Jeff CarrollVon Dr Jeff Carroll Bearbeitet von Professor Ed Wild Übersetzt von Rebecca

Es ist die Zeit der großen Fortschritte im Bereich der Huntingtin-Verminderungs-Medikamente, die die Menge des Huntingtins, des Verursachers der Huntington-Krankheit, herabsetzen sollen. Beim Treffen des Europäischen Huntington-Disease Netzwerks (EHDN), teilte die Firma Roche einige Eckdaten der ersten Entscheidungsstudie zum Huntingtin-Verminderungs-Medikament - RG6042, bisher als Ionis-HTTRx bekannt. Welche Neuigkeiten gibt es?

Was bedeutet Huntingtin-Verminderung?

Zunächst eine kurze Zusammenfassung zum Thema Reduzierung von Huntingtin als Behandlung der Huntington-Krankheit. Wir wissen, dass die Schäden im Gehirn im Verlauf der Krankheit durch ein Protein namens mutiertes Huntingtin verursacht werden. Das Huntington-Gen - manchmal auch Huntingtin-Gen genannt - liefert die Anleitung zum Bau des gleichnamigen Eiweißes.

Scott Schobel verkündete den geplanten Ablauf von GENERATION-HD1 beim "Europäischen Huntington-Disease Netzwerk"-Treffen in Wien
Scott Schobel verkündete den geplanten Ablauf von GENERATION-HD1 beim “Europäischen Huntington-Disease Netzwerk”-Treffen in Wien

Wenn eine Zelle größere Mengen eines speziellen Proteins, beispielsweise Huntingtin, benötigt, wird eine Blaupause des Gens angefertigt - ein Botenmolekül mit der chemischen Bezeichnung RNA. Diese RNA überbringt demnach Informationen und wird auch Boten-RNA (Englisch “messenger RNA”, kurz mRNA) genannt. Jede Unterbrechung dieser Kette vom Gen über den Boten bis hin zum Eiweiß sorgt dafür, dass die Zelle das jeweilige Eiweiß nicht herstellt.

Hier setzen Huntingtin-Verminderungs-Behandlungsmethoden an. Ein Medikament soll die Boten-RNA treffen und die Zellen sollen dazu gebracht werden, diese zu ignorieren oder zu zerstören. Weniger Boten bedeuten weniger Eiweiß.

Die meisten Huntington-Forscher halten diesen Ansatz für vielversprechend, denn eine bestechende Logik und eine große Anzahl wissenschaftlicher Tierversuche legen nahe, dass die Reduzierung oder gar Vernichtung des mutierten Huntingtins zu einer Linderung der Huntington-Symptome führt.

ASOs und die Huntington-Krankheit

Schon früh führend auf dem Feld der Huntingtin-Verminderung war das Pharmaunternehmen Ionis Pharmaceuticals aus Carlsbad, Kalifornien. Über Jahrzehnte haben sie an Molekülen namens Antisense Oligonukleotide (ASOs) gearbeitet. Dabei handelt es sich um stark veränderte DNA-ähnliche Moleküle, die programmiert werden können, eine spezifische Boten-RNA im Innern der Zelle zu identifizieren und sich an sie zu heften.

Die Verbindung aus Boten-RNA und ASO, die dann entsteht, wird von der Zelle zerstört. Dadurch reduziert sich die Menge dieser bestimmten Boten-RNA drastisch. Weniger Blaupausen bedeutet weniger erzeugte Eiweiße, obwohl der ursprüngliche Code in der DNA erhalten bleibt.

Auf der Grundlage erfolgreicher Tierversuche, führte Ionis eine erste Verträglichkeitsstudie an 46 mutigen, freiwilligen Huntington-Patienten durch. Die Studie begann im Jahr 2015. Es sollte getestet werden, ob das Medikament HTTRx unbedenklich ist und ob eine Behandlung damit die Menge an Huntingtin im Nervensystem reduziert. Es ist nicht möglich hierfür Gewebeproben aus dem Gehirn zu entnehmen, aber man kann die Konzentration des Huntingtins in der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit messen.

Wie bereits auf HDBuzz berichtet meldeten Ionis und die Partnerfirma Roche im Dezember 2017, dass die Studie erfolgreich war. Keiner der 46 Teilnehmer brach die Studie frühzeitig ab, trotz der monatlichen Lumbalpunktionen. Noch dazu führte die Behandlung mit HTTRx zu einer bedeutenden Reduzierung des Huntingtin-Niveaus in der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit.

Bei Roche handelt es sich um einen mächtigen Pharmakonzern aus der Schweiz und seine US-amerikanische Tochterfirma nennt sich Genentech. Bereits bei der Bekanntmachung des positiven Ausgangs der ersten Studie, bestätigte Roche, dass sie eine weitere Studie mit HTTRx planen und leiten werden. Die Führungsrolle war also von Ionis auf Roche übergegangen und das Medikament wurde in RG6042 umbenannt. Gewöhnen Sie sich also schon einmal an Berichte über RG6042 - behalten Sie dabei im Hinterkopf, dass es sich um dieselbe HTTRx-Substanz handelt, mit deren Erprobung wir bereits von Anfang an mitfiebern.

Eine Studie um die Wirksamkeit zu prüfen

Selbstverständlich sind sowohl die Forscher als auch die Huntington-Gemeinschaft daran interessiert, das Fortschreiten der Huntington-Krankheit zu verlangsamen und nicht irgendwelche Messgrößen in der Gehirn-Rückenmarkflüssigkeit zu ermitteln. Jedoch dauerte die erfolgreiche Verträglichkeitsstudie von Ionis nur drei Monate an und bezog nur 46 Patienten mit ein - das ist zu kurz und zu wenig, um eine Aussage zur Auswirkung auf die Huntington-Symptome treffen zu können.

GENERATION-HD1 wird Ende 2018 beginnen, die ersten Teilnehmer sollen Anfang 2019 rekrutiert werden. Es werden 80 bis 90 Standorte in etwa 15 Ländern weltweit an der Durchführung beteiligt sein.

Jetzt, da festgestellt wurde, dass das Medikament von Ionis und Roche sowohl die Konzentration des Eiweißes verringert als auch gut verträglich ist, wird eine größer angelegte Studie an vielen Teilnehmern benötigt, um festzustellen, ob RG6042 das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen kann. Eine solche Studie wird als Phase 3 Studie bezeichnet.

Seit letztem Dezember warten wir ungeduldig auf die Ankündigung dieser großen Studie. Am 16. September erreichte sie uns endlich!

GENERATION-HD1

Beim EHDN-Treffen 2018 gab Scott Schobel von Roche den ersten offiziellen Überblick über die geplante Studie. Ihr Name lautet GENERATION-HD1.

(Der Name “GENERATION-HD1” leitet sich aus der Englischen Beschreibung Global EvaluatioN of Efficacy and safety of Roche/genentech AnTIsense OligoNucleotide for Huntington’s Disease. Aber wahrscheinlich ist es besser, sich einfach die Abkürzung zu merken…)

Es kommt auf die Größe an

GENERATION-HD1 wird Ende 2018 beginnen, die ersten Teilnehmer sollen Anfang 2019 rekrutiert werden. Es werden 80 bis 90 Standorte in etwa 15 Ländern weltweit an der Durchführung beteiligt sein.

Bisher wurden noch keine Namen von Standorten genannt, es gibt eine veröffentlichte Information über die Teilnahme diverser Kliniken oder gar Länder. Wir gehen davon aus, dass genauere Informationen bald folgen.

Es wird eine großangelegte Studie sein. 660 Patienten mit diagnostizierter Huntington-Krankheit sollen teilnehmen. Das bedeutet, es wird sich um Patienten handeln, bei denen formell klinische Anzeichen und Symptome der Huntington-Krankheit diagnostiziert wurden, nicht um Personen, die zwar das mutierte Gen tragen, aber (noch) keine Symptome zeigen.

Eignung

Es gibt maßgeblich zwei klinische Entscheidungsmerkmale bzw. Auswahlkriterien. Erstens müssen Patienten dazu in der Lage sein, ambulant behandelt werden zu können und zweitens, sich verbal zu äußern. Zweitens müssen sie bei einem Test zur Überprüfung ihrer kognitiven und körperlichen Fähigkeiten ein Ergebnis von 70% oder höher erreichen. Das bedeutet, dass ein gewisses Niveau an Selbstständigkeit im Alltag für die Individuen noch möglich sein muss, sodass sie sich selbst waschen können oder beispielsweise einfache Haushaltstätigkeiten selbst ausführen können.

Die Studie beinhaltet 25 Injektionen in die Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit. Es handelt sich für die Freiwilligen also um ein hartes Stück arbeit. Ein Drittel von ihnen wird dabei einen Placebo injiziert bekommen.
Die Studie beinhaltet 25 Injektionen in die Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit. Es handelt sich für die Freiwilligen also um ein hartes Stück arbeit. Ein Drittel von ihnen wird dabei einen Placebo injiziert bekommen.

Hierbei handelt es sich um viel weiter gefasste Einschlusskriterien als bei der Vorgängerstudie, denn diese war streng begrenzt auf Teilnehmer, mit einem sehr frühen Krankheitsstadium, in welchem sie so gut wie noch gar nicht beeinträchtigt sind.

Hinzu kommt das so genannte CAP-Ergebnis, das einen bestimmten Wert erreichen muss. Bei “CAP” handelt es sich um eine um eine Zahl, die aus dem Alter einer Person und ihrer Anzahl an CAG-Wiederholungen berechnet wird. Man greift auf diese Zahl zurück, da es eine Tendenz für Menschen mit höheren CAG-Anzahlen gibt, bereits im früheren Alter Symptome der Huntington-Krankheit zu zeigen. Wenn also die Veränderung der Huntington-Symptome im Verlauf der Zeit gemessen werden soll, kann man so sowohl Alter als auch CAG-Anzahl berücksichtigen. Im Fall der Studie gibt es einen minimalen CAP-Wert und zwar um sicher zu stellen, dass solche Patienten ausgewählt werden, die am wahrscheinlichsten von dem Medikament profitieren. Dadurch soll die Studie so groß wie nötig aber so klein wie möglich gehalten werden und möglichst zügig durchgeführt werden können.

Eine Menge Lumbalpunktionen

Für die Studie wird auch an einem Drittel der Teilnehmer ein Placebo getestet werden. Das ist zwingend erforderlich, um den Placeboeffekt zu umgehen. Es ist nämlich eine Tatsache, dass alleine die Teilnahme an der Studie, dazu führen kann, dass Patienten sich besser fühlen, auch wenn das Medikament gar keine (positiven) Auswirkungen auf sie hat.

Die restlichen zwei Drittel der Teilnehmer werden in zwei Gruppen aufgeteilt, von denen eine einmal im Monat, die andere alle zwei Monate eine Lumbalpunktion mit Injektion des Wirkstoffes erhält. Das ist spannend, weil es zeigen wird, ob eine weniger häufige Behandlung unter Umständen den gleichen Effekt hat.

Keiner der Teilnehmer weiß jedoch in welcher Gruppe er ist und so muss jede Person monatlich punktiert werden und das für 25 Monate. Das sollte sich jeder, der gerne teilnehmen würde, bewusst machen.

Ergebniserfassung

Über Erfolg oder Misserfolg der Studie wird in den USA mithilfe des Maßes der Funktionalen Gesamtfähigkeit (engl.: “Total Functional Capacity (TFC)) entschieden. Dabei handelt es sich um eine einfach gehaltene Bewertungsskala zu den Fähigkeiten einer Person einfache Haushaltstätigkeiten oder sonstige Arbeiten durchzuführen und für sich selbst zu sorgen.

In Europa gibt es dagegen eine etwas fortgeschrittenere Bewertung namens Zusammengefasste Bewertungsskala der Huntington-Krankheit (engl.: "composite Unified Huntington’s Disease Rating Scale (cUHDRS)”). Hierbei wird eine größere Spanne von Huntington-Symptomen berücksichtigt, denn zusätzlich zur Bewertung der TFC wird ein Bewegungsindikator gemessen und werden Denktests durchgeführt.

Es ist zwar ungewöhnlich, aber es ist nicht das erste Mal, dass es für eine einzige Studie in unterschiedlichen Ländern verschiedene Endpunkte gibt. Wichtig ist, dass in jedem Fall erfasst werden soll, wie sich die Huntington-Krankheit über die Zeit hinweg entwickelt. Dazu haben die zuständigen Behörden auf den beiden Kontinenten ihre leicht unterschiedlichen Ansatzpunkte. Wir erwarten, dass man am Ende mithilfe beider Skalen die gleichen Tendenzen in Bezug auf die Wirksamkeit des Medikamentes sehen kann.

Nicht jeder Teilnehmer wird ab dem ersten Tag der Studie erfasst werden können, daher wird eine Studie, die eine Teilnahme von 25 Monaten erfordert, insgesamt eventuell etwa doppelt so lang dauern oder sogar länger.

Es wird eine großangelegte Studie sein. 660 Patienten mit diagnostizierter Huntington-Krankheit sollen teilnehmen.

Es gibt da noch etwas

Roche gab auch die Durchführung einer weiteren Studie bekannt, der so genannten Naturhistorischen Studie (engl.: “Natural History Study”). Diese zielt darauf ab grundlegende Informationen zum Fortschreiten der Huntington-Krankheit zu erhalten. Bis zu 100 Patienten sollen teilnehmen. Im Zuge dessen sollen auch die Teilnehmer der bereits laufenden offenen klinischen Studie an RG6042 weiter untersucht werden. Diese Personen nahmen seit 2015 an der ersten Huntingtin-Verminderungsstudie von Ionis/Roche teil und erhalten nun freiwillig weiterhin regelmäßig das Medikament. Die neuen Teilnehmer werden im Anschluss an die fünfzehnmonatige Naturhistorische Studie ebenfalls die Möglichkeit haben, weiterhin an der offenen klinischen Studie teilzunehmen.

Und noch etwas!

Das EHDN-Treffen 2018 erbrachte auch Neuigkeiten von weiteren Studien an der Huntingtin-Reduzierung durchgeführt durch die Firmen Wave Life Sciences, PTC Therapeutics und Uniqure. HDBuzz wird in nächster Zeit weitere Artikel zu diesen Updates veröffentlichen.

Was nun?

Folgerichtig gibt es nach der ersten Studie, die die kurzfristige Unbedenklichkeit der Medikation sowie die Reduzierung von Huntingtin belegte, nun feste Eckdaten der “entscheidenden” Studie, die zeigen soll, ob RG6042 wirkt oder nicht, mit ziemlich klaren zeitlichen Vorgaben.

Es ist wichtig, nicht zu vergessen, dass die Teilnehmer an GENERATION-HD1 eine lange und schwierige Aufgabe vor sich haben. Hier mitzumachen wird sie körperlich und mental stark fordern.

Gleichzeitig wird es voraussichtlich viele Menschen geben, die gerne teilnehmen würden, für die es aus verschiedenen Gründen aber nicht möglich sein wird. Das kann ohne Frage sehr enttäuschend sein. Der einzige Trost ist, dass das Medikament so oder so getestet wird und diese Erprobung hat zum Ziel, am Ende einen hilfreichen Wirkstoff für alle Betroffenen heute und in zukünftigen Generationen zur Verfügung stellen zu können.

Alles in allem handelt es sich hier um großartige Neuigkeiten. Nach langen Jahren der Arbeit von hunderten von Menschen, halten wir endlich einen festen Zeitplan für die Untersuchung der Wirksamkeit des Huntingtin-Verminderungsmedikamentes RG6042 in den Händen.

Diese Ankündigung ist wirklich aufregend wie auch das gesamte Forschungsfeld der Huntingtin-Verminderung. Wir möchten weiterhin dafür sorgen, dass die Mitglieder der Huntington-Gemeinschaft darüber auf dem Laufenden gehalten werden. Bleiben Sie HDBuzz also gewogen für weitere Neuigkeiten zu dieser und anderen Studien und Entwicklungen.

Die Arbeitsgruppe von Dr. Jeff Carroll arbeitet mit Ionis Pharmaceuticals und Wave Life Sciences an Tiermodellen. Er hat weder bei der ersten noch bei der zweiten Firma einen Vorteil von deren klinischen Studien am Menschen. Dr. Ed Wild ist als Forscher bei der beschriebenen Studie von Roche beteiligt und war ebenso wissenschaftlicher Mitarbeiter der vorangegangenen Studie durch Ionis. Keine der Firmen, deren Arbeit hier beschrieben wird, nahm Einfluss auf die Entscheidung, diesen Bericht zu veröffentlichen, oder auf die verwendeten Formulierungen. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...