Die Kraft von Viren zur Behandlung der Huntington-Krankheit nutzen
Forscher entwickeln einen Virus zum effizienteren Transport von Genstummschaltungsmedikamenten in das Gehirn hinein.
Von Dr Leora Fox 10. April 2016 Bearbeitet von Professor Ed Wild Übersetzt von Christian Schnell Ursprünglich veröffentlicht am 1. Februar 2016
Neue Therapien für Krankheiten wie die Huntington-Krankheit (HK) sind auf dem Weg, aber es kann eine extrem große Herausforderung sein, die Medikamente auch in die Gehirnzellen hineinzubekommen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat einige harmlose Viren verändert und getestet, die effizient und viel besser als natürlich vorkommende Viren, eine “Gen-Stummschaltung (gene silencing)” in das Gehirn von Mäusen einschleusen können. Zusätzlich können diese Viren per einfacher Injektion in die Blutbahn angewendet werden, so dass sich ein großes Potential für die Forschung an der Genstummschaltung und darüber hinaus bietet.
Fortgeschrittene Therapien in Hirnzellen freisetzen
Die HK wird durch einen Fehler im genetischen Code verursacht, einem Fehler der zum Aufbau eines giftigen Proteins führt, der mutierten Form des Huntingtin. Im Verlauf des Lebens führt dieses giftige Protein zum Absterben von Gehirnzellen.
Eine grundlegende Strategie im Entwickeln von Behandlungen für die HK ist das Senden von Nachrichten zu den Gehirnzellen, um ihnen mitzuteilen, dass sie die Produktion des mutierten Huntingtin-Protein stoppen sollen. Dies ist die Grundlage für die Gen-Stummschaltung bei der HK. Es gibt viele verschiedene Ansätze für diese Therapien, unter denen auch eine gerade laufende klinische Studie ist, die das Thema eines kürzlichen Buzz-Artikels war.
Da jede einzelne Zelle den Huntington-Fehler in ihrer genetischen Information besitzt, ist es eine große Herausforderung der Genstummschaltungsforschung wie man die Medikamente - idealerweise ohne eine Operation am Gehirn - zu möglichst vielen Gehirnregionen bringt. Da mehr und mehr Forscher die HK als eine Krankheit des gesamten Gehirns betrachten, müsste eine vielversprechende Therapie weite Teile des Gehirns erreichen und das mutierte Huntingtin in einem großen Anteil der Nervenzellen ausschalten.
In diesem Bereich gab es kürzlich einen technologischen Fortschritt: Ein verändertes Virus hat das Potential, eine Therapie gegen die HK viel effektiver als jemals zuvor zu den Hirnzellen zu bringen. Dieses Projekt befindet sich noch einem frühen Forschungsstadium und ist noch nicht zum Test in Menschen bereit. Am Ende könnte es aber dazu führen, dass Genstummschaltungsmedikamente ohne Operation verabreicht werden können und dazu noch weiter ins Gehirn reichen und effizienter im Gehirn verteilt werden.
Die Möglichkeiten von Viren nutzen
Wissenschaftler nutzen Viren seit langer Zeit um die Verteilung von genetischem Material im Gehirn zu untersuchen. Wir sprechen hier aber nicht von krankheitsverursachenden Viren wie Grippeviren, sondern von zwar in der Natur auftretenden, aber harmlosen Viren, die Wissenschaftler für Forschungszwecke verändert haben. Das Ziel in der Huntington-Forschung ist es, die natürliche Fähigkeit der Viren zum Eintreten in Gehirnzellen zu nutzen, und sie dann mit genetischen Nachrichten zu bestücken, die die Produktion von mutiertem Huntingtin im Gehirn stoppen.
Eine wichtige Eigenschaft von Genstummschaltungsmedikamenten ist, dass sie aus ähnlichen chemischen Materialien wie die DNA gemacht sind. Dadurch können sie mit den Teilchen in der Zelle interagieren, die ein genetisches Rezept in ein Protein übersetzen.
Vereinfacht sind Viren kleine Päckchen mit genetischem Material: Dies kann DNA oder eine verwandte Substanz namens RNA sein, die von einer Schale umgeben ist. Diese Oberfläche der Viren ist mit kleinen Molekülen besetzt, die sich wie Schlüssel verhalten und damit die Zelle dazu bringen, ihre Türen zu öffnen und das Virus hineinzulassen. Ist es ins Inneren der Zelle gelangt, platzt das Virus und setzt sein genetisches Material frei. Dies ist ein bisschen heimtückisch, denn die Zelle behandelt das neue genetische Materials als wäre es ganz normal und produziert dadurch ganz nebenher Virusteile.
Bei den meisten Viren, zum Beispiel auch bei den Grippeviren, übernimmt nun die genetische Information aus den Viren die Kontrolle über die Zelle und zwingt sie Millionen von neuen Viren zu produzieren, bis das Immunsystem dies irgendwann bemerkt und die Viren angreift. Für die Hirnforschung können Wissenschaftler sowohl die Virusverpackung (Kapsid) als auch den Inhalt des Virus ändern. Sie können das Kapsid mit einem neuen Satz von molekularen Schlüsseln ausstatten und dann mit genetischem Material zum Ausführen von Therapien füllen, wie zum Beispiel dem Blockieren der Huntington-Gene.
„Ein Virus namens AAV-AS stellte sich als besonders gut im Betreten von Neuronen heraus. Die an die Viren gebundenen Protein-Schlüssel waren sehr effektiv darin, molekulare Türen auf der Oberfläche der Neurone zu öffnen. “
Gewöhnlicherweise nutzen Forscher einen Typen von harmlosen Viren um mit Genstummschaltungsmedikamenten im Labor zu arbeiten, den sogenannten Adeno-assoziierten Viren oder AAV. Auch wenn viele AAV aus dem Blut ins Gehirn wandern können, sind sie normalerweise nicht besonders gut darin, Neurone zu betreten. Viel wahrscheinlicher betreten sie die Unterstützungszellen im Gehirn. Um aber neurodegenerative Erkrankungen wie die HK zu behandeln, ist es wichtig die Fracht direkt zu den Neuronen zu transportieren und dies zu möglichst vielen Neuronen.
Einen Virus herstellen, der Neurone betritt
Kürzlich hat ein Team von Wissenschaftlern aus Massachusetts und Alabama AAV verändert und getestet, ob sie Neurone besser betreten und sich weiträumiger im Gehirn verbreiten. Miguel Sena-Esteves, ein Wissenschaftler der am Gentherapie-Zentrum der UMass Medical School arbeitet, ist der Leiter dieser Studie. Die Forscher modifizierten gentechnisch die äußere Oberfläche der AAV, fügten einige zusätzliche Proteine hinzu und testeten damit, ob diese neuen ‘Schlüssel’ dem Virus einen besseren Zugang zu den verschiedenen Zelltypen im Gehirn ermöglicht.
Sie testeten ihren neuen molekularen Schlüssel indem sie die Viren über eine Vene in Mäuse injizierten. Dies ist ein wichtiger Punkt, denn AAV können über den Blutkreislauf wandern und gelangen so auch in das Gehirn - ohne, dass ein chirurgischer Eingriff notwendig wäre.
Einbrechen und Betreten - und Blocken von Huntingtin
Ein Virustyp namens AAV-AS* stellte sich als besonders gut im Betreten von Neuronen heraus. Die Proteinschlüssel an der Oberfläche dieses Virus waren sehr effektiv im Öffnen der molekularen Türen an der Oberfläche von Neuronen. Indem die Forscher die AAV-Kapside mit genetischen Code füllten, der ein grün leuchtendes Protein erzeugt, konnten sie leicht zeigen, dass der Virus sehr viele Bereiche im Gehirn und Rückenmark der Maus erreicht hat.
Ein effektiveres und weiter reichendes System wie dieses hat großes Potential nicht nur für die Entwicklung neuer Medikamente, sondern auch für die Grundlagenforschung zur Gehirnfunktion im Allgemeinen.
Im nächsten Schritt wurde das Neuronen-freundliche Virus-Kapsid mit Genstummschaltungsmaterial befüllt und getestet, ob es in Mäusen funktionierte. In diesem Fall nutzten die Forscher ein Genstummschaltungsmolekül namens mikroRNA. Diese wurde so ausgewählt, dass sie den Zusammenbau des Maus-Huntingtin blockiert, in einen AAV-AS-Virus verpackt und in einer normalen Maus ausprobiert.
Eine einzelne Injektion des Virus in die Schwanzvene einer Maus reduzierte das Huntingtin-Level in vielen Bereichen des Maushirns, inklusive einer 40-50%igen Reduktion im Striatum. Dies ist die sehr tief liegende Hirnregion, die früh im Verlauf der HK betroffen ist. Das ist sehr beeindruckend, selbst im Vergleich zu Studien in denen Genstummschaltungsmedikamente chirurgisch ins Gehirn eingebracht wurden.
Die nächsten Schritte für die AAV-Technologie
Dies ist zweifellos eine vielversprechende Arbeit, die in Zukunft wirklich wichtig für die Behandlung der HK durch Genstummschaltungsmedikamente sein könnte. Wie immer gibt es aber noch einige wichtige Aspekte zu beachten.
Die Forscher nutzten nämlich kein Mausmodell mit der HK, sondern schalteten das normale Huntingtin in gesunden Mäusen aus um zu beweisen, dass ihr Virus Neurone betreten und den Genstummschaltungsjob erledigen kann. Dies ist natürlich nicht das endgültige Ziel: Genstummschaltungstherapien gegen die HK müssen das mutierte Huntingtin, also den wirklichen Übeltäter, ausschalten. Aber mit der jetzt vorhandenen Technologie haben die Forscher die Möglichkeit, den neuen AAV-AS-Kapsid mit einem Genstummschaltungsmedikament gegen das mutierte Huntingtin zu befüllen und dann zu testen, ob es einen guten Einfluss auf die Symptome in Mäusen hat. Dies ist einer der wahrscheinlichen nächsten Schritte.
Der Virus kann zwar ziemlich gut durchs Gehirn wandern, aber er ist noch nicht perfekt, so dass weitere Studien die Herausforderung angehen werden, Medikamente an Neurone im Gehirn zu verteilen. Wie viele wissenschaftliche Durchbrüche war ein Teil dieser Entdeckung ebenfalls zufällig und niemand weiß genau, warum die molekularen Schlüssel auf der Oberfläche der AAV-AS-Viren diesen so effektiv Zutritt zu den Neuronen verschaffen. Dies wird ein weiteres zukünftiges Forschungsthema sein.
Für die Zwischenzeit ist hier eine Zusammenfassung über die wichtigsten Eigenschaften dieses neu entwickelten Virus:
- Er kann direkt in den Blutkreislauf injiziert werden und erreicht das Gehirn.
- Er kann Neurone effizienter als jeder andere bisher getestete Virus betreten.
- Er kann sich im gesamten Gehirn ausbreiten.
- Er kann Genstummschaltungsmedikamente tragen.
Diese Technologie ist noch weit davon entfernt in Menschen getestet zu werden. Vorher sind noch weitere vorsichtige Tests in vielen Tierarten notwendig um herauszufinden, ob die Methode sicher ist und auch wirkt. Nichtsdestoweniger wird diese Arbeit noch sehr wichtig für die Entwicklung von Genstummschaltungsmedikamenten für die HK und andere Krankheiten sein. Effektivere virale Verteilungssysteme öffnen außerdem viele neue Möglichkeiten zur Erforschung des Gehirns im Allgemeinen.