Enttäuschende Neuigkeiten von Novartis zu Branaplam und der VIBRANT-HD-Studie
Novartis hat bekannt gegeben, dass sie die Entwicklung des Medikaments Branaplam zur Behandlung der Huntington-Krankheit einstellen werden. Hier ein Überblick über diese neuesten Nachrichten und ihre Auswirkungen auf die Huntington-Gemeinschaft.
Von Dr Rachel Harding 9. Dezember 2022 Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Rebecca
Das Pharmaunternehmen Novartis hat in einer Mitteilung bekannt gegeben, dass es die Entwicklung von Branaplam, einem Huntingtin-senkenden Medikament, für eine mögliche Behandlung der Huntington-Krankheit einstellt. Diese Nachricht folgt auf die jüngsten schlechten Nachrichten über die Nebenwirkungen von Branaplam bei Huntington-Patienten, die in der klinischen Studie VIBRANT-HD getestet wurden, deren Dosierung Anfang des Jahres pausiert wurde. In diesem Artikel gehen wir auf diese Ankündigung ein und erläutern, was diese Nachricht für die Huntington-Gemeinschaft bedeutet.
Huntingtin-senkende Therapien werden von vielen Unternehmen in der Klinik erforscht
Viele Unternehmen erforschen die Huntingtin-Senkung als Strategie zur Behandlung von Huntington. Huntington wird durch eine Mutation im Huntingtin-Gen verursacht, die zur Produktion einer fehlerhaften Version des Huntingtin-Proteins führt. Das fehlerhafte Protein verursacht alle möglichen Probleme im Gehirn, darunter auch das Absterben von Nervenzellen, was zu den Symptomen der Krankheit führt. Huntingtin-senkende Medikamente zielen darauf ab, die Menge des fehlerhaften Huntingtin-Proteins im Gehirn zu verringern, um das Fortschreiten der Huntington-Krankheit zu verlangsamen oder zu stoppen.
Für die Entwicklung von Huntingtin-senkenden Medikamenten werden verschiedene Ansätze verfolgt, wie z. B. Anti-Sense-Oligonukleotide (Wave Life Science und Roche) oder virale Gentherapien (uniQure). Ein Problem besteht darin, dass sich die von diesen Unternehmen entwickelten Medikamente nicht ohne weiteres im ganzen Körper ausbreiten können, so dass sie den Patienten durch eine Infusion in die Rückenmarksflüssigkeit oder durch direkte Injektion ins Gehirn verabreicht werden. Die Verabreichung von Medikamenten auf diese Weise ist teuer und anspruchsvoll für die Patienten, so dass diese Art der Therapie nicht ohne Weiteres auf die weltweite Huntington-Gemeinschaft ausgeweitet werden könnte.
Um diese Probleme zu überwinden, sind die Forscher bestrebt, “niedermolekulare Therapien” zu entwickeln, die billiger herzustellen und zu verabreichen wären. Kleinmolekulare Medikamente können als Pille oder Sirup oral eingenommen werden, wie die meisten gängigen Medikamente, die Sie vielleicht schon einnehmen, z. B. Schmerzmittel oder Allergiemedikamente. Da sie in den Blutkreislauf gelangen können, können sich niedermolekulare Arzneimittel auch besser in fast allen Organen des Körpers ausbreiten. Einige niedermolekulare Medikamente, wenn auch nicht alle, schaffen sogar den Sprung vom Blut ins Gehirn und ermöglichen so die Behandlung von Körper und Gehirn mit einem einzigen Medikament.
Branaplam senkt Huntingtin, wurde aber ursprünglich zur Behandlung einer anderen Krankheit, nämlich SMA, entwickelt
Zwei verschiedene Unternehmen, Novartis und PTC Therapeutics, testen beide niedermolekulare Medikamente, die Huntingtin bei Huntington-Patienten senken können. Die Medikamente beider Unternehmen werden als Spleißmodulatoren bezeichnet, weil sie darauf abzielen, wie unsere Zellen genetische Botschaften bearbeiten, ein Prozess, der als Spleißen bezeichnet wird. Wenn die Geschichte zu Ende ist, liest der letzte Teil der Nachricht das genetische Äquivalent von “Ende”, um der Zelle mitzuteilen, dass die Sequenz für diese Nachricht vollständig ist. Spleißmodulator-Medikamente ändern die Seiten des Buches so, dass “Das Ende” als Schluss gelesen wird, so dass die Zelle die Nachricht zerstört und das zugehörige Protein gar nicht mehr herstellt. Genauso wie man ein sinnloses Buch mit einem verfrühten Ende wegwerfen und “Es war einmal, das Ende” lesen würde.
Bei dem von Novartis entwickelten Spleißmodulator handelt es sich um Branaplam, ein Medikament, das ursprünglich für eine ganz andere Krankheit, die spinale Muskelatrophie (SMA), entwickelt wurde, weil es auch die Konzentration eines Proteins namens SMN2 verändert, das dieser Krankheit zugrunde liegt. Völlig unerwartet entdeckten Wissenschaftler von Novartis, dass Branaplam auch den Spiegel des Huntingtin-Proteins in verschiedenen Modellen verändert und wollten daher in einer Studie namens VIBRANT-HD erforschen, ob dieses Medikament eine gute Behandlung für Menschen mit Huntington sein könnte.
Branaplam hat bei einigen Patienten, die mit diesem Medikament behandelt werden, schwere Nebenwirkungen
VIBRANT-HD sollte herausfinden, ob Branaplam die Huntingtin-Niveaus sicher und wirksam senkt, doch bevor die Rekrutierung abgeschlossen war, wurde die Dosierung der Studie aufgrund von Sicherheitsbedenken unterbrochen. Die Entscheidung, die Studie zu unterbrechen, wurde von einem unabhängigen Datenüberwachungsausschuss getroffen, der die im Rahmen der Studie gewonnenen Daten bewertet, bevor die Ärzte, Patienten oder der Studiensponsor (Novartis) die Ergebnisse kennen, um die Sicherheit der Teilnehmer zu gewährleisten, falls Probleme auftreten.
In der jüngsten Ankündigung haben wir erfahren, dass Novartis beschlossen hat, die Entwicklung von Branaplam zur Behandlung von Huntington aufgrund von Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit dem Medikament einzustellen. Als im August die Verabreichung des Medikaments unterbrochen wurde, wurden Informationen veröffentlicht, die darauf hinwiesen, dass bei einigen Studienteilnehmern Probleme mit der so genannten peripheren Neuropathie auftraten - einer Schädigung von Nervenzellen außerhalb von Gehirn und Rückenmark. In der jüngsten Ankündigung hat Novartis weitere Informationen über Sicherheitsprobleme bei vielen, wenn auch nicht allen Studienteilnehmern bekannt gegeben.
Wie wir erwartet hatten, wurden bei einigen Teilnehmern Symptome und Veränderungen bei neurologischen Untersuchungen festgestellt, die auf eine periphere Neuropathie hindeuten. Einige Teilnehmer wiesen auch erhöhte Werte der Neurofilament-Leichtkette (NfL) auf, einem Labortest, mit dem sich Verletzungen oder Schäden an Nervenzellen beurteilen lassen. Dies bedeutet, dass es nach der Behandlung mit Branaplam zu einer Schädigung des Nervensystems kommen kann. Besorgniserregend ist auch die Beobachtung, dass eine Region des Gehirns, die sogenannten Ventrikel, an Größe zunahm. Die Ventrikel sind ein mit Flüssigkeit gefüllter Raum tief im Gehirn, und eine Vergrößerung dieser Region kann verschiedene Dinge bedeuten, über die wir noch nicht genügend Informationen haben, um sie vollständig zu verstehen. In ihrem Schreiben erklärt Novartis, dass bisher keine klinischen Symptome mit diesen Hirnscan-Befunden in Verbindung gebracht wurden.
Was bedeutet dies für Huntington-Patienten, die Branaplam erhalten haben?
Novartis hat erklärt, dass alle Studienteilnehmer, die Branaplam erhalten haben, weiterhin überwacht werden. Wir wissen noch nicht, ob die Nebenwirkungen, die bei den Studienteilnehmern auftraten, dauerhaft sind oder ob sie sich bessern, wenn die Einnahme des Medikaments beendet ist.
Was können wir aus Studien lernen, die auf diese Weise enden?
Das Scheitern von Studien wie dieser kann einen sehr hart treffen, und es ist ganz normal, dass man über diese Art von Nachrichten bestürzt ist, insbesondere für die mutigen und engagierten Mitglieder der Huntington-Gemeinschaft, die an dieser Studie teilgenommen haben. Trotz dieser traurigen Entwicklung können wir viel aus Studien lernen, die nicht so verlaufen, wie wir gehofft hatten. Im Verlauf von Studien werden Unmengen von Daten gesammelt, und in den kommenden Monaten, wenn die Studien offiziell abgeschlossen werden, werden noch mehr Daten gesammelt werden. Diese Daten können uns wichtige Erkenntnisse darüber liefern, was passiert sein könnte, damit die Gemeinschaft aus dieser Studie lernen und weitermachen kann. Novartis hat erklärt, dass sie sich verpflichtet haben, ihre Erkenntnisse mit Familien, Forschern und anderen Fachleuten aus der Huntington-Gemeinschaft zu teilen.
Wissen wir jetzt, warum Branaplam nicht wie erhofft gewirkt hat?
Diese Ankündigung ist die jüngste in einer Reihe von enttäuschenden Nachrichten über Huntington-Studien - was ist also los? Es ist wichtig zu wissen, dass Branaplam nicht zur Behandlung von Huntington entwickelt wurde. Wir wussten, dass unerwartete Nebenwirkungen möglich waren, denn Branaplam senkt nicht nur die Huntingtin-Konzentration, sondern verändert auch die Konzentration des SMN2-Proteins und möglicherweise anderer Proteine. Die Veränderung der Spiegel vieler verschiedener Proteine kann die komplizierten Prozesse in den Nervenzellen stören, was einige der beobachteten Symptome erklären könnte.
Novartis weist in seiner Ankündigung darauf hin, dass in einigen Tierversuchen eine Nerventoxizität als Nebenwirkung der Branaplam-Behandlung beobachtet wurde, weshalb in der VIBRANT-HD-Studie robuste Sicherheitsüberwachungsverfahren vorgesehen sind. Interessanterweise scheinen bei Kindern mit SMA, die mit Branaplam behandelt werden, diese Symptome nicht aufzutreten, weshalb man noch optimistisch war, dass sich dies bei Huntington-Patienten nicht als Problem erweisen würde. Wir werden wahrscheinlich mehr darüber erfahren, warum das so ist, wenn mehr Daten aus der Studie gesammelt und analysiert werden.
Was bedeutet dies für die anderen Spleißmodulator-Medikamente zur Behandlung von Huntington?
Andere Unternehmen arbeiten an der Entwicklung eines Spleißmodulators zur Behandlung der Huntington-Krankheit, einschließlich Roche, die auf diesem Gebiet vorklinische Forschung betreiben. In einer weiteren Studie mit der Bezeichnung PIVOT-HD wird der von PTC therapeutics entwickelte Spleißmodulator PTC-518 getestet, der dem Branaplam sehr ähnlich ist. Diese Studie wird in Europa und Australien durchgeführt, obwohl die Rekrutierung in den USA pausiert, da PTC einige zusätzliche Daten an die US-Zulassungsbehörde FDA liefern muss. Es ist wichtig zu wissen, dass PTC-518 speziell für die Huntington-Krankheit entwickelt wurde, und die Daten von PTC deuten darauf hin, dass sich dieses Medikament effizienter im Gehirn ausbreitet als Branaplam, so dass man hofft, dass die bei Branaplam beobachteten Nebenwirkungen bei PTC-518 kein Problem darstellen; wir werden im Verlauf der Studie mehr erfahren.
Wann werden wir mehr erfahren?
Novartis hat versprochen, die Öffentlichkeit auf dem Laufenden zu halten, während die Analyse der Studiendaten voranschreitet. HDBuzz wird einen weiteren Artikel schreiben, sobald wir weitere Informationen über Branaplam oder die VIBRANT-HD-Studie erhalten.
Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass klinische Studien zu den größten und kompliziertesten Experimenten gehören, die wir durchführen können, und dass es keine Garantie für gute Ergebnisse gibt, aber jede Studie erweitert unser Wissen und bringt uns der Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von Huntington näher. Wir sind den mutigen und selbstlosen Betroffenen, die an dieser Studie teilgenommen haben, sehr dankbar.