Von Dr Leora Fox Bearbeitet von Dr Tamara Maiuri Übersetzt von Rebecca

Was wäre, wenn ein Bluttest Informationen zum Stand und Verlauf der Huntington-Krankheit liefern könnte? Das ist das verfolgte Ziel bei der Suche nach Huntington-Biomarkern; eines Tages werden diese vielleicht helfen, Entscheidungen über Behandlungsmaßnahmen zu treffen und vorherzusagen, wie sich Symptome entwickeln könnten. Ein Team von Wissenschaftlern verteilt auf mehrere Länder hat kürzlich Blut, Aufnahmen des Gehirns und klinische Untersuchungen aus der TRACK-HD-Studie analysiert. Sie haben dabei herausgefunden, dass der Gehalt eines Proteins namens “Neurofilament Light Chain” im Blut mit der Ausprägung der Huntington-Krankheit zusammenhängt, was es zu einenem potentiellen Biomarker macht.

Die Suche nach Huntington-Biomarkern

Durch die andauernde Unterstützung von bahnbrechender Wissenschaftsarbeit durch die Huntington-Gemeinschaft, gibt es ein großes Potential für die Entwicklung neuer Therapien gegen die Huntington-Krankheit. Neben grundlegenden und klinischen Studien zur Herkunft der Symptome und zur Untersuchung neuer Medikamente, ist es wichtig, exakte und effiziente Diagnosemöglichkeiten bezüglich des Fortschreitens der Huntington-Krankheit zu entwickeln. Während mehr Ansätze in Erscheinung treten, die Symptome der Huntington-Krankheit zu behandeln und zu beherrschen, wäre es hilfreich für Ärzte und Patienten, ein Verständnis dafür zu entwickeln, ob sich die Symptome bei einer Person langsamer oder schneller verschlechtern werden. Wir brauchen außerdem genaue Methoden um festzustellen, ob ein Medikament in der Versuchsphase die Gesundheit des Gehirns verbessert hat.

Anders als bisherige Biomarker für die Huntington-Krankheit, kann diese Untersuchung anhand einer einfachen Blutprobe durchgeführt werden.
Anders als bisherige Biomarker für die Huntington-Krankheit, kann diese Untersuchung anhand einer einfachen Blutprobe durchgeführt werden.

Es gibt etablierte Wege, um diese Fragen anzugehen: man kann ausladende Bewegungen betrachten, Stimmungs- und Denkveränderungen analysieren und Bilder der Areale im Gehirn aufnehmen, die von der Huntington-Krankheit betroffen sind. Diese Methoden können allerdings zeitaufwendig und umständlich sein und sind außerdem nicht sehr aussagekräftig für Risikopersonen, die noch keine Symptome entwickelt haben. Daher ist die Huntington-Gemeinschaft auf der Suche nach geeigneten Biomarkern, also Tests, die leicht durchgeführt werden können, um die Entwicklung der Krankheit und die Reaktion auf Behandlungen zu erfassen. Heute freuen wir uns, berichten zu können, dass Forscher in England eine Substanz im Blut identifiziert haben, die vielversprechend auf einen solchen Biomarker hinweist.

Was genau ist ein Biomarker?

Gewöhnlich definieren wir einen Biomarker als einen Test, der den Ausbruch einer Krankheit, ihren Verlauf oder den Erfolg einer Behandlung erfassen kann. Was bedeutet das? Nun, mit einem idealen Biomarker kann ein einfacher Test während einer Routineuntersuchung genügend Informationen liefern, um Entscheidungen über akkute und langfristige Behandlungen fällen zu können. Das war bisher für die Huntington-Krankheit noch nicht möglich und auch nicht für die meisten anderen neurodegenerativen Erkrankungen. Das Gehirn ist ein komplexes Organ und es gibt - im Gegensatz zu Krebs oder Herzerkrankungen beispielsweise - sehr eingeschränkte Möglichkeiten, es zu behandeln.

Tatsächlich kann man Herzerkrankungen als Beispiel heranziehen, um das Konzept des Biomarkes genauer zu erklären. Wenn es um die Gesundheit des Herzens geht, ist ein einfacher und universeller Biomarker der Blutdruck. Den Blutdruck zu messen ist leicht, nicht invasiv und kostengünstig. Und noch wichtiger: ein Jahrhundert der Forschung hat gezeigt, dass der Blutdruck definitiv ein sehr guter Indikator für Herzerkrankungen ist. Wenn er über die Zeit zunimmt, sind evtl. eine Umstellung in der Ernährung oder ein Medikament nötig, um die Gefahr künftiger Herzbeschwerden einzudämmen. Sollte dadurch der Blutdruck sinken, können sich Arzt und Patient ziemlich sicher sein, dass das Risiko wieder geringer ist. Solche Entscheidungen und Schlussfolgerungen können getroffen werden, obwohl niemals direkt eine Messung am Herzen durchgeführt werden muss und noch während es dem Patienten physisch gut geht.

Der ideale Biomarker für die Huntington-Krankheit würde so ähnlich funktionieren. Obwohl ein Gentest eindeutig aussagen kann, ob eine Person die Huntington-Mutation trägt oder nicht, kann er keine Informationen über das kurzfristige Risiko, Symptome zu zeigen, geben, noch kann man darüber feststellen, wie groß der bisherige Schaden im Gehirn ist. Außerdem gibt es bisher keinen einfachen chemischen Test, um festzustellen, ob eine Behandlung Symptome hinauszögert oder die Schädigung verlangsamt; stattdessen müssen Patienten häufig und umständlich untersucht werden. Eine Huntington-Risiko-Person lebt vielleicht viele Jahre ohne irgendwelche Symptome zu erfahren, aber stellen wir uns vor, ein einfacher jährlicher Test könnte anzeigen, wie gesund das Gehirn wirklich ist. Das wäre dann ähnlich wie beim Blutdruckmessen in Bezug auf die Gesundheit des Herzens. Um dieses Ziel geht es auf der Suche nach Huntington-Biomarkern.

Mögliche Biomarker identifizieren

Man kann nach Huntington-Biomarkern suchen, indem man die Gehalte vieler Substanzen im Blut misst, diese Gehalte dann vergleicht und mit der Schwere von Symptomen oder Bildaufnahmen von Schäden im Gehirn in Verbindung bringt. Wenn solche Daten von einer großen Gruppe von Menschen zusammengetragen werden, ist es möglich, zu erfassen, welche Substanzen als Zeichen für Gesundheit oder Schäden interpretiert werden können. Wenn der Gehalt einer bestimmten Substanz im Blut zunimmt (oder abnimmt), während gleichzeitig neurologische Schäden und Symptome sich verschlechtern, werden die Forscher aufmerksam, denn es könnte sich um einen potentiellen Biomarker handeln. Für Gehirnbeeinträchtigungen war die Suche bisher sehr mühsam. Das hängt damit zusammen, dass es sehr selten ist, dass Substanzen aus den Gehirnzellen später im Blutkreislauf vorgefunden werden und damit, dass es von Person zu Person an sich schon große Unterschiede bei den Gehalten bestimmter Substanzen im Blut gibt.

Nichtsdestotrotz hat eine neue Studie, geleitet durch Dr. Edward Wild am University College London, ein Eiweiß im Blut identifiziert, das diese Eigenschaft zu haben scheint: sein Gehalt nimmt proportional zu anderen Anzeichen der Huntington-Krankheit zu. Um dieses Protein zu identifizieren, hat die Forschergruppe Daten aus der TRACK-HD Studie analysiert, eine dreijährige Studie, in der Huntington-Mutations-Genträger und ihre nicht betroffenen Partner oder Geschwister untersucht wurden. Die Wissenschaftler haben kein Medikament getestet, sondern sorgfältige Beobachtungen der Teilnehmer während der Dauer der Studie durchgeführt, um mehr darüber zu verstehen, wie sich die Huntington-Krankheit entwickelt. Von den 298 Teilnehmern der Studie wurden wiederholt Aufnahmen des Gehirns angefertigt, klinische Untersuchungen der Bewegung und des Denkens sowie Blutentnahmen ausgewertet. Daraus ergab sich Stoff für mehrere Jahre Forschung, zu der die vorliegende Biomarker-Studie zählt.

Neurofilament Light Chain

Das Eiweiß, um das sich die Geschichte dreht, nennt sich “Neurofilament Light Chain” oder “NfL”. Es handelt sich dabei um einen wichtigen strukturellen Baustein von Nervenzellen. Er ist maßgeblich für ihre Form wie die Streben eines Regenschirms. Frühere Forschungen haben gezeigt, dass, wenn Gehirnzellen sterben, der Schirm zusammenklappt, sodass NfL ausgeschieden wird und sich im Blutkreislauf wiederfindet. Das hat Wild und sein Team zu der Annahme geleitet, dass zunehmende Schäden in den von Huntington betroffenen Gehirnbereichen zu höheren NfL-Gehalten im Blut führen könnten. Die Wissenschaftler entschlossen sich, NfL genauer zu untersuchen, indem sie die Blutproben, Bildaufnahmen und Untersuchungsergebnisse der TRACK-HD-Teilnehmer auswerteten.

Stellen Sie sich vor, ein einfacher Test könnte ein guter Hinweis auf die Gesundheit des Gehirnes bei der Huntington-Krankheit sein, genauso wie es der Blutdruck für die Gesundheit des Herzens ist

Die Teilnehmer waren basierend auf deren Status der Huntington-Krankheit zu Anfang der Studie in Gruppen aufgeteilt worden. Es gab eine “Kontroll”-Gruppe, die aus den Geschwistern oder Partnern der Mutationsgenträger bestand. Die Huntington-Genträger selbst bildeten vier Gruppen: (1) solche, bei denen davon ausgegangen wurde, dass sie innerhalb der nächsten zehn oder mehr Jahre Symptome entwickeln würden, (2) solche, die in den nächsten Jahren Symptome entwickeln würden, (3) solche, die bereits (leichte) Symptome zeigten und (4) solche, die fortgeschrittene Symptome zeigten.

Je weiter “fortgeschritten” die Gruppe war, in der sich eine Person befand, desto höher war das NfL-Level und NfL nahm über die Dauer der Studie bei Mutationsgenträgern zu. Es gab eine Korrelation zwischen dem höchsten Level an NfL, stärkeren Hirnschäden und schlechteren Ergebnissen bei Bewegungs- und Denkaufgaben. Das bedeutet, dass das NfL-Level gut geeignet war, um die Gesundheit des Gehirns und das Fortschreiten der Huntington-Krankheit anzuzeigen. Wenn eine Person zu Beginn der Studie ein hohes NfL-Level aber noch keine Symptome aufwies, wurden häufig während der Dauer der Studie Symptome entwickelt. Der Gehalt von NfL wurde daher nicht nur mit der Schwere der Symptome assoziiert, sondern konnte auch Auskunft darüber geben, ob eine Person bald erste Krankheitserscheinungen zeigt. Zudem entsprach der Anstieg von NfL im Blut auch einem Anstieg im CSF, der Flüssigkeit, in der das Gehirn schwimmt. Das bedeutet, dass ein Bluttest wahrscheinlich konsistente Informationen über das Gehirn liefern und eine invasive Untersuchung ersetzen kann.

NfL: potentielle Zukunft als Biomarker

Aus all diesen Gründen legen die Autoren der Studie NfL als möglichen Blut-Biomarker nahe, der die aktuelle Gesundheit des Gehirnes bei der Huntington-Krankheit anzeigen kann. Es handelt sich um ein professionell aufgestelltes Experiment mit zuverlässigen Daten, und daher um eine aufregende Neuigkeit. Und trotzdem ist es auch hier, wie bei allen Studien, wichtig, die Grenzen dieser Arbeit zu diskutieren.

Zunächst am wichtigsten: Daten von einer großen Teilnehmerzahl zu analysieren ist eine hervorragende Weise, um allgemeine Trends vorherzusagen, aber die Interpretation lässt sich nicht unbedingt auf jedes Individuum umlegen. Genauso wie ein zu hoher Blutdruck das Risiko einer Herzerkrankung anzeigt, aber nicht das genaue Datum des Herzinfarktes preisgibt, kann auch das NfL-Level im Blut einer Person keine exakte Vorhersage über Symptome oder den genauen Zustand der Gehirngesundheit treffen. Die Blutwerte sind einfach zu unterschiedlich zwischen einzelnen Personen und es gibt immer noch nicht genügend Daten, um die Ergebnisse direkt auf eine Routineuntersuchung - bei einem gewöhnlichen Gang zum Arzt - zu übertragen.

Dennoch könnte das Messen des NfL-Levels eine zusätzliche Art sein, das Fortschreiten der Huntington-Krankheit insbesondere in klinischen Studien zu erfassen. Hier wäre es ganz außerordentlich interessant zu sehen, ob bei derzeitigen und zukünftigen Behandlungsansätzen, das NfL-Level verringert und die Verbesserung von Symtomen dadurch abgebildet werden kann. Es ist ein aufregender Ansatz, dass Wissenschaftler die Daten aus bereits vergangenen klinischen Studien nocheinmal durchsehen könnten, um sich ein besseres Bild vom Zusammenhang zwischen dem NfL und dem Fortschreiten der Huntington-Krankheit zu machen und um festzustellen, ob die erprobten Behandlungsansätze das NfL-Level herabsetzten, auch wenn sie die Symptome nicht verbessern konnten.

Außerdem müssen wir, bevor wir NfL(oder irgendeine andere Substanz) im Blut als verlässliche Informationsquelle bezüglich der Schäden an Neuronen hernehmen können, uns besser darüber im Klaren sein, ob die Werte im Blut wirklich mit denen im Gehirn direkt zusammenhängen. Um dieser Frage nachzugehen, hat das Forscherteam aus dieser Studie bereits eine globale Initiative namens HDClarity ins Leben gerufen, die sicherstellen soll, dass CSF-Proben weltweit gleichförmig und konsistent entnommen und verarbeitet werden.

Wenn die Beobachtungen bezüglich des NfL-Blut/CSF-Levels und der Huntington-Krankheit sich bei weiteren Untersuchungen bestätigen, steht uns vielleicht ein nützlicher Biomarker zur Verfügung. Es ist darauf hinzuweisen, dass NfL nicht spezifisch für die Huntington-Krankheit ist, sondern auch als Marker für das Fortschreiten weiterer neurodegenerativer Krankheiten wie Alzheimer und ALS vorgeschlagen wurde. Wir hoffen, dass es zu den Methoden, die uns die Beobachtung der Huntington-Krankheit ermöglichen, hinzugefügt werden kann und dass es helfen kann, neue Therapien zu entwickeln. Gleichzeitig wird die Wissenschaft fortfahren, nach weiteren Biomarkern zu suchen, die Huntington-Familien helfen könnten, Entscheidungen zu treffen, sobald Behandlungsmöglichkeiten vorhanden sind.

Dr Wild ist stellvertretender Chefherausgeber von HDBuzz. Er ist für die Entscheidung, diesen Bericht zu veröffentlichen nicht verantwortlich, noch für dessen Format oder Redaktion. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...