Die Vorteile der (Zell)Migration, hervorgehoben am Beispiel der Huntington Krankheit
Entwicklungsstörung HK?HK stopt die neuronale Migration in der Entwicklung, vielleicht kann man sie aktivieren
Von Dr Michael Flower 26. Januar 2018 Bearbeitet von Professor Ed Wild Übersetzt von Annika Zeller und Christiane Reick Ursprünglich veröffentlicht am 10. Februar 2017
Huntingtin, das Protein welches die Huntington Krankheit verursacht, spielt eine grundlegende Rolle in der Entwicklung des Fötus in der Gebärmutter, bisher wissen wir aber nicht genau, welche Rolle es in diesem komplexen Prozess spielt. Normalerweise beginnen Neuronen ihr Leben tief im Inneren des sich entwickelnden Gehirns, wandern zur Oberfläche und formen dann ein Netzwerk aus Verbindungen mit anderen Neuronen. Die Gruppe um Sandrine Humbert konnte jedoch zeigen, dass Neuronen ohne Huntingtin stecken bleiben und dort ankommen, wo sie benötigt werden. Im Vergleich sind Neurone mit mutiertem Huntingtin nicht besser, als Neurone, denen Huntingtin komplett fehlt. Wenn man den Neuronen normales Huntingtin oder dessen Proteine wieder zuführt, erlaubt dies den Neuronen sich normal fortzubewegen, was eine sehr verlockende Behandlungsmethode der Huntington Krankheit darstellt.
Wie entsteht ein Gehirn?
Wir alle beginnen unser Leben als eine einzelne Zelle, sobald die Eizelle unserer Mutter durch das Spermium unseres Vaters befruchtet wird. Diese Zelle teilt sich immer und immer wieder, wird zunächst zu einem runden Zellklumpen und wächst dann zu einer wurmartigen Struktur, Embryo genannt, heran. Entlang des Embryo-Rückens wölbt sich ein schmaler Streifen nach innen und bildet eine Röhre, die von oben nach unten verläuft. Dieses ‘Neuralrohr‘ formt unser Nervensystem – unser Gehirn, das Rückenmark und all unsere Nerven. Die Wand der Röhre besteht aus mehreren Schichten. In der innersten Schicht, nahe des mit Flüssigkeit gefüllten Zentrums, werden die Nervenzellen, die sogenannten Neuronen, gebildet.
Jedes dieser Neuronen bildet zwei fingerartige Ranken, eine in Richtung der äußeren Oberfläche des sich entwickelnden Gehirns, die andere zeigt zum Zentrum der Röhre. Ausgelöst durch diese Veränderung wanden die Neuronen zur äußeren Oberfläche und entwickeln sich auf ihrem Weg. Wir nennen dies Migration. Schlussendlich ist die äußere Oberfläche dicht gepackt mit Neuronen. Diese Schicht wird Kortex genannt. Sobald die Neuronen die Oberfläche des Gehirns erreichen, entwickeln sie mehrere kleine Finger, um mit den anderen Neuronen in Kontakt zu treten und über Signale zu kommunizieren.
Der Kortex ist mit den verschiedenen Teilen, die unterschiedliche Aufgaben erledigen, der Schlüssel zu all unseren Denkprozessen, wie der Sinneswahrnehmung, der Bewegung und der Persönlichkeit. Krankheiten, die die Gehirnentwicklung stören werden als neuronale Entwicklungsstörungen bezeichnet und können zu Veränderungen der Gehirnstruktur führen, die Denkprozesse beeinträchtigen oder Krämpfe auslösen können.
Wie beeinflusst Huntingtin die Gehirnentwicklung?
Wir wissen bereits, dass das Huntingtin Protein wichtig für die Entstehung des Embryos ist, da Mausembryos mit niedrigem Huntingtin-Level Defekte an ihren Nervensystemen aufweisen und Mausembryos ohne Huntingtin nicht einmal bis zur Geburt überleben. Allerdings wissen wir nicht, was Huntingtin wirklich beim sich entwickelnden Embryo auslöst und das ist sehr wichtig! Sandrine Humberts Gruppe in Frankreich hat sich genau das näher angeschaut.
In der sehr frühen Entwicklung der Mausembryos schaltete ihre Gruppe das Huntingtin-Gen in den Neuronen ab. Obwohl die sich die Neuronen normal entwickelten, wurden die zwei Finger nicht ausgebildet und die Neuronen wanderten nicht zur Gehirnoberfläche, was zu einem dünneren Kortex führte. Viele Neuronen blieben in den tieferen Schichten des Gehirns stecken und erreichten nie den Kortex. Selbst Neuronen, die es zum Kortex schafften, waren nicht normal entwickelt und bildeten weniger Verbindungen zu den anderen Neuronen aus. Dieser Defekt verbesserte sich mit der Zeit nicht und war auch bei den erwachsenen Mäusen noch präsent.
Das Abschalten von Huntingtin zu einem späteren Zeitpunkt, nach der Migration der Neuronen, beeinflusste zwar nicht die Dicke des Kortex, schränkte die Verbindungen zwischen den Neuronen aber noch immer ein.
„Wir haben nun eine bessere Vorstellung davon, warum Huntingtin so wichtig bei der Entwicklung von Embryonen ist, dieses Wissen könnte uns in Zukunft auf neue Behandlungen für die Huntington Krankheit hinweisen. “
Die Gruppe setzte dann ein normales Gen in die Neuronen ein und zeigte, dass die Migration daraufhin wieder normal verlief.
Nun haben wir noch mehr Beweise dafür, wie wichtig Huntingtin für die Entwicklung des Gehirns ist, aber wir wissen immer noch nicht genau, wie es funktioniert.
Wie genau kontrolliert Huntingtin die Gehirnentwicklung?
Huntingtin ist dafür bekannt mit einem anderen Protein, RAB11 genannt, vorzukommen, welches kontrolliert, wie sich Substanzen um das Neuron bewegen. Zu diesen Molekülen zählt N-Cadherin, das zu den wachsenden Armen der migrierenden Neuronen transportiert wird und bekannt dafür ist, wichtig für die Entwicklung des Nervensystems zu sein.
Als Humberts Gruppe Huntingtin deaktivierte, blieb N-Cadherin im Zentrum des sich entwickelnden Neurons stecken und wurde nicht an seine normale Position, die Vorderkante der wandernden Zelle, transportiert. Als die Neuronen jedoch aufgefordert wurden RAB11 zu produzieren, schaffte N-Cadherin es dorthin zu wandern. Das bedeutet, dass wir einige der molekularen Gehilfen, die Huntingtin verwendet, identifiziert haben und durch deren Ersetzen die normale Gehirnentwicklung wiederherstellen können.
Humberts Gruppe hat also damit angefangen die normale Funktion von Huntingtin im sich entwickelnden Gehirn aufzudröseln. Jedoch fehlt Personen mit der Huntington Krankheit das Huntingtin nicht. Sie bilden immer noch das Protein, allerdings in einer Version, die die Neuronen schädigt. Wie ist das relevant für die HK?
Was ist mit mutiertem Huntingtin?
Wie wir bereits gehört haben, stoppte das Abschalten von Huntingtin bei Mausembryos die Migration der Neuronen zur Gehirnoberfläche. Wie erwartet ermöglicht die Wiedereinführung von normalem Huntingtin den Neuronen den Weg zum Ziel. Wenn stattdessen allerdings mutiertes Huntingtin eingesetzt wurde, blieben die Neuronen in den tiefen Schichten stecken. Das suggeriert, dass das mutierte HTT Protein einen Teil seiner normalen Funktion in der Gehirnentwicklung verloren hat.
Verursacht also eine abnorme Gehirnentwicklung Symptome der Huntington Krankheit?
Humberts Gruppe fand heraus, dass das Deaktivieren von Huntingtin während der Entwicklung der Neuronen diese davon abhält die richtige Form zu entwickeln, den korrekten Platz im Gehirn zu erreichen und Verbindungen mit anderen Neuronen einzugehen. Mutiertes Huntingtin hatte einen ähnlichen Effekt. Das zeigt, dass Huntingtin eine Schlüsselrolle in der Gehirnentwicklung spielt, diese aber nicht allein erledigt… es funktioniert durch die Kontrolle des Transports von wichtigen Proteinen zur Vorderkante migrierender Neuronen. Bedeutend ist: wenn man diese Proteine ersetzen kann, kann man die normale neuronale Entwicklung wiederherstellen.
Wir dachten bei der Huntington Krankheit traditionell bedingt an eine Erkrankung, die im Erwachsenenalter ausbricht, da die Symptome dann normalerweise beginnen. Sollten wir sie im Licht dieser neuen Erkenntnis allerdings als neuronale Entwicklungsstörungen betrachten? Wir wissen sicher, dass Scans kleinste Veränderungen in den Gehirnen von Mutationsträgern bereits eine Dekade oder früher aufzeigen können, bevor Symptome auftreten. Andererseits gibt es nicht viele Beweise dafür, dass das menschliche Gehirn Anzeichen für die hier beschriebenen Migrationsprobleme der Neuronen aufzeigt bevor die HK ausbricht. Um schnelle Antworten zu erhalten, werden Mausmodelle extremen Veränderungen ausgesetzt, die nie bei Menschen beobachtet werden – kompletten Löschungen von Proteinen oder extremen HK-Mutationen. Wenn in den sich entwickelnden Gehirnen von Menschen mit einer HK-Mutation etwas Ähnliches passiert, ist es wahrscheinlich viel subtiler – dennoch kann uns diese Arbeit dabei helfen, es zu entdecken, zu untersuchen und es eventuell nutzbar zu machen, um neue Medikamente gegen mutiertes Huntingtin zu entwickeln.
Also haben wir nun eine bessere Vorstellung davon, warum Huntingtin so wichtig bei der Entwicklung von Embryonen ist, dieses Wissen könnte uns in Zukunft auf neue Behandlungen für die Huntington Krankheit hinweisen. Auch bietet es uns wichtige Informationen, die uns bei der Entscheidung helfen werden, wie und wann man das Geben von ‚Genstummschaltungs‘ Medikamenten erwägen sollte, um zu sicherzustellen, dass der Nutzen des Abschaltens von mutiertem Huntingtin jedes Risiko durch die Senkung des ‚normalen‘ Proteins überwiegt.