Von Dr Jackie Johnson Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Christian Schnell

Eine neue Forschungsarbeit untersuchte den Anteil von Gliazellen - einer der Zelltypen im Gehirn - an der Entwicklung von Huntington-Symptomen. Normale Mäuse, denen Gliazellen mit dem mutierten Huntingtin-Gen injiziert wurden, entwickelten Symptome, die mit der Huntington-Krankheit (HK) in Verbindung gebracht werden. Interessanterweise scheint dieser Einfluss in beide Richtungen zu arbeiten: Nachdem Huntington-Mäuse mit gesunden Gliazellen behandelt wurden verbesserten sich ihre Symptome leicht.

Es geht nicht nur immer um Neurone

Neurone sind die Zellen in unseren Gehirnen, die elektrische Signale durch den Körper schicken und es uns erlauben, all die schönen Dinge wie Lesen, wie Sie es gerade tun, zu tun. Aber Neurone können dies nicht alles alleine erledigen. Weitere Zellen unterstützen sie und ermöglichen ihr problemloses Arbeiten. Die Familie von Gliazellen ist eine dieser Zellgruppen, die unerlässlich sind für das richtige Funktionieren der Neurone.

Wissenschaftler nennen Tiere, die Zellen aus mehr als einer Art enthalten, Chimären (nach einer Geschichte der griechischen Mythologie).
Wissenschaftler nennen Tiere, die Zellen aus mehr als einer Art enthalten, Chimären (nach einer Geschichte der griechischen Mythologie).

Gliazellen stellen das strukturelle Gerüst für Neurone, bringen ihnen Nährstoffe und können Infektionen bekämpfen. Da Neurone auf diese Gliazellen angewiesen sind, ist es auch sinnvoll, dass Gliazellen an Hirnerkrankungen wie der HK beteiligt sind, die durch einen zu frühen Tod von Neuronen verursacht werden. Eine kürzlich von Forschern um Dr. Steven Goldman abgeschlossene Studie hat herausgefunden, dass Gliazellen eine Rolle bei der Entwicklung der HK spielen und könnte auch zu neuen Behandlungsideen führen.

Chimäre Gliazellen

Menschliche Gliazellen sind komplexer aufgebaut als solche von Mäusen. Dr. Goldmans Team hat sich dies zunutze gemacht, indem sie menschliche Gliazellen in neugeborene Mäuse injizierten, deren Immunsystem unterdrückt wurde. Die komplexeren menschlichen Zellen gewinnen gegen die Mauszellen und sind schließlich in erwachsenen Tier der hauptsächlich vorhandene Gliazelltyp.

Dieses Experiment führte zu Mäusen, die Wissenschaftler als Chimären bezeichnen. Dies sind Tiere, die Zellen von zwei verschiedenen Spezies aufweisen (in diesem Fall sind das Zellen aus Menschen und Mäusen).

Um die Überlebensfähigkeit der menschlichen Gliazellen zu überprüfen transplantierten die Forscher menschliche Gliazellen mit einem mutierten Huntington-Gen in neugeborene Mäuse. Die menschlichen Gliazellen verdrängten fast alle der Mausgliazellen. Dieser Labortrick ermöglicht es den Forschern, den Einfluss der Zelltypen unabhängig voneinander zu überprüfen. Allerdings funktioniert diese Technik im ausgewachsenen menschlichen Gehirn wohl nicht soweit wir bisher wissen.

Die Mäuse mit den mutierten injizierten Gliazellen zeigten einige Symptome der Huntington-Krankheit, inklusive einer beeinträchtigen Koordination, wie durch den Rotarod-Test gezeigt. Beim Rotarod-Test müssen Mäuse balancieren um nicht von einer sich drehenden Rolle zu fallen. Mäuse mit injizierten mutierten Gliazellen fielen früher von dieser Rolle herunter, was darauf hindeutet, dass sie Probleme mit der Koordination haben.

Goldmans Team war daran interessiert zu verstehen, wie Huntington-Gliazellen die Funktion von benachbarten Neuronen beeinträchtigt. Sie fanden heraus, dass Huntington-Gliazellen die Erregbarkeit von Neuronen erhöhen, so dass sie mit höherer Wahrscheinlichkeit Nachrichten untereinander austauschen. Ähnlich wie bei erhitzten Computerschaltkreisen wenn ein Computer abstürzt, kann ein übererregtes Neuron eine Art ‘Gehirn-Absturz’ verursachen.

Um die Überlebensfähigkeit der menschlichen Gliazellen zu testen, injizierten die Forscher menschliche Gliazellen mit der Huntington-Mutation in neugeborene Mäuse. Die menschlichen Gliazellen ersetzten fast alle Gliazellen in der Maus.

Unterm Strich haben mutierte Gliazellen nach ihrer Injektion einige Huntington-ähnliche Symptome auf Maus-Neurone übertragen, die nicht das mutierte Huntington-Gen besitzen. Dies zeigt wie wichtig Gliazellen für die Gesundheit der Neurone ist.

Wie sieht es mit der anderen Richtung aus?

Wenn die kranken Gliazellen einige Krankheitssymptome in gesunden Mäusen auslösen können, können dann gesunde Gliazellen auch kranke Mäuse retten, wenn diese das mutierte Huntington-Gen besitzen? Die Forscher haben diese Frage mithilfe eines Huntington-Mausmodells beantwortet.

Das von diesen Forschern verwendete Mausmodell hat einen sehr starken und schnellen Verlauf der Krankheit. Im Gegensatz zu menschlichen Huntington-Patienten, die häufig Jahrzehnte ohne Symptome leben, sterben diese Mäuse innerhalb weniger Monate. Aus diesem Grund muss man sehr vorsichtig damit sein, von Experimenten dieser Art auf die Situation im Menschen zu schließen. Schließlich sind wir Menschen die einzigen Tiere, die wirklich an der HK erkranken können.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf betrachtet, zeigen diese Mäuse einige Huntington-ähnliche Symptome, so dass die Forscher diese Mäuse nutzen konnten um zu untersuchen, ob die Transplantation gesunder Gliazellen in neugeborene Huntington-Mäuse die Symptome abschwächen kann.

Bescheidener Nutzen für kranke Mäuse

Normale menschliche Gliazellen wurden in neugeborene Mäuse injiziert, deren Immunsystem blockiert wurde. Diese Blockierung ist notwendig, damit der Mauskörper die fremden Zellen nicht abstößt.

In diesem Bild aus der Originalstudie markiert jeder rote Punkt eine menschliche Gliazelle im erwachsenen Maushirn - Der Text und die Linien bezeichnen verschiedene Hirnregionen.
In diesem Bild aus der Originalstudie markiert jeder rote Punkt eine menschliche Gliazelle im erwachsenen Maushirn - Der Text und die Linien bezeichnen verschiedene Hirnregionen.

Wie vorhergesagt wanderten die injizierten dominierenden menschlichen Gliazellen in das Maushirn hinein und wurden der hauptsächliche vorkommende Gliazelltyp im Gehirn. Die Motorsymptome der Huntington-Mäuse mit injizierten gesunden menschlichen Gliazellen wurden wieder mit dem Rotarod-Test untersucht.

Mit vier Monaten konnten sich die Mäuse mit den injizierten Zellen für etwa 40 Sekunden auf der rotierenden Rolle halten, während ihre Käfiggenossen ohne Injektion immer nur für ein paar Sekunden durchhielten. Dies ist zwar eine Verbesserung, aber beide Gruppen konnten sich nicht so lange halten wie gesunde Mäuse (fast 230 Sekunden).

Zusätzlich zu leicht verbesserten motorischen Fähigkeiten verlängerten die gesunden Gliazellen auch die Lebensspanne der Mäuse geringfügig. Wie erwähnt hat dieses Mausmodell für die HK eine sehr schnelle Form der Krankheit und stirbt bereits mit etwa 5 Monaten, wohingegen gesunde Mäuse durchschnittlich 2 Jahre alt werden. Die mit gesunden Gliazellen injizierten Mäuse lebten durchschnittlich 12 Tage länger als die unbehandelten Mäuse.

Diese verlängerte Lebenszeit ist wissenschaftlich interessant, erfüllt aber nicht ganz die Schlagzeilen der Wissenschaftsmeldungen wonach “Transplantierte gesunde Gliazellen anscheinend die Ausbildung Huntington-Symptome in Mäusen verhindern”. Um Symptome ‘wirklich zu verhindern’, müssten die Huntington-Mäuse so aussehen wie gesunde Mäuse und das tun sie definitiv nicht.

Die heischenden Berichte in den Medien können für Huntington-Familien wirklich beschwerend sein. Falls Sie einen dieser Berichte sehen, haben Sie HDBuzz’ 10 goldene Regeln zum Lesen einer wissenschaftlichen Nachrichtenmeldung im Hinterkopf.

Weiterer Nutzen von Gliazelltransplantaten

Auch wenn die Verbesserung der Symptome durch die Injektion humaner Gliazellen nicht dramatisch war, ist dennoch klar, dass es sich lohnen könnte Gliazellen zu untersuchen und ihre Funktion im Zusammenhang mit der HK zu verstehen. Mit diesem Ansatz untersuchten die Forscher einige der Effekte der injizierten Gliazellen auf die Neurone.

Die oben dargestellte Arbeit der Gruppe um Goldman deutet an, dass unterstützende Gliazellen im Gehirn zur Entwicklung der Huntington-Krankheit beitragen und dass das Ersetzen der Gliazellen ein neuer interessanter Pfad in der wissenschaftlichen Forschung sein könnte.

Gesunde Gliazellen führten zu einer verringerten Erregbarkeit der Neurone von Huntington-Mäusen. Das bedeutet, dass die Neurone in diesen behandelten Mäusen seltener zu stark erregt sind und somit das Nervensystem besser funktioniert. Indem sie den Neuronen bei der Entspannung helfen und in ihrem Job unterstützen könnten Gliazellen die Neurone gesünder und länger am Leben halten.

Spannende Wissenschaft bestätigt die Wichtigkeit von Gliazellen

Die oben dargestellte Arbeit der Gruppe um Goldman deutet an, dass unterstützende Gliazellen im Gehirn zur Entwicklung der Huntington-Krankheit beitragen und dass das Ersetzen der Gliazellen ein neuer interessanter Pfad in der wissenschaftlichen Forschung sein könnte.

Allerdings waren die Huntington-Symptome in den Mäusen nach ihrer Behandlung mit menschlichen Gliazellen nur geringfügig gebessert und man müsste dies auch in anderen Mausmodellen mit langsamerem Krankheitsverlauf untersuchen, bevor man daran denken darf, dieses in Menschen auszuprobieren. Zudem ist dies eine Studie mit gesunden menschlichen Zellen, die das Gehirn einer neugeborenen Maus mit einer drastischen Huntington-Mutation erobern. Es ist nicht klar, wie diese Art von Behandlung auf menschliche Patienten übertragen werden könnte. Man müsste dies wahrscheinlich auch noch in größeren Tiermodellen testen, bevor menschliche Anwendungen in Erwägung gezogen werden können.

Insgesamt zeigten diese Ergebnisse, dass die Rolle von Gliazellen in der Huntington-Krankheit interessanter ist als Wissenschaftler bisher dachten und es lohnt sich, weiter zu untersuchen wie ihre Rolle bei der Huntington-Krankheit aussieht.

Die Autoren haben keinen Interessenkonflikt offenzulegen. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...