Eine aktuellere Version dieses Artikels ist verfügbar, wurde aber noch nicht übersetzt.
Wir arbeiten an der Übersetzung des Artikels. Alternativ können Sie ihn in Englisch, Spanisch, Niederländisch, Chinesisch und Koreanisch lesen.
Neues Molekül kann die Huntington-Mutation in Labormodellen rückgängig machen
Eine Kooperation aus Wissenschaftlern aus Kanada und Japan hat ein kleines Molekül identifiziert, das die Anzahl der CAG-Wiederholungen in verschiedenen Labormodellen der Huntington-Krankheit ändern kann.
Von Dr Michael Flower 18. März 2020 Bearbeitet von Dr Rachel Harding Übersetzt von Rebecca Ursprünglich veröffentlicht am 13. März 2020
Eine Kooperation aus Wissenschaftlern aus Kanada und Japan hat ein kleines Molekül identifiziert, das die Anzahl der CAG-Wiederholungen in verschiedenen Labormodellen der Huntington-Krankheit ändern kann.
Die Anzahl der CAG-Wiederholungen ist instabil
Die Huntington-Krankheit wird durch einen Strang der chemischen Buchstaben C, A und G des Huntington-Gens verursacht. Die Buchstaben wiederholen sich in dieser Reihenfolge in einem Bereich wieder und wieder, solange bis eine kritische Anzahl von Wiederholungen überschritten wird; ab 36 CAG-Wiederholungen ist die Voraussetzung für die Krankheit gegeben.
An bestimmten Orten im Körper kann die Anzahl dieser Wiederholungen instabil sein. Sie kann sich im Laufe eines Patientenlebens teils stark erhöhen, je nach Bereich und Gewebeart im Körper.
Im Blut ist die Anzahl recht stabil, wenn ein Bluttest zur genetischen Diagnose gemacht wird, bleibt dieser daher zuverlässig. In tiefliegenden Strukturen des Gehirns hingegegen, die beispielsweise für Bewegungen zuständig sind, kann sich der Genstrang besonders schnell verlängern und es können bis zu 1000 Wiederholungen entstehen. Wissenschaftler nehmen an, dass es einen Zusammenhang zwischen dieser zusätzlichen Verlängerung und dem Absterben von Hirnzellen geben kann. Das könnte unter Umständen erklären, warum einige Regionen im Gehirn stärker von der Krankheit mitgenommen werden als andere.
Aber warum?
Da stellt sich die Frage, wie kommt es zu dieser Erhöhung der CAG-Anzahl? Es scheint, dass es etwas mit dem Thema DNA-Reparatur zu tun hat.
Alle Menschen sehen sich täglich einem Haufen Angriffen auf die DNA ausgesetzt, diese können durch Sonnenlicht, durch Passivrauchen, das Altern oder unsere Nahrung hervorgerufen werden. Über Millionen von Jahren haben wir ein komplexes Netz an DNA-Reparatursystemen entwickelt, um solche Schäden schnell zu reparieren, bevor sie zur Abtötung unserer Zellen oder zur Entstehung von Krebszellen führen können. Genau wie alle Vorgänge in unseren Zellen wird auch diese DNA-Reparaturmaschinerie durch das Befolgen von Anweisungen aus bestimmten Genen realisiert. Tatsächlich enthält unsere DNA also die Anleitung für ihre Selbstheilung, was gleichzeitig bizarr und ziemlich toll ist.
„Wie kommt es zu dieser Erhöhung der CAG-Anzahl? “
Es ist seit einigen Jahren bekannt, dass bestimmte Huntington-Mäuse weniger effiziente Systeme zur DNA-Reparatur besitzen und sie gleichzeitig stabilere Anzahlen von CAG-Wiederholungen aufweisen. Darüberhinaus führt das Auslöschen bestimmter DNA-Reparaturgene dazu, dass sich der CAG-Strang überhaupt nicht mehr verlängert.
Einen Moment mal, ist nicht gerade unser DNA-Reparatursystem dazu da, uns vor gefährlichen Mutationen zu bewahren? Na ja, normalerweise schon. Allerdings scheint es, dass ein bestimmter Reparaturmechanismus, die Basenfehlpaarungsreparatur oder Mismatch-Reparatur, die CAG-Wiederholung im Huntington-Gen als einen Fehler wahrnimmt und daher versucht, das Gen zu reparieren. Daran scheitert es leider und fügt stattdessen zusätzliche Wiederholungen hinzu.
Warum ist das von Bedeutung?
Es hat in letzter Zeit ein explosionsartiges Interesse an diesem Feld gegeben, größtenteils, weil großangelegte Genstudien an Huntington-Patienten zu dem Ergebnis führten, dass einige DNA-Reparaturgene das Alter des Ausbrechens von Symptomen beeinflussen können und die Geschwindigkeit des Fortschreitens der Krankheit. Eine Hypothese, um dieses Ergebnis zu erklären, ist, dass eine verzögerte Verlängerung des CAG-Stranges das Fortschreiten der Krankheit als solche verlangsamt. Was wäre, wenn man ein Medikament herstellen könnte, das diese Verlängerung vollständig aufhält oder sogar rückgängig macht? Vielleicht könnte so die Huntington-Krankheit verlangsamt oder ganz verhindert werden.
Was ist daran nun neu?
Chris Pearson’S Gruppe in Toronto hat eine Verbindung namens Naphthyridin-Azaquinolon, was wir im Folgenden mit “NA” abkürzen wollen. Diese Verbindung stabilisiert den CAG-Strang und könnte dessen Verlängerung vorbeugen.
Sie verwendeten Zellen von Huntington-Patienten in einer Petrischale und konnten an diesen Zellen zeigen, dass NA in der Lage war, die Verlängerung zu verlangsamen, oder sogar zu einer Verkürzung zu führen. Pearson zeigte, dass das Aufhalten der Transkription - die Übertragung on genetischer Information zur Herstellung von Proteinen - einer Verlängerung des CAG-Stranges vorbeugte. Das legt nahe, dass sich während des Prozesses der Transkription die betroffene Genpartie in eine abnormale Form krümmt, die wiederum dem DNA-Reparatursystem auffällig erscheint. Das Reparatursystem will folglich den Fehler beheben.
Die genaue Wirkweise von NA an dieser Stelle ist allerdings noch unklar. Pearson’s Gruppe injizierte NA auch einseitig in das Gehirn von Huntington-Mäusen. Dabei sollte das Striatum erreicht werden, eine Hirnregion die starke Verlängerungen des CAG-Strangs aufweist. Im Vergleich zur unbehandelten Hirnhälfte konnte die Verlängerung hier durchaus verhindert, ja sogar eine Verkürzung bewirkt werden.
Als nächstes zeigte die Gruppe noch, dass sich in Mäusezellen weniger Verklumpungen des giftigen Huntingtins ansammelten. Noch ist nicht bekannt, ob diese Mäuse auch weniger starke Symptome zeigten oder sich ihre Lebensdauer veränderte. Das wären zwei sehr wichtige Punkte, um festzustellen, ob eine Verringerung der Verlängerung des Huntington-Gens ein Potenzial als Therapie für menschliche Patienten besitzt.
Was nehmen wir davon mit?
„NA war in der Lage, die Verlängerung zu verlangsamen, oder sogar zu einer Verkürzung zu führen. “
Eine große Hürde bei der Medikamentenentwicklung ist die Sicherstellung, dass der Wirkstoff dort ankommt, wo er am meisten benötigt wird; bei der Huntington-Krankheit bedeutet das, er muss in tiefe Hirnregionen vordringen. Sobald NA sich im Gehirn befindet, kann es sich frei bewegen, aber aktuell wäre es bei einer Injektion in die Blutbahn nicht in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Die Wissenschaftler müssten es dafür noch entsprechend verbessern, sodass eine direkte Injektion in das Gehirn vermieden werden kann.
Mit der DNA-Reparatur an sich herumzuspielen, die eines unserer wichtigsten körpereigenen Abwehrsysteme darstellt, ist gefährlich. Schwerwiegende Nebenwirkungen könnten dabei auftreten, bis hin zu Krebs. Pearson zeigte, dass NA die Kernfunktion dieser DNA-Reparatur nicht beeinträchtigte. DNA-Basen konnten weiterhin entfernt werden, wenn sie am falschen Ort angebracht wurden. Jedoch führte es zu kleineren Mutationen an anderen Stellen des Gens, ähnlich wie es bei der Chemotherapie passieren kann.
Es ist möglich sich vorzustellen, dass Huntington-Patienten in jungem Alter behandelt werden können, bevor sie Symptome entwickeln. Die Länge des Huntington-Gens könnte im ganzen Körper stabilisiert werden und somit der Krankheit vorbeugen oder ihr Ausbrechen zumindest verzögern. Auch könnte die Verkürzung des Gens in Spermien und Eizellen bedeuten, dass die Huntington-Mutation nicht an die Nachkommen weitervererbt wird.
Allerdings ist das für NA noch ein weiter Weg. Zuerst muss gezeigt werden, dass die verhinderte Verlängerung des CAG-Strangs tatsächlich die Krankheit positiv beeinflusst. Als nächstes muss ein Weg gefunden werden, NA möglichst risikofrei in tiefe Hirnregionen zu transportieren. Und zuletzt muss nachgewiesen werden, dass die Verabreichung sicher und gut verträglich ist und sich auch die Nebenwirkungen in Grenzen halten. Wenn man früh behandelt wird, hat man beispielsweise auch über einen längeren Zeitraum hinweg ein Risiko für Krebs, all das muss bei der weiteren Entwicklung berücksichtigt werden.
Zusammengefasst handelt es sich bei NA um eine spannenden Wirkstoff aus der Wissenschaft. Der Weg zum Patienten wäre allerdings noch immens lang.