenen und physischen Symptome der Huntington-Krankheit sind in großen Teilen auf Veränderungen bei der Übertragung von Dopamin im Gehirn zurückzuführen und auf die Verletzung oder den Verlust von den Zellen, die sich normalerweise mittels Dopamin “unterhalten”.
Auch Histamin könnte Ihnen ein Begriff sein. Dieser chemische Botenstoff ist am besten dafür bekannt, dass er uns niesen lässt, wenn bestimmte Bäume blühen oder Schwellungen als Reaktion auf Insektenstiche verursacht. Viele Menschen nehmen regelmäßig Antihistaminika, um die Reaktionen ihres Körpers auf Blüten oder Haustiere zu mildern. Abgesehen von den hier angesteuerten Rezeptoren, gibt es aber noch weitere, die über das ganze Nervensystem verteilt sind - sie regeln das Aussenden von anderen Stoffen und helfen bei der Kontrolle verschiedenster Funktionen wie dem Appetit oder dem Denken. Es ist ein nicht ganz gewöhnlicher Gedanke, Histamin mit der Huntington-Krankheit in Verbindung zu bringen, die Forschung legt allerdings nahe, dass es einen Zusammenhang geben könnte.
Hybrid-Rezeptoren und Huntington-Medikamente
Die Neurotransmitterrezeptoren für Stoffe wie Dopamin und Histamin sind aus Untereinheiten aufgebaut, die man sich wie Lego-Steine vorstellen kann. Manchmal stellen unsere Zellen die Rezeptoren aus zwei unterschiedlichen Typen von Bausteinen zusammen, um einen Hybrid-Rezeptor zu erhalten, der zwei Neurotransmitter empfangen kann. Dopamin-Histamin-Hybrid-Rezeptoren wurden vor einigen Jahren entdeckt und kürzlich konnten Forscher ein Medikament verwenden, das Histamin-Rezeptoren hemmen soll, um die Dopamin-Übertragung zu beeinflussen.
Es ist bekannt, dass Dopamin sich in der Huntington-Krankheit auf mehrere Weisen eigenartig verhält. Insbesondere im Gehirnareal Striatum. Hier gibt es viele Dopaminrezeptoren und das Striatum zeigt sich besonders empfindlich gegenüber Schädigungen durch die Krankheit. Beispielsweise verlieren Huntington-Patienten nach und nach die Zellen im Striatum, die auf Dopamin angewiesen sind, um den Muskeln zu sagen, dass sie sich nicht mehr zu bewegen brauchen. Gleichzeitig nutzen anderen Zellen Dopamin, um die Muskeln anzuweisen “bewegt euch, bewegt euch!”. Und aus anderen Neuronen werden extra Mengen an Dopamin ausgeschüttet, um diese Botschaft zu unterstreichen, was zu einer Überlastung der Kommunikationswege führt. Die Zellen sind gestresst und der Körper der betroffenen Person bewegt sich zu stark, aber auch anderes Verhalten und Denkmuster ändern sich.
Ein Ansatz, um die Belastung der Neuronen zu verringern und die Huntington-Symptome zu mildern, ist eine Verkleinerung der Anzahl an Dopamin-Übertragungen. Man verwendet ein Medikament, dass die Dopaminausschüttung verringert oder eines, dass die Dopaminrezeptoren blockiert. Ähnlich wirken die Medikamente Tetrabenanzine, Deutetrabenanzine und Haloperidol (auch bekannt als Xenazine, Ausedo oder Haldol) und weitere. Sie zeigen sich wirksam bei einer Reihe von Huntington-Symptomen.
Warum also, beschäftigen wir uns mit der Wechselwirkung zwischen Dopamin und Histamin? Nun, wie Sie vielleicht auch wissen, bringen die meisten Medikamente, die sich gezielt mit Dopamin befassen, einige unangenehme Nebenwirkungen mit sich wie Schlaflosigkeit, Stimmungsschwankungen oder sogar Verdauungsprobleme. Daher haben sich einige Forscher damit beschäftigt, wie Dopamin viel gezielter, an spezifischen Orten, beispielsweise im Gehirn angegangen werden kann, ohne dass es in anderen Bereichen des Körpers aufgehalten wird. Einer der Ansätze, um diese Spezifität zu erreichen, ist die Ansteuerung von Hybrid-Rezeptoren.
„Jedoch heißt es definitiv nicht, dass die Antihistaminika, die wir gegen Niesanfälle und tränende Augen einsetzen, auch Neuronen vor der Huntington-Krankheit schützen können. “
Gemischte Botschaft: Ruhig stellen von Dopamin mit Antihistaminika
Eine Gruppe von Wissenschaftlern aus Spanien und dem Vereinigten Königreich angeführt von Dr. Peter McCormick betrachtete also kürzlich einen Dopamin-Histamin-Hybrid-Rezeptor. Der wissenschaftliche Name des Rezeptors ist D1R-H3R-Heteromer: eine Kombination aus H3-Histamin-Rezeptor (H3R) und D1-Dopamin-Rezeptor (D1R). H3R sind wichtig bei der Steuerung von Schlafmustern und Denkprozessen. Es sind NICHT die gleichen Rezeptoren, die bei Allergien eine Rolle spielen. D1R sind die am häufigsten vorkommenden Dopaminrezeptoren im Nervensystem. Sie haben viele Funktionen, zu denen die Kontrolle von Bewegungen und bestimmten Verhaltensweisen zählt.
McCormick und seine Kollegen waren in der Vergangenheit zusammen mit anderen Gruppen an der Entdeckung von D1R-H3R-Heteromeren und der Überschneidung von Dopamin- und Histamin-Übetragung beteiligt. In neuen Experimenten zeigten sie, dass sich diese Rezeptoren überall im Gehirn junger Mäuse finden lassen, auch im Striatum. Beim Heranwachsen gesunder Mäuse blieben diese Hybridzepteroren auch erhalten, aber bei Huntington-Mäusen Begann der Verlust derselben ab einem Alter von etwa fünf Monaten. Das ist für eine Huntington-Maus in etwa kurz bevor dem Zeitpunkt, zu dem die ersten Symptome auftreten: Schwierigkeiten beim erlernen neuer Aufgaben, eine Verwirrtheit in Bezug auf Neues in ihrer Umgebung.
Im nächsten Schritt fragten sich die Forscher, ob sie Gehirnzellen vor übermässiger Dopaminübertragung schützen könnten und so die Mäuse behandeln könnten, indem sie das Histamin aufhielten. Um das zu erreichen, setzten sie ein Antihistaminikum namens Thioperamid ein, das H3-Rezeptoren blockiert. Wenn Thioperamide auf D1R-H3R-Rezeptoren landet, erhalten die Zellen nicht nur weniger Histamin-Botschaften, sondern auch weniger Dopamin. Es ist, wie wenn man irgendwo anruft und die Leitung ist besetzt.
Als die Wissenschaftler den Histamin-Blocker Thioperamid zu Huntington-Zellen, die in einer Petri-Schale gezüchtet wurden, hinzugaben, reagierten die Zellen darauf und überlebten länger als sie mit einem Dopamin-Überschuss konfrontiert wurden. In fünf-Monate-alten Mäusen, bei denen es immermoch einige D1R-H3R-Heteromere gab, konnte Thioperamid Neuronen schützen und Bewegungs- und Verhaltenssymptome der Mäuse verbessern. Allerdings gelang es bei siebenmonatigen Mäusen, die alle Hybridrezeptoren bereits verloren hatten, zwar Neuronen zu schützen, nicht aber die Symptome günstig zu beeinflussen.
Sollten Sie die Allergiemedikamente rausholen?
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass es möglich ist, die Dopamin-Übetragung zu verringern, indem Histamin gehemmt wird. Die zentralen Experimente aus dieser Veröffentlichung wurden an Zellkulturen und Mäusen durchgeführt, die Forscher betrachteten aber auch gespendete Gehirne von Menschen mit und ohne die Huntington-Krankheit. Auch hier fanden die Forscher die D1R-H3R-Heteromere und sahen, dass Menschen mit der Huntington-Krankheit diese mit der Zeit verlieren, genau wie die Mäuse. Am besten hat Thioperamid den Mäusen geholfen, als sie zum ersten Mal Symptome zeigten, was nahelegt, dass die Ansteuerung der Hybrid-Rezeptoren eher früher im Verlauf der Krankheit in Betracht gezogen werden sollte.
Sich die Überschneidung von Histamin- und Dopaminnachrichtenkanälen zu Nutze zu machen, scheint ein guter Ansatz zu sein für die Therapie der Huntington-Krankheit, der sich schon mehrere Male im Laufe des letzten Jahrzehnts gezeigt hat. Jedoch heißt es definitiv nicht, dass die Antihistaminika, die wir gegen Niesanfälle und tränende Augen einsetzen, auch Neuronen vor der Huntington-Krankheit schützen können. Denn jene Medikamente zielen auf andere Histaminrezeptoren ab, nämlich H1 (bei Medikamenten wie Benadryl) oder H2 (bei Wirkstoffen wie Pepcid AC), während Thioperamid den H3-Rezeptor blockiert.
Ein Hauptgrund, sich weiter mit diesem Ansatz zu beschäftigen, ist die Vermeidung von unerwünschten Nebenwirkungen, die die direkte Änderung des Dopaminlevels mit sich bringt. Dennoch hat auch die Ansteuerung von Histamin Nebenwirkungen und Thioperamid bildet keine Ausnahme. Es handelt sich dabei um eins der ersten Medikamente, das jemals entdeckt wurde, um Histaminrezeptoren zu hemmen und wurde schon in klinischen Studien für andere Krankheiten getestet, wo es ernste Nebenwirkungen zeigte, besonders in der Leber.
Auch wenn wahrscheinlich keine klinische Studie mit Thioperamid auf die vorliegende Arbeit folgen wird, handelt es sich hier um den ersten Nachweis, dass die Hybrid-Rezeptoren einen möglichen Angriffspunkt für eine Huntington-Medikation darstellen. In künftigen Studien wird man daher wahrscheinlich auf diese Erkenntnis zurückgreifen, um die Spezifität von Wirkstoffen, die das Gehirn schützen sollen, zu erhöhen und damit Auswirkungen auf andere Bereiche des Körpers zu minimieren. Es zeigt sich hier einer von vielen kreativen Ansätzen für eine Einflussnahme auf die Huntington-Krankheit mithilfe einer Änderung der Art und Weise wie die Neuronen kommunizieren.