"Einschleusen" von Gene-Silencing Wirkstoffen in das Gehirn über Exosome
Exosome - winzige Bläschen - könnten Medikamente zur Genstilllegung aus dem Blut ins Gehirn transportieren
Von Professor Ed Wild 30. Januar 2012 Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Martin Oehmen Ursprünglich veröffentlicht am 19. Mai 2011
Viele neue Wirkstoffe schlagen fehl, weil sie nicht ins Gehirn gelangen - eine der Haupthürden in der Entwicklung neuer Behandlungsformen für die Huntington Krankheit. Nun benutzten Wissenschaftler Exosome - winzige Bläschen, die von bestimmten Zellen hergestellt werden, um Gene-Silencing Wirkstoffe durch die Blut-Hirn-Schranke zu schleusen.
Die Blut-Hirn-Schranke
Es wird gesagt, dass das menschliche Gehirn das komplizierteste Gebilde im Universum darstellt. Diese Komplexität macht die Menschen als Spezies, ebenso wie jeden von uns als Individuum, einzigartig. Aber das hat seinen Preis: um arbeitsfähig zu bleiben, muss das Gehirn seine eigene Umgebung sehr strickt kontrollieren - kleinste Veränderungen in der Temperatur, dem Blutstrom oder von ein- und ausgehenden Chemikalien können große Auswirkungen auf die Funktion des Gehirns haben.
Die Blut-Hirn-Schranke ist ein Weg, durch den sich das Gehirn vor der sich ständig wandelnden Außenwelt schützt. Die Schranke besteht aus speziellen Verstärkungen der Blutgefäßwände im Gehirn. Viele Stoffe werden vom Magen in das Blut aufgenommen, aber kaum welche können vom Blut ins Gehirn gelangen - wegen der Blut-Hirn-Schranke.
Das Problem des Transports
Während sie für uns als Spezies überlebenswichtig ist, ist die Blut-Hirn-Schranke ein Albtraum für “Arznei-Jäger”. Es bedeutet, dass Wirkstoffe, die im Labor gut funktionieren, oftmals fehlschlagen, wenn sie am Menschen getestet werden - eine wohl bekannte Quelle der Frustration für alle, die der Erforschung von Medikamenten der Huntington Krankheit folgen.
Es gibt diverse Tricks, die angewandt werden können, um einen Wirkstoff in das Gehirn zu überbringen, aber keiner von ihnen ist perfekt. Eine Möglichkeit besteht darin, den Wirkstoff chemisch so zu verändern, dass er die Schranke passieren kann. Aber solch geänderte Wirkstoffe verlieren häufig ihre Wirkung. Eine weitere Möglichkeit ist, die Arznei direkt in das Gehirn oder die umgebende Flüssigkeit zu injizieren - aber dies erfordert potentiell gefährliche Gehirnoperationen und die Arznei breitet sich oftmals nicht ausreichend über das gesamte Gehirn aus. Viren können genutzt werden, um Wirkstoffe weit reichend zu verteilen, aber sie können ebenfalls eigene Probleme verursachen, wie das Aktivieren des Immunsystems.
Kurzum, der Transport von Arzneien und die Blut-Hirn-Schranke sind ein großes Problem für Wissenschaftler, die an einer Krankheit arbeiten, die das Gehirn betrifft.
Exosome
Ein Schritt nach vorne, Exosome. Exosome sind winzige Partikel, die von einigen Zellen produziert werden. Sie werden verwendet, um Stoffe zu anderen Zellen zu transportieren. Bei der Herstellung von Exosomen wird ein kleiner Teil der Zellmembran ‚ausgestülpt’ und dann abgeschnürt, ein wenig so, als wenn sich eine kleine Blase aus einer größeren bildet.
Zellen können Exosome mit Fracht beladen und die Exosome überliefern diese später an andere Zellen. Wenn wir von winzig sprechen, trifft dies wirklich zu, Exosome sind über ein tausendstel mal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares.
Wie können uns Exosome nun dabei helfen, Arzneien über die Blut-Hirn-Schranke hinweg zu transportieren? Diese winzigen Bläschen können durch die Blut-Hirn-Schranke “fließen”. So hatte Dr. Matthew Wood, von der Oxford Universität, die Idee, Exosome zu nutzen, um Gene-Silencing (deutsch: “Gen-Stilllegung”) Wirkstoffe in das Gehirn zu transportieren.
Gene-Silencing Wirkstoffe
Unsere HDBuzz Gene-Silencing Fibel gibt einen Überblick über die Fakten des Gene-Silencings in der Huntington Krankheit. Kurz und knapp, Gene-Silencing verwendet Wirkstoffe, die aus speziell erzeugten Botschaftsmolekülen bestehen, welche die Zellen anweisen ein bestimmtes Protein nicht herzustellen. Im Falle der HK wäre dies das Huntingtin Protein. Eine Herangehensweise des Gene-Silencings ist die RNA Interferenz, kurz RNAi.
Gene-Silencing hat ein großes Potential, das Gehirn vor den Auswirkungen der Huntington-Mutation zu schützen. Die Blut-Hirn-Schranke ist jedoch ein großes Problem für RNAi Wirkstoffe - falls sie in die Blutbahn injiziert werden, gelangen sie nicht in das Gehirn. Selbst falls sie direkt in das Gehirn injiziert werden, breiten sie sich nicht sehr weit aus.
Exosome nutzen, um RNAi Wirkstoffe zu überbringen
„Exosome gelangten durch die Blut-Hirn-Schranke und schalteten das richtige Gen an der richtigen Stelle aus “
Wie jedes Paket benötigt die Arznei-Überbringung drei Dinge: ein Behältnis, eine Zieladresse und eine Fracht.
Woods Gruppe begann mit dem Behältnis - den Exosomen. Sie starteten eine Exosom Produktionslinie, indem sie gereinigte Zellen aus dem Knochenmark von Mäusen verwendeten, so genannte dendritische Zellen. Dendritische Zellen produzieren von Natur aus sehr viele Exosome und besitzen die Fähigkeit unter dem Radar des Immunsystems zu bleiben, eine Eigenschaft, die ihre Exosome hoffentlich übernehmen. Die Gruppe züchtete die dendritischen Zellen im Labor, um dann Exosome zu ernten und aufzureinigen.
Als nächstes mussten die Wissenschaftler die Exosome mit einer Zieladresse versehen, um sicher zu stellen, dass sie dorthin gelangen wo sie benötigt werden. Um das Gehirngewebe ins Visier zu nehmen, veränderten sie die dendritischen Zellen genetisch dahin gehend, dass sie ein Protein aus dem Virus erzeugen, der Tollwut verursacht. Da Tollwut gezielt das Gehirn angreift, sollten die Exosome, die von diesen veränderten Zellen hergestellt wurden, dazu fähig sein an den Gehirnzellen anzuhaften.
Schließlich mussten die Wissenschaftler die Exosome noch mit der Fracht beladen. Dies geschah, indem sie die Exosome mit den RNAi Molekülen vermischten, und genau die richtige Menge an Strom anlegten. Hierdurch absorbierten die Exosome die Arznei-Moleküle.
Mit dem Behältnis, der Zieladresse und der Fracht an Ort und Stelle, testete Woods Gruppe die RNAi überbringenden Exosome an Gehirnzellen im Labor. Sie fanden heraus, dass der Wirkstoff erfolgreich an die richtigen Zellen übermittelt wurde und das richtige Gen ausschaltete. Aber würde dies auch in lebenden Tieren funktionieren?
Kurzum - ja. Nach der Injektion in die Blutbahn von Mäusen, zeigten die Exosome keine negativen Effekte und riefen wie erhofft keine Immunreaktion hervor. Das Zielsystem funktionierte ebenfalls einwandfrei. Die Exosome durchschritten die Blut-Hirn-Schranke und schalteten das richtige Gen an der richtigen Stelle aus. Andere Organe wurden gemieden, auch wenn die RNAi Fracht ebenfalls anderswo die Gene hätte ausschalten können.
Der richtige Test stand an, als Exosome genutzt wurden, eine RNAi Arznei zu transportieren, die ein Krankheits verursachendes Gen ausschaltet. Es war nicht das Huntingtin Gen, aber eines, das an der Entstehung der Alzheimerkrankheit beteiligt ist, genannt BACE1. Sie wählten BACE1, weil eine Reduzierung der BACE1 Aktivität wahrscheinlich vor Alzheimer schützt. Aber bisher konnte kein Wirkstoff, der BACE1 beeinflusst, die Blut-Hirn-Schranke überwinden.
Und wieder mal erbrachten die Exosome ihre volle Leistung. Nach der Injektion in die Blutbahn erreichten sie das Gehirn, schalteten das Gen ab und reduzierten sogar die Menge an Amyloidprotein, das sich in Gehirnen ansammelt, die von der Alzheimer Krankheit betroffen sind.
Zusammenfassung
Alles in allem fügen diese Untersuchungen ein wichtiges neues Teil zum Gene-Silencing Puzzle hinzu. Bisher wurde die Exosom-Übermittlung in keinem Tiermodell der Huntington Krankheit getestet. Dieses Verfahren muss zunächst gründlich getestet werden, bevor es an Menschen erprobt werden kann.
Aber die Idee, einen Gene-Silencing Wirkstoff in die Blutbahn zu injizieren und zu wissen, dass er die Blut-Hirn-Schranke überwindet und sich im Gehirn ausbreitet, ist sehr spannend. HK Forscher werden zweifelsfrei ihre Aufmerksamkeit auf Exosome richten, als ein möglicher Weg Gene-Silencing für Huntington Patienten Wirklichkeit werden zu lassen.