UniQure will die Huntington-Krankheit mit einem Virus besiegen - und macht wichtige Fortschritte
Die US-Zulassungsbehörde FDA lässt das Medikament AMT-130 für klinische Studien am Menschen zu. Es handelt sich um eine Huntingtin-vermindernde Gentherapie.
Von Dr Jeff Carroll 31. Januar 2019 Bearbeitet von Professor Ed Wild Übersetzt von Rebecca Ursprünglich veröffentlicht am 29. Januar 2019
Die niederländisch-US-amerikanische Firma uniQure hat die Freigabe der US-Gesundheitsbehörde FDA erhalten, um die erste, je dagewesene Studie zur Gentherapie bei der Huntington-Erkrankung durchzuführen. Ihr Plan sieht vor, ein Virus einzusetzen, das in das Gehirn injiziert wird. Hirneigene Zellen sollen durch dessen Inhalt so umfunktioniert werden, dass sie selbst in der Lage sind, das Gegengift gegen das mutierte Huntingtin-Eiweiß herzustellen.
Kurze Wiederholung zur Huntingtin-Verminderung
Hier bei HDBuzz sind wir besonders enthusiastisch, wenn es um das Thema Huntingtin-Verminderung geht. Das ist eine Gruppe von Ansätzen, die mithilfe unterschiedlicher Technologien auf ein einziges Ziel hinarbeiten: Die Menge am mutierten Huntingtin-Protein in Zellen herabzusenken.
Die Huntington-Krankheit wird durch die mutierte Version eines Gens, das wir als Huntington-Gen bezeichnen, hervorgerufen. Das Gen stellt also die Ursache der Krankheit dar, während allerdings erst das nach seinen Anleitungen hergestellte Eiweiß, das mutierte Huntingtin-Protein, den spürbaren Schaden in den Zellen auslöst.
Unsere Zellen lesen ständig die Informationen unserer Gene aus, um Eiweiße zu produzieren. Diese Eiweiße wiederum arbeiten wie kleine Maschinen in den Zellen, um diese gesund zu halten und die Zellfunktionen zu ermöglichen. Die Geninformation der DNA im Zellkern ist dabei nicht unmittelbar zugänglich, sondern wird mithilfe der Boten-RNA, einer temporären Kopie der Information, übertragen.
Die Huntingtin-Verminderung, die die Menge des Huntingtin-Eiweißes reduzieren soll, setzt in den am weitesten entwickelten Technologien genau bei dieser Boten-RNA an. Durch die Vernichtung des “Mittelsmanns” soll sichergestellt werden, dass die Produktion des schädlichen Eiweißes verringert wird.
Bestehende Ansätze und Neuigkeiten von uniQure
Die letzten Jahre und Monate waren von großen Fortschritten geprägt. Mittlerweile gibt es mehrere Medikamente zur Huntingtin-Verminderung, die bereits in klinischen Studien am Menschen getestet werden. Die Firmen, die dahinter stehen sind Ionis/Roche und Wave Life Sciences. Der konkrete Ansatz in diesen Fällen ist die Nutzung von Antisense-Oligonukleotiden oder ASOs: kurze Abschnitte synthetischer DNA, die bestimmte Boten-RNA-Moleküle erkennen und deren Zerstörung hervorrufen.
Ende 2017 erhielten wir die Neuigkeit, dass die Behandlung mit RG6042 zum ersten Mal zu einer Reduzierung des Huntingtin-Eiweißes im menschlichen Nervensystem geführt hat und gerade in der vergangenen Woche begannen die ersten Teilnehmenden bei Roches ausschlaggebender Studie, GENERATION-HD1 – erste Phase-3-Huntingtin-Verminderungsstudie, die bei erfolgreicher Demonstration der Verlangsamung des Fortschreitens der Krankheit zur Marktzulassung des ASO-Medikamentes RG6042 führen könnte.
Es gibt jedoch noch weitere Ideen, wie Huntingtin vermindert werden kann. Eine von ihnen hat letzte Woche das Vertrauen der US-amerikanischen Nahrungsmittel- und Medikamentenzulassungsbehörde FDA zugesprochen bekommen. Diese guten Nachrichten kommen von einer Firma namens uniQure, die je einen Sitz in Amsterdam, Niederlande und Lexington, Massachusetts, USA hat. Der Unterschied zu den bisherigen Methoden ist, dass es sich bei uniQures Ansatz um Gentherapie handelt.
Warum ist eine Gentherapie anders?
ASO-Medikamente wie RG6042 bestehen zwar aus sythethischer DNA, jedoch wird diese nach der Verabreichung nicht dauerhaft in die Zellen eingegliedert. Im Gegensatz dazu beinhaltet der Ansatz der Gentherapie entweder eine permanente Veränderung der menschlichen DNA oder zumindest das Verbleiben neuer genetischer Anleitungen in den Zellen.
Auf dem Papier sieht der Unterschied zunächst gering aus, in der Praxis müssen die beiden Ansätze aber grundlegend verschieden betrachtet werden, da die Gentherapie einen Eingriff darstellt, der Konsequenzen für Jahre oder Jahrzehnte haben kann, während ASOs vom Körper vergleichsweise schnell wieder abgebaut werden.
Bei dem Wort Gentherapie denkt man zuerst an die Möglichkeit, das Gen selbst zu verändern oder die ungewollte Gensequenz herauszuschneiden. Auch wenn das wahrscheinlich ein nützlicher Gedanke ist, ist eine sichere Umsetzung höchst komplex. Daher setzen die meisten Firmen, die an der Gentherapie der Huntington-Krankheit arbeiten, bei einer Idee an, die der der ASO-Therapie im Grunde gleicht: die Boten-RNA soll vernichtet werden, sodass weniger von dem schädlichen Eiweiß produziert wird.
Die Schwierigkeit ist, dass jede Zelle im Gehirn von der Genmutation betroffen ist und das giftige Protein Tag für Tag herstellt. Das Ziel der aktuellen Gentherapien ist es, die Gehirnzellen in Fabriken umzuwandeln, die selbst das Heilmittel gegen den Schädling herstellen können. Man injiziert ein zusätzliches Gen, das die Bauanleitung für Werkzeuge enthält, die die Huntingtin-Boten-RNA finden und abbauen. Bei den Werkzeugen handelt es sich um kurze RNA-Sequenzen Mikro-RNA, die exakt so ausgelegt sind, dass sie an der Huntingtin-RNA anhaften können. Diese RNA-Kombination wird in der Zelle als Abfall erkannt und vollständig abgebaut.
Noch einmal von vorne, bitte!
Es ist recht kompliziert, daher wollen wir es noch einmal mit anderen Worten erklären.
Der Verursacher des Problems ist das mutierte Huntington-Gen, dass eine ungewollte Hungtingtin-Boten-RNA erzeugt, die wiederum die Zellen dazu bringt, das mutierte Huntingtin-Protein herzustellen.
Die Lösung von uniQure wäre das Hinzufügen eines zusätzliches Gens, das eine gegengleiche Mikro-RNA bauen lässt. Letztere passt genau auf die Huntingtin-Boten-RNA, bildet mit ihr eine Verbindung und ruft so ihre Entfernung hervor. Kurz: weniger Hungtingtin-Boten-RNA bedeutet weniger Huntingtin.
Virales Verhalten
Neuronen (Gehirnzellen) sind größtenteils nicht ersetzbar. Im Allgemeinen gilt auch, wenn solche Zellen absterben, werden sie nicht erneuert. Sie bleiben uns daher im Idealfall lebenslang erhalten.
Wenn man die Behandlungsmöglichkeiten der Huntington-Krankheit betrachtet ist das sowohl eine gute als auch eine schlechte Nachricht. Bis heute gibt es keine Technologie, um abgestorbene Gehirnzellen bei Huntington-Betroffenen zu ersetzen. Jedoch ist es von Vorteil, dass - falls es gelingt, die Neuronen dazu zu bringen, sich selbst zu heilen - eine Behandlung mit einem solchen Medikament nur ein einziges Mal stattfinden muss. Denn im Idealfall wird das Neuron genau so lange leben wie die Person, die es mit sich herumträgt.
Gentherapie für Hirnkrankheiten bedient sich bei dieser Behandlung harmloser Viren. In der Forschung arbeitet man bereits seit Jahrzehnten mit einem solchen Virusart namens Adeno-assoziierte Viren (AAV). Diese Viren haben in ihrem Leben buchstäblich ein Ziel: in Zellen eindringen und diese dazu bringen, die DNA zu reproduzieren, um noch mehr Viren herzustellen.
Bei den meisten Viren ist das für uns Menschen ziemlich schlecht. Allerdings kann man, wie in diesem Fall, die zumeist schädliche DNA eines solchen Virus aus ihm entfernen und es stattdessen mit einer nützlichen Erbinformation füllen. So kann die hervorragende Fähigkeit der Viren, in Zellen einzudringen, für medizinische Zwecke genutzt werden.
Eine langanhaltende Behandlung, die nur einmal durchgeführt werden muss, klingt prima, allerdings gibt es natürlich auch hier Schwächen.
Zunächst muss bedacht werden, dass Viren nur durch direktes Einspritzen ins Gehirn überhaupt dorthin gelangen. Das bedeutet, es ist eine Operation nötig, um die präzise Auslieferung der viralen Fracht an die richtigen Orte im Gehirn zu ermöglichen. Es ist wohl unnötig zu erwähnen, dass das nicht unbedingt ein Spaziergang ist.
Der nächste wichtige Nachteil ist, dass es Nebenwirkungen geben könnte, die dann nach einmaliger Verabreichung genauso wie die erwünschte Funktion der Viren, nicht mehr abzuschalten wären.
Es handelt sich also um einen Ansatz mit hohem Potential aber auch hohem Risiko.
AMT-130 und IND-Zulassung
UniQure hat seinen Hut in den Ring für Gentherapien der Huntington-Krankheit geworfen, indem sie ein AAV-Virus entwickelt haben, dass die Anleitung für ein Mikro-RNA-Werkzeug enthält, welches sich an die Huntingtin-Boten-RNA anheftet. Das Medikament besteht also aus dem Gesamtpaket Virus plus Anleitung und nennt sich AMT-130.
Die Pressemitteilung von uniQure vergangene Woche besagt, dass die US-amerikanischen Nahrungsmittel- und Medikamentenzulassungsbehörde FDA das Medikament AMT-130 mit dem Status Investigational New Drug, kurz IND. Dabei handelt es sich um einen wichtigen Meilenstein bei der Entwicklung eines jeden neuen Medikamentes, denn diese Hürde muss genommen werden, bevor klinische Studien an menschlichen Patientinnen und Patienten durchgeführt werden können. Insofern beinhaltet die Meldung auch die Tatsache, dass die FDA die bisherigen Forschungsergebnisse zu AMT-130 von uniQure überprüft hat und den von uniQure geplanten klinischen Studien zustimmt.
Die Bewerbung um eine IND-Zulassung ist vertraulich und man weiß nicht genau, welche Daten von uniQure an die FDA übermittelt wurden. Bekannt ist jedoch, was von uniQure in 2018 bei wissenschaftlichen Konferenzen präsentiert wurde. Es wurde gezeigt, dass AMT-130 sich gut eignet, um seine Fracht ins Innere der Neuronen zu bringen, nachdem es in das Gehirn von Huntington-Mäusen injiziert wurde. Weiterhin wurde die Menge an produziertem Huntingtin gesenkt. Die so behandelten Mäuse schnitten bei Bewegungstests besser ab als unbehandelte und lebten länger. In den größeren Gehirnen von Schweinen wurde ebenso gezeigt, dass sich das Medikament gut ausgebreitet hat, über mehrere Hirnregionen hinweg, die bei der Huntington-Krankheit als entscheidend angesehen werden.
Zusätzlich zu den Ergebnissen aus den Tierstudien wird die FDA noch sicherheitsrelevante Daten, Details zur Herstellung des Medikamentes und viele Informationen zur geplanten Durchführung klinischer Studien erhalten haben - dabei geht es um die Erfahrung der beteiligten Forscher genauso wie um die Art und Weise der Umsetzung.
Was kommt als Nächstes?
Mit dem IND-Status in der Hand verkündet uniQure nun sehr ehrgeizige Pläne.
Nach IND ist der nächste Schritt einer Pharmafirma für gewöhnlich klinische Studien mit Menschen durchzuführen. Bisher hat es in der Huntington-Forschung bereits Kombinationen aus initialen Sicherheitsprüfungen (Phase-1-Studie) mit Überprüfung der Zielsetzung gegeben (normalerweise wäre das Inhalt einer Phase-2-Studie).
UniQure will sich hier einreihen und schreibt in seiner Pressemitteilung “Der Erhalt des IND-Status durch die FDA ermöglicht es uniQure die geplante dosissteigernde, randomisierte und konrollierte klinische Studie der Phase I/II zu beginnen, um die Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit einer einmaligen Behandlung mit AMT-130 bei Patienten/-innen der Huntington-Krankheit zu prüfen. UniQure erwartet die Teilnahme mehrerer klinischer Standorte in den USA und den Beginn der Behandlung von Patienten/-innen in der zweiten Hälfte dieses Jahres.”
Auch wenn Pressemitteilungen oft mehr versprechen als sie halten können, ist es ermutigend zu sehen, dass uniQure die Testung ihres Medikamentes für die zweite Jahreshälfte von 2019 plant und dazu offensichtlich schon detaillierte Vorbereitungen getroffen hat. Wir kennen noch nicht die Einzelheiten der bevorstehenden Studie oder auch nur die exakten Orte, an denen sie ausgeführt werden soll, aber Sie können damit rechnen, diese Informationen im Verlaufe des Jahres zu erhalten.
Wo stehen wir jetzt?
Es ist noch ein weiter Weg, allerdings wurde eine wichtige Hürde genommen. Wir legen Ihnen deshalb nahe, diese Meldung zu denen hinzuzufügen, für die man im Verlauf des Jahres 2019 dankbar sein kann. Das Jahr begann mit zwei einzigartigen Huntingtin-Verminderungsprojekten, bei denen ASO-Medikamente an Teilnehmenden getestet werden und nun kommt noch der erste Ansatz für eine Gentherapie mit dem gleichen Ziel parallel hinzu. Zudem sind weitere Firmen wie Voyager und Spark Therapeutics mit der Entwicklung von Gentherapien beschäftigt, auch wenn noch keine von beiden den IND-Status erhalten hat wie uniQure.
Jeder Ansatz beinhaltet seine eigenen Vorteile und Risiken. Zum jetzigen Zeitpunkt weiß noch niemand, welcher von ihnen der beste Weg zur Verringerung der Huntingtin-Menge sein wird, daher ist es gut, dass viele Studien nun gleichzeitig durchgeführt werden.
Es ist wirklich ermutigend, dass so viele Firmen und auch die Zulassungsbehörden das Potential der laufenden Programme erkennen. Wir freuen uns darauf, Ihnen im Laufe von 2019 hoffentlich noch mehr aufregende Neuigkeiten zur Hungtingtin-Verminderung überbringen zu können.