Von Dr Leora Fox Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Rebecca

Die Huntington-Krankheit beeinflusst Bewegungen, die Stimmung und das Denken. Darüber hinaus finden eine Menge komplexer Veränderungen im Körper statt, die beim individuellen Betroffenen schwierig vorherzusehen sind. Kürzlich haben Wissenschaftler wiederkehrende, frühe Veränderungen im Stoffwechsel identifiziert, indem sie eine Gruppe von Huntington-Schafen untersucht haben. Dieses große Tiermodell hilft den Forschern veränderte Stoffe im Blut zu verfolgen, die das Fortschreiten der Krankheit offenlegen und auf Behandlungen reagieren könnten.

Gestörter Stoffwechsel bei der Huntington-Krankheit

Menschen mit der Huntington-Krankheit leiden oft unter starkem Gewichtsverlust, der auch als Kachexie bekannt ist. Neben ausschweifenden Bewegungen, ist Kachexie eines der am besten wahrnehmbaren Zeichen für die Huntington-Krankheit. Bisher war das allerdings schwer zu erklären. Zunächst glaubte man, dass die unaufhörlichen Bewegungen der Chorea überflüssige Energie verbrannten oder dass die zunehmenden Schwierigkeiten beim Essen und Schlucken den Gewichtsverlust verursachten. Aber genaue chemische Analysen von Gewebe- und Blutproben der Patienten und der Modellorganismen haben neuere Theorien über den Gewichtsverlust während der Huntington-Krankheit hervorgebracht. Tatsächlich entsteht Kachexie durch eine komplexe Ansammlung von Veränderungen im Zellstoffwechsel. Das bedeutet, dass die Huntington-Krankheit die Fähigkeit des Körpers beeinträchtigt, Essen in Energie umzuwandeln.

Das Messen einer Gruppe von Schlüsselstoffwechselprodukten im Blut über 24 Stunden machte es möglich das Krankheitsstadium des Schafes zu ermitteln.
Das Messen einer Gruppe von Schlüsselstoffwechselprodukten im Blut über 24 Stunden machte es möglich das Krankheitsstadium des Schafes zu ermitteln.

Stoffwechselveränderungen während der Huntington-Krankheit zu verfolgen ist ein wichtiges Ziel. Zum einen könnte es helfen, gegen den Gewichtsverlust vorzugehen. Zum anderen könnte dieses Untersuchen der Krankheit außerhalb des Gehirns neue Biomarker erkennbar werden lassen und damit Messungen, die den Verlauf der Krankheit abbilden, ermöglichen. Biomarker vereinfachen das Stellen von Diagnosen und die Überprüfung der Wirksamkeit von Medikamenten, ganz besonders dann, wenn sie im Blut messbar sind. Weiterhin können sie helfen zu verstehen, wie die Huntington-Krankheit auf viele Lebensbereiche wirkt, beispielsweise den Energiehaushalt, den Appetit und den Schlaf. Vor kurzem haben Forscher im Vereinigten Königreich und in Australien das Blut eines bemerkenswerten Tiermodelles untersucht: von an der Huntington-Krankheit erkrankten Schafen. Ihre Ergebnisse zeigten überraschende Unterschiede zwischen den Huntington-Schafen und den anderen Schafen, die unser Verständnis von den Veränderungen im Stoffwechsel ausweiten und dazu beitragen, Biomarker für die Huntington-Krankheit zu finden.

Messen von Stoffwechselprodukten um die Huntington-Krankheit nachzuvollziehen

Durch das Spalten von Zuckern, Proteinen und Fetten aus dem Essen wird in unseren Zellen aus Essen Energie gewonnen. Dieser Prozess erzeugt tausende einzigartige Substanzen, bekannt as Stoffwechselprodukte. Da viele Stoffwechselprodukte im Blutkreislauf oder in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit enthalten sind, ist deren Untersuchung eine verbreitete Methode, um Stoffwechselveränderungen festzustellen und zu beobachten. Solche Unterschungen finden in der Disziplin der Metabolomik statt: es werden hunderte oder tausende Stoffwechselprodukte aus dem Blut, der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (engl. cerebrospinal fluid (CSF)) oder dem Gewebe gemessen. Indem Proben von gesunden Personen mit solchen der Huntington-Patienten verglichen werden, kann man besser verstehen, welche Arten der Veränderungen durch die Krankheit bedingt sind.

Aus diesen Studien haben wir gelernt, dass viele Stoffwechselprodukte durch die Huntington-Krankheit verändert werden. Leider sind die Ergebnisse aus den Experimenten allerdings nicht immer konsistent. Die Stoffwechselprodukte können sich von Person zu Person stark unterscheiden, aber auch im Laufe der Zeit bei ein und derselben Person. Sie sind tageszeitabhängig und werden beeinflusst von der Regelmäßigkeit von Schlaf und Mahlzeiten, dem Stresslevel und der Zusammensetzung der letzten, der Messung vorangegangenen Mahlzeit. All diese Faktoren sind bei Menschen schwer zu kontrollieren. Würden die Teilnehmer nicht in einem Forschungszentrum über Monate streng in Bezug auf gleiche Schlafzeiten, gleiche Mahlzeiten etc. kontrolliert, so wäre es schwierig festzustellen, welche Stoffwechselveränderungen durch die Huntington-Krankheit und welche durch andere Faktoren hervorgerufen werden.

Wie bei vielen biologischen Fragestellungen, umgehen Wissenschaftler diese Schwierigkeiten meistens durch den Einsatz von Labormäusen, die auf stark kontrollierte Weise gefüttert und gehalten werden können. Der Nachteil davon ist, dass Nagetiere Essen und Energie ganz anders verarbeiten als es Menschen tun. Zum Beispiel entwickeln sie abweichende Stoffwechselprodukte, haben eine größere Stoffwechselgeschwindigkeit und - so viel zu unnützem Wissen - sie sind nicht fähig sich zu erbrechen, sollten sie Giftstoffe zu sich nehmen. Das ist zwar kein Ausschlusskriterium für die Nutzung von Mäusen in der Metabolomik, aber für die Suche nach Biomarkern haben sich einige Huntington-Wissenschaftler für ein größeres und möglicherweise zutreffenderes Modell entschieden.

Huntington-Schafe

Vor einiger Zeit haben wir über das Schaf-Modell der Huntington-Krankheit berichtet. Jenny Morton, Professorin an der University of Cambridge, hat dazu beigetragen, die Nutzung von genetisch veränderten Schafen in der Huntington-Forschung zum Erfolg zu bringen. Morton führte auch die neue Studie über deren Stoffwechselprodukte an und arbeitete zusammen mit Wissenschaftlern aus dem Vereinigten Königreich, Australien und den Niederlanden. Wenn Sie sich fragen:“Warum Schafe?”, dann gibt es verschiedene Antworten. Erstens, sowohl die Gehirn- als auch die Körpergröße eines Schafes sind der des Menschen viel ähnlicher und die chemische Struktur ist ähnlich. Schafe sind in der Lage komplexe Verhaltensweisen zu lernen und sie sind günstig in der Haltung, wenn es genügend Platz gibt. Am wichtigsten ist, dass während der Studien ihrer Stoffwechsel die Ess- und Schlafgewohnheiten sowie Menge und Art der Bewegung und Unterbringung gut kontrolliert werden können. Jedem Schaf kann ein spezielles Blutentnahmesystem umgehängt werden, dass - ohne dass das Schaf viel davon bemerkt - über den ganzen Tag verteilt und in der Nacht Blutproben entnehmen kann.

Die Huntington-Schafe, die in diesem Experiment untersucht wurden, waren fünf Jahre alt. Die Lebensdauer eines Schafes kann stark variieren, je nachdem in welcher Umgebung es lebt, was es frisst und wie es umsorgt wird. Morton nimmt an, dass fünf Jahre in etwa ein Drittel der Lebenszeit sind. Da das Modell nun vor fast 10 Jahren entwickelt wurde, haben sie und ihr Team schon gründliche Untersuchungen ihrer Biologie, des Gehirns und des Verhaltens vorgenommen. Bis jetzt wird angenommen, dass die Schafe präsymptomatisch sind: sie haben noch keine Anzeichen gezeigt, die Huntington-Krankheit zu entwickeln, mit Ausnahme von unterbrochenem Schlaf und sehr kleinen Veränderungen im Gehirn.

Frühe Stoffwechselveränderungen in Huntington-Schafen

Um die Stoffwechselunterschiede zwischen Huntington-Schafen und normalen Schafen zu erforschen, haben Forscher Blutproben über 24 Stunden hinweg genommen und die Level von 130 Stoffwechselprodukten gemessen. Überraschenderweise, obwohl die Huntington-Schafe keine weiteren Krankheitssymptome zeigten, waren die Level vieler Stoffwechselprodukte ungewöhnlich.

Obwohl die Huntington-Schafe keine weiteren Krankheitssymptome zeigten, waren die Level vieler Stoffwechselprodukte ungewöhnlich

Insbesondere zeigten die Ergebnisse problematische Veränderungen in einem wichtigen Prozess, dem Harnstoffzyklus. Der Harnstoffzyklus sorgt dafür, dass ein Giftstoff (Ammoniak) entfernt wird. Dieser entsteht normalerweise, wenn Proteine zur Energiegewinnung aufgespalten werden. In einer Abfolge von Schritten müssen die Zellen den giftigen Ammoniak in den weniger Giftigen Harnstoff umwandeln, der dann den Körper über den Urin verlassen kann. Um festzustellen, ob der Harnstoffzyklus richtig funktioniert, können die Forscher das Niveau des Harnstoffs und anderer Stoffwechselprodukte, die während der Zwischenschritte entstehen, messen. Zwei Beispiele sind Citrullin und Arginin: Eiweißbausteine, die als Aminosäuren bekannt sind. Morton und Kollegen fanden Citrullin, Arginin und Harnstoff in erhöhten Mengen in den fünf Jahre alten Huntington-Schafen verglichen mit den normalen Schafen. Das legt nahe, dass der Harnstoffzyklus während der präsymptomatischen Phase gestört ist.

Arginin und Citrullin sind auch eng mit der Produktion von Stickstoffoxiden verbunden. Diese spielen bei der Informationsübertragung von Zelle zu Zelle und im Blutkreislauf eine Rolle. Die Forscher konnten die Stickstoffoxide in dieser Studie nicht direkt messen, das soll Fokus in zukünftigen Studien sein. Interessanterweise wurden Stickstoffoxid- und Harnstoffzyklusstörungen auch kürzlich im Mausmodell identifiziert. Es gibt auch bereits Nachweise, dass das mutierte Huntingtin zu einer Verschlechterung der Aufspaltung von Aminosäuren beisteuert. Eine weitere Gruppe von irregulär auffindbaren Stoffwechselprodukten waren Sphingolipide. Das sind Fettbestandteile, die dazu beitragen eine schützende Schicht um Nervenzellen aufzubauen. Die Huntington-Schafe zeigten niedrigere Niveaus von Sphingolipiden im Blut, was ein früher Hinweis auf Beeinträchtigungen und Fehlfunktionen des Gehirns sein könnte.

Das Verwenden von Stoffwechselprodukten als Biomarker

Könnte also eines dieser anomal auftretenden Stoffwechselprodukte als Biomarker im Menschen in Frage kommen? Nicht wirklich. Ein einzelnes Stoffwechselprodukt im Blut zu messen ist wahrscheinlich kein gangbarer Weg, um das Fortschreiten der Krankheit oder auch deren Heilung nachzuvollziehen. Jedoch kann die Messung einer Gruppe von Stoffwechselprodukten über einen Zeitraum von 24 Stunden bei Schafen auf das Stadium der Krankheit schließen lassen, wie Morton und Kollegen feststellten. Über mathematische Berechnungen wurden acht Substanzen im Blut identifiziert, die gleichzeitig beobachtet werden konnten, um zwischen Huntington-Schafen und normalen Schafen zu unterscheiden. Basierend auf den Niveaus aller acht Produkte, konnte in 80% der Fälle richtig bestimmt werden, ob das Schaf das mutierte Huntington-Gen trägt oder nicht. Zusammengefasst haben die Forscher duch aufmerksames und kontrolliertes Beobachten eine Gruppe von Schafstoffwechselprodukten entdeckt, die wiederkehrend im präsymptomatischen Stadium der Krankheit Veränderungen aufwiesen.

Man nähert sich dem ersten von drei Hauptzielen der Forschung nach Biomarkern für die Huntington-Krankheit: (1) eine zuverlässig wiederkehrende Stoffwechselveränderung zu finden, (2) zu untersuchen, ob die Veränderungen mit der Zeit stärker werden, (3) herauszufinden, ob ein Medikament diese Veränderung aufhalten oder verlangsamen kann. Mit weiteren Verbesserungen und Messungen am Menschen könnte diese Methode der kombinierten Messung mehrerer Stoffwechselprodukte im Blut zukünftig dazu beitragen zu verstehen, ob eine Behandlung das Fortschreiten der Huntington-Krankheit verlangsamen könnte.

Was ist der nächste Schritt?

Diese Studie trägt zum wachsenden Wissen über die spezifischen Stoffwechselprozesse bei, die bei der Huntington-Krankheit ungewöhnlich ablaufen könnten, also der Harnstoffzyklus, die Informationsübertragung durch Stickstoffoxide und die Polsterung von Gehirnzellen. Auch legt sie eine mögliche Methode zur Nutzung der Messung bestimmter Stoffwechselprodukte nahe, um das Stadium der Krankheit zu ermitteln. Es ist allerdings wichtig, daran zu denken, dass die Mengen von Stoffwechselprodukten im Blut (oder auch in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit) nicht notwendigerweise direkt mit der Gesundheit des Gehirns zusammenhängen. Nichtsdestotrotz steuert die Studie an den präsymptomatischen Huntington-Schafen Hinweise zum Ursprung solcher Symptome wie der Gewichtsabnahme bei. Momentan untersuchen Morton und Kollegen den Einfluss von Alter und Geschlecht auf den Stoffwechsel und ob die beobachteten abweichenden Ergebnisse bei Huntington-Schafen auch über längere Zeit beobachtet werden können. Während sich die Schafe auf die Mitte ihrer Lebensdauer zubewegen, könnten sie auch wertvolle Informationen über die Pathologie des Huntington-Gehirns und dessen Verhalten liefern.

Wie bei jeder Studie an Tieren ist der wichtigste Vorbehalt der, dass sie an Menschen bestätigt werden muss. Bei Stoffwechseluntersuchungen bedeutet dies, einen Weg zu finden, um unter kontrollierten Bedingungen Proben zu entnehmen und Stoffwechselprodukte zu untersuchen. Es ist schwierig alle Möglichkeiten wie und was Menschen essen, wie sie schlafen und ihre Zeit verbringen in Betracht zu ziehen. Aber es gibt konkrete Möglichkeiten die Variabilität von menschlichen Daten einzuschränken. Zum Beispiel gibt es aktuell andauernde Initiativen, die versuchen sicherzustellen, dass individuelle Blut-, Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit- oder Gewebeproben auf standartisierte Art und Weise auf der ganzen Welt von Huntington-Patienten zu entnehmen. Gleichzeitig können große Tiermodelle wie die Huntington-Schafe helfen mögliche Biomarker zu erforschen und Methoden zu entwickeln diese zu nutzen, wenn sich neue Behandlungsmöglichkeiten auftun.

Professor Jennifer Morton trug bereits zu mehreren Artikel zu HDBuzz bei. Ihre Entscheidung war weder die Grundlage, diesen Artikel zu schreiben, noch ihn zu formatieren oder zu editieren. Die Autoren haben keinen Interessenskonflikt offenzulegen. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...