Von Dr Sarah Hernandez Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Rebecca

Die Auswirkung der genetischen Huntington-Mutation auf die Entwicklung des Gehirns ist eines der Hauptforschungsgebiete in der Huntington-Forschung. Eine wissenschaftliche Gruppe unter Dr. Sandrine Humbert am Grenoble Institut für Neurowissenschaften untersuchte Gewebe menschlicher Föten, um zu zeigen, dass das mutierte Huntington-Gen sehr frühe Veränderungen in der Entwicklung des Gehirns verursacht. Aber welchen Einfluss haben diese Veränderungen tatsächlich? Menschen, die mit der Mutation geboren werden, überleben und entwickeln sich offensichtlich sehr gut für viele Jahre oder Jahrzehnte, bevor die ersten Symptome der Krankheit sichtbar werden. Während also das, was die Wissenschaftler hier beobachteten, nicht sofort in negative Auswirkungen übersetzt werden kann, sollte man es dennoch mit Sorgfalt untersuchen.

Ein bisschen hiervon, ein bisschen davon

Das Huntington-Gen sorgt für die Produktion des Huntington-Eiweißes, oder Huntingtin. Im Englischen wird das Wort “Huntingtin” sowohl für das Gen als auch für das Eiweiß verwendet, was manchmal Verwirrung stiften kann.

Obwohl das Huntington-Gen bereits im Jahr 1993 identifiziert wurde, sind die Funktionen des Huntingtins noch nicht vollständig verstanden. Man fand bisher mehrere Funktionen, je nach Ort im Körper oder Zeitpunkt im Leben eines Menschen.

Das Striatum folgt bein Huntington-Patienten einem anderen Zeitstrahl, allerdings wird diese verlangsamte Entwicklung durch die stärkeren Verbindungen zwischen anderen Hirnregionen kompensiert.
Das Striatum folgt bein Huntington-Patienten einem anderen Zeitstrahl, allerdings wird diese verlangsamte Entwicklung durch die stärkeren Verbindungen zwischen anderen Hirnregionen kompensiert.

Noch nicht allzu lange werden die Veränderungen bei der Entwicklung des Gehirns untersucht, die durch das Huntingtin hervorgerufen werden. Wir wissen, dass noch vor der Geburt eines Menschen feststeht, ob er aufgrund einer Mutation im Huntington-Gen, später an der Huntington-Krankheit leider wird oder nicht. In den meisten Fällen leben die Betroffenen aber jahrzehntelang symptomfrei. Eines der Ziele in der Huntington-Forschung ist es, die frühesten Auswirkungen der Mutation zu verstehen und aufzuzeichnen, um die Verbindung zu den späteren Funktionsstörungen und den Huntington-Symptomen herauszufinden.

Um sehr frühe Entwicklungsfehler zu untersuchen, wurden Mausmodelle und Zellen verwendet. Die Hinweise mehren sich, dass es unterschwellige Abweichungen bei der Hirnentwicklung sowohl bei den Mäusen als auch in den Zellen gibt. Kürzlich haben wir von solchen Veränderungen in Mini-Gehirnen, 3D-Modellen der Huntington-Krankheit berichtet, Sie können es hier nachlesen.

Wie wir wissen, sind Menschen aber nunmal keine Mäuse und auch Zellen in einer Petrischale können uns nicht die ganze Geschichte darüber erzählen, was ein mutiertes Huntington-Gen im Menschen macht. Letztendlich soll aber für Menschen ein Medikament entwickelt werden und so sind die besten Modelle menschliche Zellen.

Der richtige Ort zur richtigen Zeit - ist das wichtig?

Um festzustellen, ob mutiertes Huntingtin Zellveränderungen in sehr frühen Stadien in der Entwicklung des menschlichen Gehirns verursacht, haben Wissenschaftler unter Dr. Humbert die sich entwickelnden Gehirne menschlicher Föten in der 13. Schwangerschaftswoche angesehen. So konnten sie eine Momentaufnahme in der Entwicklung anfertigen.

Die Quintessenz aus der Studie ist, dass sich Zellen in bestimmten Hirnarealen aufgrund der Huntington-Mutation zu einem gewissen Zeitpunkt abweichend entwickelten.

Insbesondere betrachteten sie den sich entwickelnden Kortex, das ist die Hirnrinde, die für viele unserer Verhaltensweisen verantwortlich ist. Im Hirngewebe von Föten mit der Huntington-Mutation zeigte sich eine langsamere Geschwindigkeit bei der Zellteilung und die Zellen befanden sich an anderen Orten im Gehirn. Das Gleiche hatte man im Mausmodell beobachtet, sodass man davon ausgeht, dass es sich hier tatsächlich um eine Huntington-bedingte Abweichung handelt.

Wenn sich eine Zelle zu einem Neuron entwickelt, bewegt sie sich durch das Gehirn. Zu diesem Zeitpunkt sahen die Forscher, dass einige dieser Zellen nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren, das Gleichgewicht im sich entwickelnden Gehirn wurde verändert.

Die Quintessenz aus der Studie ist, dass sich Zellen in bestimmten Hirnarealen aufgrund der Huntington-Mutation zu einem gewissen Zeitpunkt abweichend entwickelten. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass der Entstehungsprozess von Gehirnzellen im Erwachsenenalter völlig anders ist als der Vorgang, der bei der Enstehung des Gehirns abläuft.

Und trotz der Unterschiede zur üblichen Hirnentwicklung entsteht auch bei vorhandener Huntington-Mutation letztendlich ein voll funktionsfähiges Gehirn.

Bei einer Gruppenarbeit gibt es oft Leute, die die Arbeit für andere mitübernehmen. So scheint es auch bei der Entwicklung des Gehirns bei Huntington-Genträgern zu sein, denn andere Gehirnbereiche können die Abweichungen ausgleichen.
Bei einer Gruppenarbeit gibt es oft Leute, die die Arbeit für andere mitübernehmen. So scheint es auch bei der Entwicklung des Gehirns bei Huntington-Genträgern zu sein, denn andere Gehirnbereiche können die Abweichungen ausgleichen.

Gruppenarbeit

Wie kann das Gehirn sich also unterschiedlich entwickeln und gleichzeitig normal funktionieren? Andere Hirnareale helfen aus! Bei einer Gruppenarbeit auf der Arbeit oder im Unterricht gibt es ja auch oft Leute, die die Arbeit für andere mitübernehmen müssen.

In der Tat haben wir bereits in anderen Studien gesehen, dass das der Fall ist. Eine neuere Studie am Menschen - die CHANGE-HD-Studie - betrachtete mithilfe von MRT die Größe verschiedener Hirnbereiche bei Kindern im Alter von 6 bis 18 Jahren. Die Kinder hatten das mutierte Gen geerbt, waren aber alle noch viele Jahre vom Ausbruch von Symptomen entfernt. Verglichen mit Kindern, die das mutierte Gen nicht in sich trugen, entwickelte sich die Größe des Striatums bei ihnen langsamer. Gleichtzeitig hatten sich bei ihnen stärkere Verbindungen zwischen anderen Hirnarealen ausgebildet. Dadurch scheint im Falle der Gen-Mutation die langsame Entwicklung des Striatums ausgeglichen zu werden, es ist als ob seine Aufgaben von anderen mitübernommen werden.

Die Struktur bestimmt nicht direkt die Funktion

Man sollte gute Teamarbeit nicht unterschätzen. Auch wenn ein Mitglied seine Aufgabe nicht vollständig erfüllt, kann sich ein Team trotzdem einspielen. Es kann lange dauern, bis es tatsächlich zu Brüchen in dieser Gruppe kommt.

Die HD-Young-Adult-Studie (HD-YAS) hat gezeigt, dass selbst 24 Jahre vor dem Ausbruch von Symptomen bei Huntington-Betroffenen noch keine Verschlechterungen in Bezug auf Denken oder Stimmungen feststellbar sind. Genaueres können Sie hier nachlesen. Auch wenn Huntingtin vom Anfang eines Lebens an zu Abweichungen von der Norm führt, sind lange keine Symptome messbar. Wahrscheinlich ist das Gehirn also in der Lage diese Abweichungen vollständig auszugleichen.

Auch wenn die Huntington-Krankheit bereits vor der Geburt subtile Veränderungen bei der Gehirnentwicklung hervorruft, wissen wir bereits aus anderen Studien, dass daraus keine messbaren Symptome entstehen.

Die vorliegende Studie hilft uns wieder ein bisschen weiter unser Verständnis der Funktionen von Huntingtin zu verbessern. Gleichzeitig lernen wir auch über die Entwicklung des menschlichen Gehirns im Allgemeinen etwas dazu.

Weitere Fragen werden aufgeworfen: wie genau kann die Fehlentwicklung ausgeglichen werden und das Gehirn für so viele Jahre gesund bleiben? Könnte man die Kenntnisse dieser Mechanismen vielleicht zur Entwicklung einer Therapie verwenden? Wir gehen davon aus, dass weitere Studien folgen werden.

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte offenzulegen. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...