"HD Young Adult" Studie findet den besten Startpunkt: symptomfrei mit messbaren Veränderungen
Es ist bekannt, dass Auswirkungen durch die Huntington-Erkrankung bereits viele Jahre vor deren Ausbruch auftreten, aber wie lange vorher ist das genau? Darum ging es bei dieser Studie aus London an jungen Erwachsenen.
Von Dr Sarah Hernandez 1. Juni 2020 Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Rebecca Ursprünglich veröffentlicht am 27. Mai 2020
Eine kürzlich abgeschlossene Studie unter Dr. Sarah Tabrizi in London untersuchte Huntington-Genträger/-innen viele Jahre vor deren vorhergesagtem Ausbruch der Krankheit mithilfe weitreichender klinischer Tests. Ziel der Studie war die Definition eines bestimmten Zeitpunktes: wann zeigt der/die Genträger/-in noch keine Symptome, weist allerdings bereits messbare Abweichungen bei relevanten Biomarkern auf.
Untersuchungen an Patient/-innen etwa 24 Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit
Als Lesende von HDBuzz wissen Sie sicher, dass derzeit verschiedene Medikamentenstudien zur Huntington-Krankheit in der Durchführung sind. Einige der Substanzen steuern direkt das mutierte Gen oder das mutierte Protein an. Was die Forscher bisher noch nicht wissen ist, ab welchem Zeitpunkt es sinnvoll sein könnte, Betroffene mit diesen Medikamenten zu behandeln.
Wann soll eine Behandlung begonnen werden? Viele Forscher gehen davon aus, dass es sinnvoll wäre, möglichst früh zu behandeln, bevor es zum Absterben von Hirnzellen oder dem Abschwächen von Körperfunktionen kommt. Während bisher bereits bekannt war, dass emotionale oder psychische Veränderungen bereits etwa 15 Jahre vor dem Ausbruch von motorischen Symptomen auftreten können, gab es dennoch keine klare Definition, bis zu welchem Zeitpunkt ein Mutationsgenträger noch vollständig gesund ist.
Sarah Tabrizi und ihre Arbeitsgruppe machten sich daher daran, die frühesten Effekte der Huntington-Krankheit zu identifizieren. Sie wollten einen Biomarker finden, der messbar ist, auch wenn es bei den Patienten äußerlich noch zu keinerlei Beeinträchtigungen im Vergleich zu gesunden Gleichaltrigen gekommen ist. Das ist eine Schlüsselinformation, denn schließlich können die Ärzte dann später anhand dieses Biomarkers auch feststellen, ob die Therapie zu Verbesserungen führt und das bereits in den frühesten Stadien der Krankheit.
Der Name der vorliegenden Studie ist “Young Adult Study”, kurz HD-YAS. Es wurden über 130 junge Erwachsene untersucht. Solche mit mutiertem und solche ohne mutiertes Huntington-Gen. Das Durchschnittsalter betrug 29 Jahre und durchschnittlich befanden sich die Mutationsgenträger/-innen etwa 24 Jahre vor dem jeweiligen Ausbruch der Huntington-Krankheit. Es handelt sich um eine der umfassendsten Studien an jungen Erwachsenen, die bisher durchgeführt wurde.
An allen Teilnehmenden wurden mannigfaltige Untersuchungen zu kognitiven und psychischen Gesichtspunkten durchgeführt. Es wurden Aufnahmen des Gehirns, Blutuntersuchungen, Nervenwasserproben, Denkaufgaben und psychologische Tests ausgewertet. Daraus ergibt sich eine sehr weitreichende Datenlage zu den Teilnehmern.
Kognitive und psychische Funktionen werden aufrecht erhalten, aber die Menge an NfL ist erhöht
„Es scheint also gleichgültig zu sein, wie genau man sich Menschen mit mutiertem Huntington-Gen so lange Zeit vor dem Auftreten von bekannten Krankheitssymptomen anschaut: es gibt wirklich diese Phase, in der selbst die sensibelsten kognitiven und psychischen Tests keinen Unterschied zu Menschen ohne Mutation aufdecken können. “
Im ersten Hauptteil der Veröffentlichung geht es um die Untersuchungen mittels kognitiver und psychologischer Tests. Die Ergebnisse sind eindeutig: es konnten keine Unterschiede zwischen Mutationsgenträger/-innen und gesunden Personen festgestellt werden. Es scheint also gleichgültig zu sein, wie genau man sich Menschen mit mutiertem Huntington-Gen so lange Zeit vor dem Auftreten von bekannten Krankheitssymptomen anschaut: es gibt wirklich diese Phase, in der selbst die sensibelsten kognitiven und psychischen Tests keinen Unterschied zu Menschen ohne Mutation aufdecken können.
Die Messung der Größe verschiedener Bereiche im Gehirn sollte Aufschluss darüber bringen, wie frühzeitig sich diese verändern. Eine der am stärksten durch die Huntington-Krankheit betroffenen Hirnregionen ist das Striatum. Das Striatum besteht aus zwei Teilen, dem Putamen und dem Nucleus caudatus. Es ist bekannt, dass diese Areale bei fortschreitender Huntington-Krankheit schrumpfen, da Zellen in ihnen absterben.
Während keine Größenveränderung des Nucleus caudatus gemessen werden konnte, reduzierte sich die Größe des Putamen bei den Personen mit mutiertem Huntington-Gen, kurz der PreHD-Gruppe. Der Unterschied war jedoch gering und entsprach nicht dem vorhergesagten Zeitraum bis zum Ausbruch der Krankheit in dieser PreHD-Gruppe. Es werden noch weitere Studien nötig sein, um zu verstehen, was die hier beobachteten Veränderungen wirklich bedeuten. Keine weitere untersuchte Hirnregion wies Größenveränderungen auf.
Der zweite Hauptteil der Studie drehte sich um Biomarker - also um Werte in Proben von Patienten, die sich mit dem Fortschreiten der krankheit messbar verändern. Wie bereits in mehreren Artikeln bei HDBuzz beschrieben, ist es kritisch für Huntington-Patienten, dass solche Werte bekannt sind. Denn nur so können ihr Gesundheitszustand sowie die Wirkung von eventuellen Medikamenten genau erfasst werden.
Momentan ist einer der zuverlässigsten, bekannten Biomarker das Protein Neurofilament Light, kurz NfL. Es kann zwar in Blutplasma gemessen werden, aber die sensiblere und genauere Methode scheint die Messung von NfL im Nervenwasser zu sein. Einen Artikel von uns über NfL und seine Rolle in Huntington-Studien finden Sie hier.
HD-YAS fand heraus, dass das NfL-Niveau sowohl im Blut als auch in der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit bei der PreHD-Gruppe erhöht war. Da eine solche Erhöhung von Verletzungen in Gehirnzellen ausgelöst wird, bedeutet dies, dass es irgendeine Art von Stress in den Gehirnen der PreHD-Gruppe geben muss, trotz des sehr frühen Zeitpunkts der Studie in Bezug auf den Ausbruch von Symptomen.
Damit sind wir bereits bei der Schlüsselinformation aus dieser Studie angekommen: es gibt einen Zeitpunkt oder Zeitraum, in dem sich erhöhte NfL-Werte nachweisen lassen, obwohl noch keine kognitiven oder psychischen Einschränkungen bei den Betroffenen festgestellt werden konnten. Auch bei äußerlich völliger Gesundheit, kann also über Biomarker-Tests herausgefunden werden, ob beispielsweise ein Medikament wirkt. Genau darum ging es in der HD-YAS-Studie!
Was bedeuten die Studienergebnisse für das Forschungsgebiet und künftige Studien?
Insgesamt konnte HD-YAS zeigen, dass die Konzentration an NfL im Nervenwasser eine sehr frühe Möglichkeit der Erfassung von Auswirkungen der Huntington-Krankheit lange vor dem Ausbruch von Symptomen darstellt. Weiterhin wurde festgestellt, dass Bewegungs-, kognitive und psychische Funktionen bis zu 24 Jahre vor einem solchen Ausbruch nicht beeinträchtigt werden. Das freut uns!
Durch die Kombination der Ergebnisse mit denen aus Studien wie TRACK-HD, PREDICT-HD und ENROLL-HD, bildet sich langsam ein umfassendes, aussagekräftiges Bild. Kombiniert mit früheren Studien können wir dann beispielsweise ableiten, dass erste, subtile Veränderungen von Körperfunktionen etwa in einem Zeitraum zwischen 24 und 15 Jahren vor dem Ausbruch sichtbarer Symptome stattfinden.
„Wir alle hoffen, dass es möglich sein wird, dass Huntington-Patienten auch nach dem Erscheinen von Symptomen ihre vollen Körperfunktionen zurückerhalten. Derzeit kann man das aber noch nicht sagen. Falls sich herausstellen sollte, dass Huntington-Patienten zwingend vor dem Ausbruch solcher Symptome behandelt werden müssen, können wir jetzt allerdings wenigstens sagen, wann dieser Zeitpunkt wäre, und zwar dank HD-YAS. “
Die Ergebnisse der Studie sind also bedeutend für das ganze Forschungsfeld, denn sie weisen auf die Existenz eines gesunden Grundzustands bei Mutationsgenträgern hin. Wenn sich herausstellen sollte, dass es am besten wäre, mit derzeit getesteten Medikamenten, vor dem Ausbruch von Symptomen mit der Behandlung zu beginnen, können wir jetzt sagen, wann dieser Zeitpunkt in etwa wäre und wie die Wirksamkeit gemessen werden kann. Es handelt sich also um eine kritische Information für die Auslegung künftiger klinischer Studien, bei denen die Krankheit letztendlich vollständig verhindert werden soll statt nur ihre Symptome zu mildern.
Ist der Zug für Sie schon abgefahren?
Es ist wichtig zu beachten, dass HD-YAS nicht aussagt, dass die Verminderung von Huntingtin nach dem Ausbruch von Symptomen ohne Wirkung ist. Diese Frage ist immernoch nicht beantwortet. Der volle Umfang der Ergebnisse aus der laufenden Tominersen-Studie (Roche, Phase III), wird den Wissenschaftlern zeigen, ob es Huntington-Patienten möglich ist, kognitive, psychische und motorische Funktionen wiederzuerlangen, nachdem sie sich verschlechtert haben. Es ist daher ausschlaggebend, die tapferen Studienteilnehmer der Tominersen-Studie weiterhin zu beobachten und die Ergebnisse abzuwarten.
Wir alle hoffen, dass es möglich sein wird, dass Huntington-Patienten auch nach dem Erscheinen von Symptomen ihre vollen Körperfunktionen zurückerhalten. Derzeit kann man das aber noch nicht sagen. Falls sich herausstellen sollte, dass Huntington-Patienten zwingend vor dem Ausbruch solcher Symptome behandelt werden müssen, können wir jetzt allerdings wenigstens sagen, wann dieser Zeitpunkt wäre, und zwar dank HD-YAS. Dadurch haben die Wissenschaftler einen Trumpf in der Hand und können gegebenenfalls wertvolle Zeit sparen.