Jeff CarrollVon Dr Jeff Carroll Bearbeitet von Dr Tamara Maiuri Übersetzt von Rebecca

In letzter Zeit hat es eine ganze Reihe spannender Neuigkeiten zum Huntingtin-Verminderungsprogramm von Ionis und Roche/Genentech gegeben - allerdings hat die Huntington-Forschung mehrere Eisen im Feuer: Kürzlich haben weitere Firmen, wie Wave Life Sciences, PTC Therapeutics und Voyager Therapeutics, große Ankündigungen zu ihren jeweiligen Huntingtin-Reduzierungskonzepten gemacht. Es geschieht viel und HDBuzz will sich im Folgenden der übersichtlichen Darstellung der unterschiedlichen Ansätze annehmen.

Huntingtin-Verminderung

Das Ziel aller hier beschriebenen Ansätze ist die Reduzierung der Menge des Eiweißes Huntingtin im Gehirn. Dieses Eiweiß ist das Produkt der Zellen auf Grundlage der Anweisungen des Huntington-Gens. Die Wissenschaft geht davon aus, dass es das mutierte Protein ist und nicht das mutierte Gen, welches letztendlich die Schäden in den Zellen und damit die Huntington-Krankheit verursacht.

Welcher ist der richtige Ansatz für die Huntingtin-Verminderung? Vielleicht alle hier!
Welcher ist der richtige Ansatz für die Huntingtin-Verminderung? Vielleicht alle hier!

Als kurze Erinnerung: Die Zellen folgen beim Bau von Eiweißen den Instruktionen der DNA, allerdings nicht auf direktem Wege sondern über die Erzeugung einer Kopie der DNA-Information. Diese der DNA sehr ähnliche chemische Substanz nennt sich RNA, da sie die Funktion der Informationsüberbringung hat, sprechen Mediziner und Biologen von der Boten-RNA (Englisch “Messenger RNA”, kurz “mRNA”).

Entsprechend diesem allgemeinen Ablauf, wird auch auf Grundlage des Huntington-Gens ein mRNA-Strang erzeugt, der die Anweisung für den Bau des Huntingtin-Eiweißes enthält.

Wird der Ablauf zu irgendeinem Zeitpunkt unterbrochen, wird kein Huntingtin erzeugt. Das heißt, die Menge von Huntingtin im Körper verringert sich. In Tierstudien hat diese Verringerung bereits vielfach zur Linderung der Krankheitssymptome geführt.

Folglich spricht man bei diesem Therapieansatz von Huntingtin-Verminderung. Neben dem bekanntesten Programm von Ionis und Roche/Genentech, in dem bald eine Phase-III-Studie beginnt, gab es in der letzten Zeit auch aufregende Neuigkeiten von mindestens drei weiteren Firmen zu deren eigenen Techniken der Huntingtin-Verminderung.

Der Ansatz von Wave Life Sciences

Wave’s Therapieansatz zielt ab auf winzige Unterschiede zwischen dem gesunden und dem mutierten Gen, außerhalb der krankheitsverursachenden CAG-Abfolge. Es sind kleine “Buchstabierunterschiede” (SNPs), die Teil der normalen genetischen Variationen beim Menschen sind.

Zunächst nicht zu einer sondern zu zwei Studien von Wave Life Sciences. Wir hatten bereits hier darüber berichtet. Genau wie bei Ionis/Roche/Genentech handelt es sich auch bei dem von Wave untersuchten Medikament um Antisense-Oligonukleotide (ASOs) - kleine und stark veränderte Teile von DNA, die in Zellen eindringen können, um dort spezifische Boten-RNAs zu identifizieren und zu zerstören.

Folgende Herangehensweise unterscheidet sich allerdings bei Wave: Wie bekannt, hat fast jeder Huntington-Patient eine mutierte und eine gesunde Kopie des Huntington-Gens. Roche’s Medikament zielt auf die mRNA beider Kopien ab, das heißt schlussendlich werden sowohl die Menge an gesundem als auch an mutiertem Protein reduziert.

Wave hingegen zielt ab auf winzige Unterschiede zwischen dem gesunden und dem mutierten Gen, außerhalb der krankheitsverursachenden CAG-Abfolge. Es sind kleine “Buchstabierunterschiede” (SNPs), die Teil der normalen genetischen Variationen beim Menschen sind. Sie stehen nicht in direktem Zusammenhang mit der Huntington-Krankheit. Trotzdem stellen sie einen brauchbaren Angriffspunkt für die ASOs dar, die mittels der SNPs zwischen der gesunden und der mutierten Huntingtin-mRNA unterscheiden können.

In einer perfekten Welt liegt in der Zerstörung von ausschließlich mutierter mRNA ein klarer Vorteil. Das gesunde Huntington-Eiweiß hat nämlich eine Vielzahl wichtiger Funktionen in Zellen, von denen noch nicht alle verstanden sind. Wenn die selektive Entfernung der mutierten Form bei gleichzeitiger Erhaltung der gesunden Form leicht möglich wäre, wäre das also definitiv die Technik der Wahl.

Allerdings gibt es eine Kehrseite: derzeit ist es Wave nicht möglich, mit ihren ASOs eine Behandlungsmöglichkeit für 100 % der Huntington-Patienten zur Verfügung zu stellen. Das liegt daran, dass aktuell nur zwei spezifische SNPs erkannt werden können und diese liegen nicht bei jedem Menschen vor.

Die Verbindung zwischen DNA, RNA und dem Protein - alles, was man über Molekularbiologie wissen muss
Die Verbindung zwischen DNA, RNA und dem Protein - alles, was man über Molekularbiologie wissen muss

Jedes der beiden ASOs von Wave zielt auf einen anderen SNP ab. Durch die Testung zweier unterschiedlicher ASOs wird also der Anteil der Huntington-Patienten, die mithilfe des Ansatzes behandelbar sind, erhöht. Wave hat in klinischen Studien gezeigt, dass etwa zwei Drittel der Huntington-Patienten auf eines der beiden ASOs ansprechen sollten.

Die Erprobung der Unbedenklichkeit dieser ersten beiden ASOs findet gerade mit Patienten in Kanada, Europa und den USA statt. Der nächste Schritt wäre dann eine klinische Studie zur Demonstration der Wirksamkeit und Verbesserung der Krankheitssymptome.

Weiterhin haben wir von Wave gehört, dass im Labor bereits an einem dritten ASO gearbeitet wird, das auf eine andere Genvariation ausgelegt ist. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass früher oder später auch das übrige Drittel der Huntington-Betroffenen genselektiv behandelt werden kann. Im Jahr 2019 erwarten wir weitere Neuigkeiten von den Unbedenklichkeitsstudien der ersten beiden sowie vom Entwicklungsprozess des dritten ASOs von Wave.

Was ist P-T-C?

Es gibt nicht nur ASOs in der Huntington-Forschung. Beim Treffen des Europäischen Huntington-Netzwerks EHDN in Wien vergangenen September informierte Anu Bhattacharyya von PTC Therapeutics die Zuhörerschaft über die spannenden Fortschritte ihrer Firma bei der Entwicklung einer Huntingtin-vermindernden Therapie gegen die Huntington-Krankheit.

PTC entwickelt etwas, das Wissenschaftler als kleines Molekül bezeichnen, dabei handelt es sich um einen Wirkstoff, der hoffentlich einmal in Form einer Tablette verabreicht werden kann. Er soll die Menge an Huntingtin-mRNA verringern.

Es handelt sich bei dem Ansatz von PTC um einen völlig anderen als im Falle von Wave oder Roche. Bei letzteren ist eine Injektion in den Wirbelkanal oder das Gehirn notwendig - das ist zwar technisch möglich und gut erprobt, jedoch wäre eine weniger invasive Methode wünschenswert. PTC entwickelt etwas, das Wissenschaftler als kleines Molekül bezeichnen, dabei handelt es sich um einen Wirkstoff, der hoffentlich einmal in Form einer Tablette verabreicht werden kann. Er soll die Menge an Huntingtin-mRNA verringern. Noch vor ein paar Jahren hätte man das für Science Fiction gehalten, allerdings haben in der Zwischenzeit einige Unternehmen Berichte über erfolgreiche Experimente mit solchen Medikamenten veröffentlicht, bei denen der Ansatz zu funktionieren scheint.

PTC ist eine der ersten Firmen, die kleine Moleküle verwenden wollen, um spezifische Boten-RNAs auszuschalten und sie haben dabei den Fokus auf die Huntington-Krankheit gerichtet. Es gelang ihnen ein Medikament zu entwickeln, dass den Gehalt von Huntingtin in Zellen im Labor verringert. Beim EHDN-Treffen berichtete Bhattacharyya erstmals von ebenso erfolgreichen Ergebnissen in den Gehirnen lebender Mäuse - das heißt hier wurde gezeigt, dass sich der Wirkstoff tatsächlich vom Magen aus in das Gehirn ausgebreitet hat, was eine große Errungenschaft darstellt.

Die effektive Verminderung ist dabei etwas schwächer als bei den Medikamenten, die über Lumbalpunktion verabreicht werden. Denkbar wäre hier beispielsweise eine kombinierte Therapie, bei der die Tablette regelmäßig eingenommen wird und dadurch die Notwendigkeit der Behandlung mit einem stärkeren Medikament durch Lumbalpunktion von monatlich auf vielleicht halbjährlich oder jährlich reduziert werden kann.

Das Programm von PTC befindet sich noch in einer früheren Phase verglichen mit denen von Roche oder Wave. Dennoch handelt es sich um einen vielversprechenden Ansatz, der große Vorteile mit sich bringen könnte, wenn er sich als sicher und als wirksam herausstellt. PTC hat jedenfalls Pläne für die Zukunft: Bhattacharyya erklärte den Zuhörern, dass es das Ziel des Unternehmens ist, im Jahr 2020 mit Verträglichkeitsstudien am Menschen zu beginnen. Als gute Grundlage kann PTC bereits zwei Erfolgsgeschichten aufweisen, denn sie haben für zwei Medikamente gegen muskuläre Distrophie (eine andere genetisch bedingte neurologische Erkrankung) eine Zulassung erhalten.

Voyager

Viren, wie das von Voyager verwendete, sind evolutionsbedingt nützliche Werkzeuge für das Eindringen in eine Zelle
Viren, wie das von Voyager verwendete, sind evolutionsbedingt nützliche Werkzeuge für das Eindringen in eine Zelle

Bei einer weiteren Konferenz diesen Herbst, und zwar dem “Kongress der Europäischen Gesellschaft für Gen- und Zelltherapie”, wurden weitere aufregende Huntingtin-Verminderungs-Neuigkeiten durch Voyager Therapeutics verkündet. Voyager ist eine Biotechnologiefirma, die auf Gentherapie zur Heilung von Nervenkrankheiten, wie beispielsweise der Huntington-Krankheit spezialisiert ist.

Die Gentherapie unterscheidet sich von den zuvor beschriebenen Konzepten. Sie basiert auf winzigen, unschädlichen Viren, die neue genetische Informationen in die Zellen liefern - in diesem Fall in die Gehirnzellen. Viren haben ein hervorragende Fähigkeit in Zellen zu schlüpfen, die sich die Wissenschaftler hier zunutze machen.

Voyagers Forscherteam hat Viren designt, die Anweisungen an die Zellen liefern, um spezielle RNA-Stränge zu bauen. Diese Substanzen sind in der Lage die Huntingtin-mRNA zu identifizieren und sie zu zerstören. Wenn man so möchte, programmiert der Virus die Zelle dazu um, eine Fabrik für die Herstellung der täglichen Dosis Medizin zu sein.

Der große Vorteil dieser Technik liegt darin, dass das Medikament nur ein einziges Mal verabreicht werden muss. Zumindest in der Theorie sollten die Zellen nach einmaliger Behandlung unbegrenzt die Huntingtin-Verminderungssubstanz produzieren. Wenn es gut verträglich und wirksam ist, handelt es sich hierbei also um die eleganteste Lösung im Vergleich zu monatlichen Lumbalpunktionen oder täglicher Tabletteneinnahme.

Jedoch gibt es einige mögliche Nachteile. Zunächst kann sich herausstellen, dass das Medikament nicht vertragen werden kann oder sogar giftig ist. Hierzu liegen bisher noch keine Erkenntnisse vor. Und da die Behandlung mit nicht umkehrbar ist, ist besondere Vorsicht geboten. Außerdem könnte es sich - trotz der vielversprechenden Ergebnisse im Mäusegehirn - als kompliziert herausstellen, den Virus an jede der 86 Milliarden Neuronen im menschlichen Gehirn zu liefern.

Voyagers Forscherteam hat Viren designt, die Anweisungen an die Zellen liefern, um spezielle RNA-Stränge zu bauen. Diese Substanzen sind in der Lage die Huntingtin-mRNA zu identifizieren und sie zu zerstören. Wenn man so möchte, programmiert der Virus die Zelle dazu um, eine Fabrik für die Herstellung der täglichen Dosis Medizin zu sein.

Unter Berücksichtigung dieser potentiellen Schwierigkeiten wird die Tragweite der Neuigkeiten von Voyager deutlich: Sie berichteten bei der Konferenz von erfolgreichen Experimenten an Affen. Die großen und komplexen Gehirne der Affen wurden mithilfe von chirurgischen Methoden zu großen Teilen mit dem Virus versorgt. Sowohl tiefe Hirnstrukturen als auch die Außenhülle konnten so erreicht werden.

Das ist ein besonders wichtiger Fortschritt, da die tieferen Gehirnstrukturen mit ASOs nur schwer erreicht werden können, wenngleich sie eine Schlüsselrolle bei der Huntington-Krankheit spielen. Voyagers Versuche erbrachten eine gute Unterdrückung des Huntington-Gens bei den Affen - es stellten sich Verringerungen des Huntingtins in tiefen Hirnregionen um etwa zwei Drittel ein, in den äüßeren Bereichen um etwa ein Drittel. Das sind brauchbare Ergebnisse und es besteht die Hoffnung, dass Reduzierungen im ähnlichen Bereich beim Menschen zu spürbaren Verbesserungen führen könnten.

Wie bei Roche wird durch den Ansatz von Voyager sowohl das gesunde als auch das mutierte Huntingtin reduziert. Wie bereits oben beschrieben ergibt sich dadurch ein weiteres Sicherheitsrisiko für die Behandlungsmethode. Es scheint, als ob sich Voyager dementsprechend vorsichtig vortastet.

Was bleibt?

Es gibt viel berechtigte Aufregung in der Huntington-Gemeinschaft in Bezug auf die Ionis/Roche/Genentech-Studie. Jeder, inklusive HDBuzz, ersehnt diese Studie herbei und hegt große Hoffnungen, dass sich aus ihr Verbesserungen für Huntington-Patientinnen und -Patienten ergeben. Wie die hier beschriebenen Programme und ihre Fortschritte zeigen, handelt es sich dabei aber nicht um den einzigen vielversprechenden Ansatz.

Zusammenfassend gibt es aktuell also zwei laufende Studienprogramme mit Huntingtin-vermindernden ASOs am Menschen: Das eine zielt auf beide Kopien des Huntington-Gens ab (Ionis/Roche/Genentech). Es hat bereits Sicherheitsprüfungen überstanden und wird bald auf Wirksamkeit getestet. Das andere ist gezielt auf das mutierte Gen gerichtet (Wave), und momentan laufen die Sicherheitsprüfungen. Im Vergleich dazu etwas zurückliegend gibt es aber weitere Gentherapien im Entwicklungsstadium, die unter Umständen nur eine einmalige Behandlung nötig machen (Voyager und andere), sowie den neuen Ansatz mit den kleinen Molekülen (PTC).

Auf mehrere Ansätze zu bauen, erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass einer davon am Ende funktioniert, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, dass mehr als einer funktioniert. Daraus ergeben sich spannende Zukunftsszenarien bei denen evtl. eine Kombination aus verschiedenen Therapien letztendlich den größten Nutzen bei geringstem Risiko erbringen wird. Solche kombinierten Behandlungen sind bereits bei anderen Krankheiten wie HIV, Krebs oder Diabetes erfolgreich. Wenn es also um Medikamentenentwicklung geht, und um die Anzahl von funktionierenden Ansätzen, gilt das Motto “viel hilft viel”.

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte offenzulegen. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...



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