Neue Veröffentlichung zur ersten Huntingtin-Verminderungsstudie
Frisch aus dem Druck - neue Publikation liefert Details zu den Ergebnissen der Phase-I-Studie von Ionis und Roche zur Huntingtin-Verminderung durch ASOs
Von Dr Jeff Carroll 16. Mai 2019 Bearbeitet von Dr Tamara Maiuri Übersetzt von Rebecca Ursprünglich veröffentlicht am 7. Mai 2019
Am 07. Mai erschien das erste wissenschaftliche Papier zu einer Studie der Huntingtin-Verminderung an Huntington-Patienten. Diese Studie, die von Ionis und Roche finanziert wurde, liefert klare Nachweise dafür, dass die Wissenschaftler in der Lage waren, auf sichere Art und Weise die Menge des mutierten Huntingtins im Nervenwasser zu reduzieren. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse wurde bereits vor einiger Zeit veröffentlicht, dieses neue “Paper” bietet jedoch zusätzliche Informationen zu den Ergebnissen aus der bemerkenswerten Studie. Was haben wir dazu gelernt?
Huntingtin-Reduzierung: ein bisschen Hintergrundinformation
Die Huntington-Krankheit wird durch eine Mutation in einem einzelnen Gen hervorgerufen, das wir als das Huntington-Gen bezeichnen. Wie die meisten Gene, wird das Huntington-Gen von Zellen ausgelesen, um die Anleitung für ein Protein oder Eiweiß zu erhalten, wir nennen es Huntingtin. Eine Mutation des Huntington-Gens führt auch zu einer Veränderung des hergestellten Eiweißes, wir sprechen von mutiertem Huntingtin.
Während die Symptome der Huntington-Krankheit komplex sind, ist die Genetik relativ leicht zu verstehen: wenn man eine Kopie eines mutierten Huntington-Gens von Mutter oder Vater erbt, wird man im Laufe des Lebens erkranken. Da wir wissen, dass ein mutiertes Huntington-Gen dafür verantwortlich ist, dass Menschen die Symptome der Krankheit entwickeln, wäre es nicht möglich den Prozess der Eiweißproduktion aufzuhalten? Und wenn ja, würde dadurch das Fortschreiten der Krankheit verhindert werden können?
Auf diesen allgemeinen Ansatz, den wir als Huntingtin-Verminderung bezeichnen, wurde bereits seit einigen Jahren ein Hauptaugenmerk der Forschung gelegt. Mehrere Firmen verfolgen ebenfalls dieses Ziel. Zwei davon - Ionis und Roche Pharmaceuticals - sind mit ihrem Programm am weitesten fortgeschritten und arbeiten mit einigen internationalen Wissenschaftlern angeführt von Prof. Sarah Tabrizi vom University College London zusammen.
In früheren Artikeln haben wir die ersten Ergebnisse der ersten jemals am Menschen durchgeführten Medikamentenstudie von Ionis und Roche zum Thema aufgegriffen, und nachfolgend in einem und einem weiteren Artikel über den aktuellsten Stand des Programms berichtet.
Nun wurde der erste formelle Bericht in einem Wissenschaftsjournal veröffentlicht und er enthält weitere Informationen über die ersten Versuche. Ziel der Studie war es primär, die Verträglichkeit eines Huntingtin-Verminderungsmedikaments - hier eines Antisense-Oligonukleotid, kurz ASO - zu erforschen.
Endpunkte, Endpunkte, Endpunkte
So wie bei jeder klinischen Studie gab es auch in diesem Fall einige Endpunkte. Damit sind Zielvorgaben gemeint, die mit der Studie erreicht werden sollen. Bei kommenden Studien in diesem Programm könnten das beispielsweise Verbesserungen bei Bewegungen oder mentale Verbesserungen sein. Wenn sich ein Medikament allerdings noch in Phase I befindet, das heißt, es wird zum ersten Mal überhaupt am Menschen getestet, geht es zunächst nur um eines: dessen Unbedenklichkeit.
Formal sprechen die Wissenschaftler davon, dass die Sicherheit des Medikamentes der primäre Endpunkt der Studie ist. Das bedeutet die Sicherheit ist das einzige ausschlaggebende Kriterium für Erfolg oder Scheitern der Studie. Sobald es sich herausstellt, dass das Medikament nicht unbedenklich ist, scheitert die Studie. Wenn keine Bedenken festgestellt werden, ist die Studie erfolgreich.
Während wir also natürlich gerne sofort sagen könnten, ob ein Medikament sicher und wirksam ist, aber in der Realität ist es so, dass diese beiden Ziele nicht in einer einzigen Studie erreicht werden können. Der Grund dafür ist, dass die Wirksamkeit nur durch eine hohe Teilnehmerzahl von mehreren hundert Personen gezeigt werden kann. Bevor jedoch so viele Personen einen am Menschen unerforschten Wirkstoff erhalten, sollte eine möglichst kleine Gruppe an einer Sicherheitsstudie teilnehmen, damit möglichst wenige Menschen einem Risiko ausgesetzt sind.
Obwohl klinische Studien normalerweise einen primären Endpunkt haben, interessieren sich die Wissenschaftler trotzdem auch für andere Ergebnisse und Auswirkungen des Medikaments bezüglich der Krankheit. Diese werden als sekundäre Endpunkte bezeichnet. Dieser Begriff erinnert uns daran, dass es sich, dass es sich im Wesentlichen immer noch um die Feststellung der Sicherheit handelt und alle weiteren Messungen nur Randergebnisse sind.
Bei der vorliegenden Studie gab es viele sekundäre Endpunkte. Sie beschäftigen sich mit den Symptomen der Patienten, mit MRT-Scans und Labortests, die unterschiedliche Biomarker in Blut und Nervenwasser messen können. Die neue Veröffentlichung ist interessant, weil wir nun zum ersten Mal alle Datensätze aus der Studie einsehen können. Die Ergebnisse wollen wir uns im Folgenden ansehen. Dabei sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass alle, die an der Studie mitgewirkt haben, das oberste Ziel hatten, die Sicherheit des Medikamentes zu erproben.
Keine schwerwiegenden Nebenwirkungen
„Da wir wissen, dass ein mutiertes Huntington-Gen dafür verantwortlich ist, dass Menschen die Symptome der Krankheit entwickeln, wäre es nicht möglich den Prozess der Eiweißproduktion aufzuhalten? Und wenn ja, würde dadurch das Fortschreiten der Krankheit verhindert werden können? “
Die Daten, die in diesem neuen Papier veröffentlicht wurden, zeigen, dass das Medikament Htt-Rx von den Huntington-Patienten im Allgemeinen vertragen wurde. Das wichtigste Maß hinsichtlich der Sicherheit ist eine Liste von Nebenwirkungen. Hierbei kann es sich um alles handeln, was beim Menschen Unbehagen auslöst, von leicht (Kopfschmerzen, die in wenigen Tagen ohne Behandlung verschwinden) bis schwer (Herzinfarkt oder Selbstmordversuch).
In jeder Gruppe von mehreren dutzend Menschen, die über einige Monate hinweg beobachtet werden, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwelche Nebenwirkungen festgestellt werden. Daher ist es auch so wichtig, immer einen Vergleich mit einem Placebo zu machen. Beim Vergleich der Häufigkeit auftretender Nebenwirkungen zwischen Teilnehmern, die das Medikament erhielten und solchen, die den Placebo erhielten, kann festgestellt werden, ob das Medikament tatsächlich zu mehr oder stärkeren Nebenwirkungen führt.
Es gab bei keiner der Teilnehmergruppen dieser Studie ernste Nebenwirkungen. Erfreulicherweise brach kein Teilnehmender die Studie ab. Man kann also davon ausgehen, dass alle die wiederholten Lumbalpunktionen und weiteren Tests einigermaßen erträglich fanden.
Leichte Nebenwirkungen wurden jedoch beobachtet, allerdings bei Htt-Rx mit der gleichen Wahrscheinlichkeit wie bei Teilnehmenden, die den Placebo erhielten. Daher sind sie höchstwahrscheinlich auf die Tests und die Lumbalpunktionen selbst oder etwaige Vorerkrankungen zurückzuführen und nicht auf das Medikament. Am häufigsten traten Kopfschmerzen nach der Injektion in die Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit auf, dabei handelt es sich um eine in der Medizin gut bekannte Reaktion auf diese Art von Behandlung.
Veränderungen beim NfL
In dieser Studie wurden einige neu entwickelte Tests durchgeführt, die hinsichtlich der Sicherheit Bedenken wecken, denen durch zusätzliche Studien nachgegangen werden sollte. Erstens ermittelte das Team Werte des Biomarkers Neurofilament Light (NfL) im Liquor der Teilnehmenden. Dieser Stoff wird von beschädigten Hirnzellen (Neuronen) freigesetzt. Die stetige und vorhersagbare Anstieg der Menge von NfL im Nervenwasser bei Huntington-Betroffenen wurde zuvor wissenschaftlich aufgedeckt. Der Artikel von HDBuzz zu dem Thema befindet sich hier.
Überaschenderweise wurde bei den Patienten, die höhere Dosen des ASOs erhielten, ein kurzer Anstieg der NfL-Werte gemessen. Man muss also von einer Belastung für die Neuronen durch die Injektion der hohen Dosis ausgehen. Laut den Daten aus der Studie, sank der NfL-Wert im Laufe der Zeit wieder auf ein normales Niveau, auch wenn die Patienten weiterhin Injektionen erhielten. Diese Beobachtung verunsichert die Wissenschaftler - eigentlich erwartete man eine Reduzierung des NfL-Niveaus und definitiv keinen Anstieg. Immerhin war der Anstieg nur sehr kurz zu beobachten und die Werte normalisierten sich wieder, dennoch ist es eigenartig.
Roche denkt sicherlich schon darüber nach, wie sich die Beobachtung erklären lässt und wird die Werte in der geplanten Folgestudie weiterhin genau beobachten. Bis jetzt lässt sich nur sagen, dass es bekannt geworden wäre, wenn der Anstieg von NfL auch merkbar negative Auswirkungen auf die Funktion des Gehirns gehabt hätte, das scheint also nicht der Fall gewesen zu sein.
Veränderungen in Bildaufnahmen des Gehirns
Ein weiteres Resultat, dass sicherlich noch näher erforscht werden muss, stammt von den Hirnaufnahmen durch Magnetresonanztomographie, abgekürzt MRT. Hierbei wird mithilfe riesiger Magneten eine Bildaufnahme der Form des Gehirns erstellt. Über viele Jahre der Huntington-Forschung hinweg wurden präzise Veränderungen der Gehirnstruktur beobachtet und festgehalten, die auftreten wenn die Krankheit fortschreitet. Eine dieser Veränderungen ist ein kontinuierliches Wachstum der Hirnventrikel. Das sind mit Nervenwasser gefüllte Bereiche im Gewebe. Im Verlauf der Huntington-Krankheit wachsen sie an bzw. schrumpft das Gewebe um sie herum.
In den Teilnehmergruppe mit höheren Dosen des Medikamentes wuchsen diese Ventrikel während dieser Studie jedoch an. Es passierte also das Gegenteil vom Erwarteten. Die Ursache des Wachstums ist nicht geklärt.
Genauso wie in Bezug auf das NfL wurden allerdings auch hier keine Auswirkungen auf die Hirnfunktion festgestellt.
Um die Hintergründe dieser Beobachtungen zu verstehen, ist es wichtig, eine längere Studie mit mehr Teilnehmenden durchzuführen. Genau deshalb werden Roche und Ionis die Studie GENERATION-HD1 durchführen, von der wir auf HDBuzz bereits berichteten.
Was passiert mit den ASOs?
Weitere Erkenntnisse ließen sich durch die Studie über den Weg der ASOs durch den Körper gewinnen. Was passiert mit den ASOs nach der Injektion in die Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit? Nachdem sie viele Studien an Tieren durchgeführt hatten, erstellten Ionis und Roche ein Computerprogramm, das vorhersagt, wie groß die Konzentration der ASOs im gesamten Liquor nach der Injektion sein sollte.
Solche Modelle sind sehr wichtig für die Wissenschaftler, um genau planen zu können, wie viel Medikament nötig ist und auch wie oft es verabreicht werden muss, um das Niveau hoch genug zu halten. In dieser Studie zu Htt-Rx wurde gemessen, wie viel ASO sich jeweils im Nervenwasser und im Blut befindet. Hier wird es messbar, wenn der Körper es wieder abbaut.
Die Ergebnisse bestätigen die Berechnungen durch das Computermodell in Bezug auf die Konzentration von ASOs im Liquor. Man kann also davon ausgehen, dass die Dosis und Anzahl der Injektionen basierend auf gerechtfertigten Annahmen gewählt wurden. Man muss nicht raten oder rumprobieren, wenn es darum geht, die nächsten Studien mit dem Medikament zu planen.
Ausschalten von mHTT
Das größere Ziel für den Einsatz des ASO-Medikamentes von Ionis und Roche ist die Reduzierung an Menge des mutierten Huntingtins (mHTT) im Gehirn. Leider kann bis heute keine Messung dieses Eiweißes direkt im Gehirn von lebenden Patienten vorgenommen werden. Hirngewebe ist nicht erneuerbar. Man kann keine Proben entnehmen, um sie zu untersuchen.
Glücklicherweise kann man aber durch die Messung der Konzentration von Huntingtin im Liquor Rückschlüsse auf die Konzentration im Gehirn ziehen. Diese klare Flüssigkeit umgibt das Gehirn und zirkuliert dort, sodass das gesamte Gewebe im Laufe des Tages mit ihr in Kontakt kommt.
Man weiß noch nicht genau, warum Huntingtin im Liquor messbar ist, aber man geht davon aus, dass es aus dem Gehirn stammen muss. Die Wissenschaftler haben äußerst sensible Tests entwickelt, um die genaue Konzentration am Rücken zu messen und so die Konzentration im Gehirn auszurechnen.
Die Behandlung mit ASOs führte zu einer klaren Abnahme der Menge an mutiertem Huntingtin im Liquor. Während es sich hierbei also nicht um einen direkten Nachweis dafür handelt, dass auch die Konzentration im Gehirn weniger wurde, so ist es doch der beste Hinweis dafür, den man sich erwarten konnte.
„Die Behandlung mit ASOs führte zu einer klaren Abnahme der Menge an mutiertem Huntingtin im Liquor. “
Wie sieht es mit den Symptomen der Huntington-Krankheit aus?
Schließlich wurde auch die Auswirkung der Behandlung mit Htt-Rx auf die Huntington-Symptome betrachtet. Bitte beachten, dass die Dauer und Teilnehmerzahl der Studie gering waren, um das Risiko zu minimieren. Es waren also nicht genügend Patienten beteiligt und diese wurden auch nicht lange genug untersucht, um absolute Aussagen zu Veränderungen bei den Symptomen zu treffen. Tatsächlich stellte sich heraus, dass keine großen Unterschiede bei den Symptomen beobachtet werden konnten.
Dank der kürzlich entwickelten Tests zur Erfassung des mutierten Huntingtins im Nervenwasser hat man eine Vorstellung davon, wie stark die Huntingtin-Verminderung bei den Patienten war. In einer ersten Auswertung der Daten ermittelten die Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen der Abnahme des mutierten Huntingtins im Liquor un der Milderung der Huntington-Symptome.
Es wurden einige spannende Zusammenhänge beobachtet. Bemerkenswert ist, dass Beteiligte mit der stärksten Reduzierung von mutiertem Huntingtin auch Tendenzen zur Verbesserung der Symptome zeigten. Die Forscher weisen aber passenderweise darauf hin, dass diese Ergebnisse noch nicht ausreichend sind, bevor man eine größere Gruppe von Patienten über längere Zeit hinweg untersucht hat. Trotzdem handelt es sich um eine aufregende Neuigkeit.
Zusammenfassung
Für die in der Veröffentlichung beschriebene Studie wurden große Mengen an Zeit, Arbeit und Hoffnung von allen Beteiligten investiert. Die 46 Freiwilligen und ihre Familien verdienen enorme Dankbarkeit von der Huntington-Gemeinschaft, da sie das Risiko auf sich nahmen, dieses Medikament zu testen. Es hat das Potential die Ursache der Huntington-Krankheit zu bekämpfen. Ärzte und Wissenschaftler an akademischen Instituten, bei Roche und besonders bei Ionis verdienen ebenso reichlich Anerkennung für die Entwicklung des Medikaments und die Begleitung dessen auf dem Weg zur Anwendung beim Menschen.
Was haben wir von den Ergebnissen all dieser harten Arbeit gelernt? Erstens, die Verminderung von mutiertem Huntingtin im Nervensystem der Betroffenen ist möglich. Es handelt sich hier um das erste Mal in der Geschichte, dass die Menge dieses Proteins gezielt verringert werden konnte. Zweitens, man hat viel darüber gelernt, wie ASOs auf den Körper wirken - wie lange sie sich in Liquor und Blut aufhalten z. B. - was dabei hilft, künftige Studien gezielt zu planen.
Der primäre Endpunkt der Studie war der Nachweis der Sicherheit und Unbedenklichkeit des Medikamentes und er wurde erreicht. Es gab keine schweren Nebenwirkungen in Zusammenhang mit den ASOs im Nervenwasser der Huntington-Patienten. Es gab Laboruntersuchungen - z. B. zum NfL-Level und der Größe der Hirnventrikel - die einige Fragen aufwerfen, denen noch nachgegangen werden muss. Glücklicherweise konnten aber keine Auswirkungen auf die Funktionen des Gehirns gemessen werden.
Kurz gesagt, die neu veröffentlichten Ergebnisse der ersten Studie mit dem Medikament, das die Ursache der Huntington-Krankheit bekämpft, bedeuten einen Quantensprung für alle Betroffenen und Angehörigen. Sie machen aber auch deutlich, dass Verfeinerungen und Vorsichtsmaßnahmen für künftige Studien in Erwägung gezogen werden müssen. In der Tat stehen die nächsten Studien schon kurz bevor, was zeigt, dass alle hart an ihrem Ziel arbeiten, die Sicherheit und die Wirksamkeit des Medikaments gegen die Huntington-Krankheit zu bestimmen.