Screening des gesamten Genoms nach möglichen Ansatzpunkten für ein Medikament gegen Huntington
Wissenschaftler rastern das gesamte Genom um potenzielle Behandlungsmöglichkeiten für die Huntington-Krankheit zu erkennen. Diese ehrgeizige Studie liefert große Mengen wertvoller Daten für die Huntington-Forschung.
Von Dr Rachel Harding 13. Dezember 2020 Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Rebecca Ursprünglich veröffentlicht am 23. Februar 2020
Eine Veröffentlichung aus dem Journal “Neuron” berichtet von neuen möglichen Ansatzpunkten für eine Behandlung der Huntington-Krankheit. Die Arbeit, die von Professor Myriam Heiman und ihren Kollegen durchgeführt wurde, setzte brandneue Gentechnologie ein und entdeckte im Labor mehrere Gene, die das Fortschreiten der Krankheit beeinflussen könnten. Viele dieser Gene wurden bisher nicht mit Huntington in Verbindung gebracht und könnten daher neue Wege für Forscher in der Medikamentenentwicklung eröffnen.
Ein ehrgeiziges Raster des gesamten Genoms
Die Zellen unseres Körpers enthalten DNA, eine Gesamtheit von tausenden von Genen, jedes davon ein Rezept mit Anleitungen zur Herstellung unterschiedlichster Proteine. Die Übertragung der Anleitung erfolgt mit Hilfe der Boten-RNA oder mRNA, die von der Zelle ausgelesen wird. Dieser Prozess kann von Wissenschaftlern gezielt beeinflusst werden und dadurch kann im Labor ein Verständnis für die Rolle unterschiedlicher Gene im Körper entwickelt werden.
Ein Raster oder genetisches Screening soll dazu dienen, jedes einzelne Gen auf eine gewissen Aufgabe hin abzutasten. Im vorliegenden Fall wollten Forscher die Schutzwirkung aller Gene gegen Schädigungen durch die Huntington-Mutation untersuchen.
Technologien zur Erstellung eines genetischen Rasters gibt es verschiedene, es ist ihnen aber gemeinsam, dass sie alle darauf abzielen die Produktion eines bestimmten Proteins zu reduzieren oder zu stoppen. Ansteuern kann man die Gene zum Beispiel durch Genombearbeitung oder durch Einwirkung auf die spezifische Boten-RNA.
Weltweit führend bei der Erstellung von Bibliotheken, die für genetische Screenings verwendet werden können, ist Professor Heiman vom Borad Institute. In der vorliegenden Studie wurde auf zwei Technologien zurückgegriffen, in beiden Fällen muss ein Transport über bestimmte Viren vorgenommen werden. Als erstes wurden kurze Haarnadel-RNAs mithilfe der Viren in die Zellen eingeschleust. Diese interagieren mit der Boten-RNA und sorgen dafür dass diese nicht in den Bau von Proteinen übersetzt wird. Die zweite eingesetzte Methode war CRISPR, das eine direkte Bearbeitung des Genoms ermöglicht, sodass bestimmte Gene gar nicht erst durch die Boten-RNA ausgelesen werden.
Systematische Rasterungen des Erbguts von einfacheren Tiermodellen wie Würmern oder Fliegen gibt es bereits seit Jahrzehnten. Allerdings stellten Säugetiere ungleich größere technische Herausforderungen dar, sodass deren Erbgut lange nicht so detailliert untersucht werden konnte.
Professor Heiman’s Gruppe konnte die Schwierigkeiten überwinden, indem sie einge Möglichkeit fand, die nötigen Reagenzien zu bündeln und aufzukonzentrieren, die dann in Mäusegehirne injiziert wurden. Sie konnten direkt das Striatum untersuchen und damit den Teil des Gehirns, der von der Huntington-Krankheit am stärksten betroffen ist.
Mehr als 20.000 Gene für eine einzige Studie untersucht
Anstatt sich auf bekannte Gene zu konzentrieren, von denen man bereits weiß, dass sie Neurodegeneration begünstigen, sollte ein möglichst unbeeinflusster Blick auf das komplette Genom und damit auf fast jedes einzelne Gen gerichtet werden. Tatsächlich waren es fast 22.000 Gene, die in den Mäusen gefunden und untersucht wurden. Das ist sehr ehrgeizig und beschert der Forschergemeinde einen großen und wertvollen Datenpool sowohl in Bezug auf die Huntington-Krankheit als auch darüber hinaus.
Da es sich um das erste systematische Raster im Nervensystem von Säugetieren handelt, wurden gewöhnliche, gesunde Mäuse untersucht, um herauszufinden, welche Gene für den Erhalt der normalen Funktion des Gehirns zuständig sind. Es zeigte sich hierbei, dass Gene, die bereits bei Würmern oder Fliegen als bedeutend identifiziert wurden, auch bei Mäusen wichtig sind.
Darüberhinaus zeigten sich in der Studie aber auch neue Gene, die eine Rolle im Zellstoffwechsel spielen. Dass diese bei Würmern oder Fliegen nicht identifiziert wurden, hängt wahrscheinlich damit zusammen dass das Nervensystem von Säugetieren einen höheren Energieverbrauch hat und daher stärker von Genen abhängt, die die Zellen bei der Energieproduktion unterstützen. Dabei handelt sich um eine gute Erinnerung an die Tatsache, dass bei wissenschaftlichen Erkenntnissen immer darauf geachtet werden muss, in welchen Tiermodell diese erzielt wurden.
Zusätzlich zu den gesunden Mäusen wurden zwei weitere Mausmodelle untersucht: R6/2 und zQ175, die beide schon vielfach als Huntington-Mausmodelle zum Einsatz gekommen sind. Durch den Vergleich der Gen-Raster der Huntington-Mäusen mit dem der Kontroll-Mäuse, konnten die Forscher herausfinden, welche Gene insbesondere bei der Huntington-Krankheit für die Hirnfunktion von Bedeutung sind.
Für die Gen-Raster der beiden Huntington-Mausmodelle wurden in der Studie etwa 500 Gene identifiziert, die wichtig für das Fortschreiten der Krankheit sind. Viele dieser Gene spielen eine Rolle in der Wissenschaft bereits bekannten Prozessen, die in anderen Gen-Screening Studien identifziert wurden, bei denen Gene mit Auswirkungen auf das Ausbruchsalter der Krankheit bei Menschen gesucht wurden. Es handelt sich um Gene, die DNA-Schäden reparieren oder solche die die Übertragung der Information aus der mRNA regulieren.
Es wurden auch neue Zielgene für Medikamente beim Screening identifiziert, darunter Gene aus der Nme-Familie. Nme-Gene wurden bereits mit der Verbreitung einiger Krebsarten in Verbindung gebracht, aber es ist das erste Mal, dass eine Verbindung zwischen ihnen und der Huntington-Krankheit beschrieben wurde. Heimann und Kollegen denken, dass ein Ansteuern der Nme-Gene deswegen nützlich sein könnte, weil man den Gehirnzellen so helfen könnte, das mutierte Huntingtin loszuwerden.
Neue Möglichkeiten für Therapieansätze
Auch wenn es mittlerweile bereits einige bahnbrechende Methoden in die klinische Erprobung geschafft haben, ist es wichtig, dass die Wissenschaftler weiterhin nach Möglichkeiten der medizinischen Behandlung von Huntington suchen. Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine entscheidende Datenquelle dafür, die eventuell auch für andere Nervenkrankheiten nützlich sein kann.