Ed WildVon Professor Ed Wild Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Albrecht

Es wird angenommen, dass sich das Immunsystem bei der Huntington-Krankheit annomal verhält. Nun wurde nachgewiesen, dass ein Wirkstoff, der CB2-Rezeptoren an Immunzellen aktiviert, Symptome und Überlebensrate bei HK-Mäusen verbessert - mit interessanten Implikationen für das Immunsystem als Ziel von HK-Behandlungen.

Das Immunsystem und die HK

Die Huntington-Krankheit wird als neurodegenerative Krankheit bezeichnet, da die meisten Symptome durch Fehlfunktionen und Absterben von Neuronen (Nervenzellen) verursacht werden. Das mutierte Huntingtin-Protein, welches die Huntington-Krankheit auslöst, wird jedoch von jeder Körperzelle hergestellt und daher haben Forscher in jüngeren Jahren auf der Suche nach einer Behandlung nicht nur das Gehirn betrachtet.

Die Grafik zeigt die Wirkung von GW auf das Überleben von R6/2-Mäusen. Jedes Mal wenn eine Maus stirbt, fällt die Linie ab. Die "GW"-Linie fällt während des Versuchs überhaupt nicht ab. Die anderen Linien stellen Gruppen von "Kontrollmäusen" dar.
Die Grafik zeigt die Wirkung von GW auf das Überleben von R6/2-Mäusen. Jedes Mal wenn eine Maus stirbt, fällt die Linie ab. Die “GW”-Linie fällt während des Versuchs überhaupt nicht ab. Die anderen Linien stellen Gruppen von “Kontrollmäusen” dar.
Quelle: Society for Neuroscience (Bouchard et al.)

Eine Erkenntnis, die dieser Ganzkörperansatz hervorbrachte, ist, dass das Immunsystem - unser Schutz vor Infektionen und Verletztungen - sich bei Huntington-Patienten ein wenig anders verhält als üblich.

Im Durchschnitt ist der Gehalt an Botenstoffen im Immunsystems, genannt Cytokine, bei Menschen mit der Huntington-Mutation höher, auch schon bevor die Symptome auftreten. Auch sind weiße Blutkörperchen bei HK-Patienten hyperaktiv - wenn sie im Labor gezüchtet und mit aus Bakterien gewonnenen Chemikalien befeuert werden, produzieren sie mehr Cytokine als normal.

An den Verbindungen zwischen dem HK-Gen, dem Verhalten des Immunsystems und dem Gehirn wird noch immer gearbeitet. Es gibt aber bereits Anzeichen dafür, dass eine künstliche Beeinflussung des Immunsystems ein Weg sein könnte, die HK zu bekämpfen.

Vergangenes Jahr wies eine Gruppen unter Leistung von Dr. Paul Muchowski am Gladstone Insitute of Neurological Disease in Kalifornien nach, dass eine Veränderung des chemischen Verhaltens weißer Blutkörperchen unter Verwendung des Wirkstoffs JM6 HK-Mäusen zu einem längeren Leben verhalf. Und dieses Jahr berichtete Muchowskis Team, dass eine Knochenmarktransplantation von einer “normalen” Maus in eine HK-Maus sich leicht förderlich auswirkte.

Man kann also sagen, dass Untersuchungen des Immunsystems zum Verständnis der HK und als Ziel möglicher Behandlungen gerade ein heißes Eisen sind. Und Muchowskis Team hat wieder einmal mit einem neuen Artikel in das Journal of Neuroscience geschafft - dieses Mal mit einer bemerkenswerten Studie, in deren Mittelpunkt die Aktivität von “CB2-Rezeptoren” im Immunsystem steht.

CB2-Rezeptoren?

Ein Rezeptor ist ein Molekül, das aus einer Zelle herausragt und darauf wartet, dass ein chemischer Botenstoff es erreicht. Sobald dies passiert, löst der Rezeptor eine Reihe von chemischen Ereignissen im Inneren der Zelle aus, die schließlich das Zellverhalten verändern.

Jeder Rezeptor ist nur fähig, einen bestimmten Typ Botenstoff “einzufangen” und jeder Rezeptor löst seine eigene Folge von Ereignissen im Inneren der Zelle aus. Auf diese Weise ist jede Zelle in unserem Körper in der Lage, angemessen auf eine Vielzahl von Signalen zu reagieren.

CB2-Rezeptoren sind Teil der Familie der “cannabinoiden” Rezeptoren. Sie werden so genannt, weil sie von Chemikalien ausgelöst werden können, die in Cannabis vorkommen. Aber - nur um das klarzustellen - dies ist keine Stude über Cannabis!

Besonders interessant an CB2-Rezeptoren ist, dass sie in Immunzellen besonders häufig anzutreffen sind. Das Aktivieren der CB2-Rezeptoren “beruhigt” diese Immunzellen, da es dazu führt, dass sie weniger eigene Botenstoffe produzieren - die Cytokine, die wir oben erwähnten.

Wenn man dies weiß und außerdem, dass das Immunsystem im Falle der Huntington-Krankheit überreagiert, sollte man meinen, das Aktivieren von CB2-Rezeptoren sei eine gute Sache. Anders gewendet, wäre das Ausschalten von CB2-Rezeptoren bei der HK schlecht. Muchowskis Team hat beide Möglichkeiten betrachtet, angefangen mit der zweiten.

Knockout des CB2-Gens

Das Team begann mit einem Tiermodell der Huntington-Krankheit mit BACHD-Mäusen, die das mutierte menschliche Huntingtin-Protein produzieren und der HK ähnliche Symptome entwickeln. Symptome bei BACHD-Mäusen setzen im Alter von rund sechs Monaten ein und schreiten langsam voran.

Als nächstes nutzten sie Genetic Engineering um BACHD-Mäuse ohne das CB2-Rezeptoren produzierende Gen zu züchten. Man nennt diese Art des Entfernens eines Gens einen genetischen “Knockout”.

Als der Versuch nach dreizehn Wochen beendet wurde, waren 30% der nichtbehandelten Mäuse gestorben. Von den GW-behandelten Mäusen waren keine gestorben.

The BACHD-Mäuse ohne CB2-Rezeptoren entwickelten Symptome sehr viel rascher als normale BACHD-Mäuse -nach drei Monaten anstelle von sechs.

Um zu überprüfen, dass das frühere Auftreten der Symptome nicht nur daher rührt, dass das Fehlen von CB2 schlecht für das Gehirn ist, betrachtete Muchowskis Team eine dritte Gruppe von Mäusen. Diesen fehlte CB2, aber sie produzierten kein mutiertes Huntingtin. Diese Mäuse schienen normal. Nur bei Vorliegen beider genetischer Annomalien - Produzieren des mutierten Huntingtin und fehlendes CB2 - hatten die Mäuse sehr schnell fortschreitende Symptome.

Es waren auch nicht nur die Symptome, die bei diesen Mäusen schlimmer waren. Die Forscher untersuchten den Gehalt eines Proteins mit Namen Synaptophysin in ihrem Gehirn. Synaptophysin ist wesentlich für die Verbindung zwischen Neuronen und es gab viel weniger davon in den Gehirnen der BACHD-Mäuse, die keine CB2-Rezeptoren hatten.

CB2-Aktivierung mittels eines Wirkstoffs: GW

Nachdem die Ergebnisse des CB2-Knockout darauf hinweisen, dass CB2-Rezeptoren dazu beitragen, die Symptome der Huntington-Krankeheit in Schach zu halten, ging Muchowskis Team den nächsten Schritt, indem es versuchte, die Aktivität der CB2-Rezeptoren zu steigern. Hierzu benutzten sie einen *CB2-aktivierenden Wirkstoff" namens GW405833 oder kurz GW.

Um zu testen, ob die Aktivierung von CB2-Rezeptoren mit GW hilfreich ist, benutzten die Forscher Huntington-Modellmäuse genannt R6/2. Diese Mäuse entwickeln Symptome in sehr geringem Alter und werden schnell krank.

GW wurde den R6/2-Mäusen regelmäßig kurz nachdem die Symptome ansetzten gespritzt, ab dem Alter von vier Wochen. Ihre Bewegungssymptome wurde getestet, indem man ihre Fähigkeit zu balancieren maß. Die mit GW behandelten Mäuse schnitten besser ab als unbehandelte Mäuse - sie waren in der Lage auf einer rotierenden Stange beinahme doppelt so lange zu balancieren.

R6/2-Mäuse sterben normalerweise nach ungefähr fünf Monaten, aber die GW-Behandlung bewirkte etwas ziemlich Dramatisches: Als der Versuch nach dreizehn Wochen beendet wurde, waren 30% der unbehandelten Mäuse gestorben. Dagegen waren keine der GW-behandelten Mäuse gestorben. Natürlich wissen wir nicht, wie lange sie nach dem Versuch weitergelebt hätten, aber wie man es auch betrachtet, das ist ziemlich beeindruckend.

Danach maß Muchowskis Team den Synaptophysingehalt im Gehirn. Zur Erinnerung: In den CB2-Knockout-Mäusen war er niedriger gewesen. In GW-behandelten Mäusen war der Synaptophysingehalt höher, was darauf hindeutet, dass ein förderlicher Effekt die Verbesserung der Verbindungen zwischen Neuronen ist. Mit solch guten Ergebnissen frühzeitiger Behandlung wiederholten die Forscher den Versuch, begannen die Behandlung dieses Mal im Alter von acht Wochen und damit einen Monat später. Zu diesem Zeitpunkt waren die Mäuse bereits ziemlich krank. Aber der Wirkstoff wirkte sich dennoch förderlich auf die Bewegungsprobleme und Gehirnverbindungen aus.

Blut oder Gehirn?

CB2-Rezeptoren treten am häufigsten in Immunzellen auf, die man wiederum am häufigsten im Blut, dem Knochenmark und in der Milz antrifft. Das Gehirn verfügt über seine eigenen Imunzellen, genannt Microglia. Daher ist es wichtig, die Frage zu stellen, welche Zellen GW eigentlich behandelt. Mindert es Symptome über Microglia im Gehirn oder über weiße Blutkörperchen im Körper?

Um dies herauszufinden bediente sich Muchowskis Team eines cleveren Tricks. Einigen R6/2-Mäusen wurden zwei Wirkstoffe verabreicht. Der eine war GW, der andere war ein CB2-“Antagonist” namens SR2. Ein Antagonist ist ein Wirkstoff, der die Aktivität eines Rezeptors blockiert. SR2 und GW heben sich als gegenseitig auf. Es ist, als ob man gar keinen Wirkstoff verabreichen würde.

Das klingt nicht sonderlich clever, bis man erfährt, dass diese Wirkstoffe an unterschiedliche Orte im Körper gelangen. GW gelangt überall hin - ins Blut, die Organe und ins Gehirn. SR2 dagegen erreicht das Gehirn nicht - es bleibt im Blut und in den Organen. Da also SR2 die Wirkung von GW im Körper neutralisiert, äußert sich die Wirkung bei Mäusen, denen beide Wirkstoffe verabreicht werden, nur im Gehirn.

Wenn GW seine Wirkung im Gehirn entfaltet, dann sollte man annehmen, dass es den doppelt behandelten Tiere besser geht - dies war nicht der Fall. Sie erkrankten und starben ebenso wie die nicht behandelten Mäuse. Dies weist darauf hin, dass die Vorteile von GW sich über seine Wirkung auf Immunzellen außerhalb des Gehirns entfalten.

Das mutierte Huntingtin-Protein wird überall im Körper hergestellt. Ungewöhnlich: GW scheint bei HK-Mäusen zu funktionieren, indem es auf das Immunsystem außerhalb des Gehirns einwirkt.
Das mutierte Huntingtin-Protein wird überall im Körper hergestellt. Ungewöhnlich: GW scheint bei HK-Mäusen zu funktionieren, indem es auf das Immunsystem außerhalb des Gehirns einwirkt.

Etwas anderes wurde auch bei Muchowskis anderem Wirkstoff, JM6, beobachtet. Zusammen weisen diese Ergebnisse darauf hin, dass eine Beeinflussung des Immunsystems des Körpers sich positiv auf das Gehirn auswirken kann, wodurch sich viele neue Ansatzpunkte im Kampt gegen die Huntington-Krankheit ergeben.

Einen Schritt weiter

Wie mag die Wirkung von GW auf Immunzellen sich positiv auf das Gehirn auswirken? Eine Möglichkeit ist durch das Handeln der Cytokine - die Botenstoff-Moleküle, die wir bereits erwähnt haben. Zur Erinnerung: Blutproben von Huntington-Patienten enthalten größere Mengen dieser Cytokine, insbesondere eines mit Namen IL-6.

Als Muchowskis Team den IL-6-Gehalt in GW-behandelten Mäusen maß, fand es, dass er niederiger war - GW hatte das überaktive Immunsystem gewissermaßen “beruhigt”. Die hart arbeitenden Forscher führten daher einen weiteren Wirkstoffversuch durch, um IL-6 weiter zu untersuchen.

Dieses Mal gaben sie den R6/2-Mäusen Injektionen mit Antikörper-Proteinen welche sich an IL-6 anheften und den Körper auffordern, es zu entfernen. Mäuse, die mit diesem R6/2-reduzierenden Antikörpern behandelt wurden, konnte ihre Bewegungen besser kontrollieren als unbehandelte Mäuse. Die Wirkung war zwar nicht so dramatisch wie die, die man bei GW sehen konnte, aber sie war da, was darauf hinweist, dass die IL-6-Minderung eine Art und Weise sein könnte, auf die die Vorteile von GW das Gehirn erreichen.

Zusammenfassung

Diese Studie, die für die Arbeit vieler Jahre steht, gibt uns eine ganz Menge, worüber sich nachdenken lässt.

Wir wussten bereits, dass das Immunsystem sich bei der HK etwas anders verhält, aber es war nicht so klar, ob eine direkte Behandlung des Immunsystems so eine gute Idee ist.

Muchowskis Studie liefert starke Beweise dafür, dass CB2-Rezeptoren eine wichtige Verbindung zwischen dem Immunsystem im Körper und der Huntington-Krankheit im Gehirn darstellen.

Der Wirkstoff GW bewirkt einen recht dramatischen Nutzen für diese sehr kranken R6/2-Mäuse, aber GW wurde noch nie an Menschen getestet, sodass noch viele Sicherheitstests durchlaufen werden müssen um sicherzustellen, dass es nicht schädlich ist. Wirkstoffe, die CB-Rezeptoren aktivieren, sind in einigen Ländern zugelassen (z.B. Sativex für Symptome der Multiplen Sklerose), aber es gibt keinen gesonderten CB2-Aktivierer auf dem Markt.

Man sollte sich auch in Erinnerung rufen, dass es andere Wirkstoffe gab, die R6/2-Mäusen halfen, die aber bislang nicht erfolgreich für Menschen getestet wurden, da es kein Tier gibt, das ein perfektes Modell der Huntington-Krankheit abgibt.

Ein interessanter Aspekt dieser Forschung ist der leichte Nutzen des IL-6-Antikörpers. Interessanterweise gibt es bereits einen solchen Wirkstoff, der für die Behandlung von Menschen mit Arthritis zugelassen ist - Tocilizumab (oder Actemra). Huntington-Patientenversuche für diesen Wirkstoff sind möglich und dürften sich schneller realisieren lassen als Versuche mit GW.

Da wir wissen, dass du dich das immer noch fragst, zum Schluss noch Folgendes: Diese Studie verrät uns überhaupt nichts nützliches darüber, ob Cannabis Huntington-Patienten hilft. Obwohl Cannabis CB2-aktivierende Moleküle enthält, enthält es noch hunderte weiterer chemischer Stoffe, von denen viele andere biologische Auswirkungen haben, die noch nicht für die HK getestet wurden. Wenngleich wir also wissen, dass Cannabis bei der HK und darüber hinaus populär ist, können wir ihm auf Grundlage dieser Studie keinen wissenschaftlichen “genehmigt”-Stempel aufdrücken.

Dr. Ed Wild, der Autor dieses HDBuzz Texts, ist ein Kollege von Prof. Sarah Tabrizi, die wiederum Co-Autorin des hier diskutierten Forschungsartikels ist. Dr. Wild war an der Forschung nicht beteiligt und Prof. Tabrizi hat auf den HDBuzz-Text keinen Einfluss genommen, der zur Gewährleistung der Neutralität von Dr. Jeff Carroll editiert wurde. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...