Geringfügig längere CAG-Wiederholungen kommen häufiger vor als gedacht
Eine neue Bevölkerungsstudie findet mehr milde Formen der Huntington-Mutationen in der Bevölkerung als bisher gedacht
Von Dr Jeff Carroll 4. Oktober 2016 Bearbeitet von Professor Ed Wild Übersetzt von Christian Schnell Ursprünglich veröffentlicht am 5. Juli 2016
Jeder Mensch mit der Huntington-Krankheit (HK) hat die gleiche Art von Mutation von seiner Mutter oder seinem Vater vererbt bekommen: Einen überlangen Streifen von Wiederholungen der Sequenz C-A-G in ihrem Huntington-Gen. Aber die Länge dieser Mutation variiert zwischen verschiedenen Menschen und längere Wiederholungen sind mit einem früheren Ausbruch der Krankheit verbunden. Eine große internationale Studie deckte nun auf, dass CAG-Sequenzen, die etwas länger als normal sind, häufiger in der Bevölkerung vorkommen, als man bisher dachte. Überraschenderweise ist dies eine gute Nachricht.
Zur Erinnerung: CAG-Länge
Jeder Huntington-Patient hat mindestens eine mutierte Kopie des Gens mit dem manchmal verwendeten Namen Huntington-Gen geerbt. Wissenschaftler bezeichnen es als Huntingtin oder HTT. Die Mutation hat in jedem Patient das gleiche Muster: Die Verlängerung einer bereits wiederholten Sequenz von DNA am Ende des Huntington-Gens, nämlich der DNA-Sequenz C-A-G.
Menschen ohne Huntington-Krankheit haben ebenfalls zwei Gene des Huntington-Gens (eines von der Mutter, eines vom Vater), das auch längere Wiederholungen (zwischen 20 und 30 Wiederholungen der DNA-Sequenz C-A-G) in jedem ihrer Gene enthält. Die HK wird also nicht durch das Vererben eines Gens verursacht, das andere Menschen nicht haben, sondern durch das Erben eines Huntington-Gens mit einer leichten Verlängerung einer sich wiederholenden DNA-Sequenz, die man in jedem Menschen findet.
Während jede Person mit der HK die gleiche Art von Mutation hat, schwankt die Schwere der Krankheit zwischen verschiedenen Patienten. Die durchschnittliche Länge dieses DNA-Abschnitts ist bei Patienten 42 Wiederholungen. In einigen Ausnahmefällen werden auch deutlich längere Abschnitte geerbt (der längste bisher gefundene Abschnitt war 180 Wiederholungen lang). Sehr lange CAG-Abschnitte sind mit einem Ausbruch der Krankheit bereits im frühen Kindesalter verbunden, Menschen mit weniger Wiederholungen zeigen erst später im Leben die ersten Symptome.
Zwischenallele und reduzierte Penetranz der Krankheit
Durch den Zusammenhang zwischen der CAG-Länge und dem durchschnittlichen Alter bei Auftreten der Krankheit gab es ein großes wissenschaftliches Interesse daran, besser zu verstehen, wie verschiedene Längen der CAG-Wiederholungen sich auf die Menschen auswirken, die sie ererben. Dieser Zusammenhang wurde zuerst 1993 beschrieben als Wissenschaftler entdeckten, dass alle Huntington-Patienten lange CAG-Sequenzen hatten, während die Menschen ohne die HK kürzere CAG-Sequenzen in ihrem Gen hatten.
Seit dieser Entdeckung haben Forscher tausende Menschen aus Huntington-Familien untersucht, solche mit einer geerbten Mutation und solche ohne mutiertes Gen. Als Ergebnis all dieser Arbeit entdeckten die Wissenschaftler die Regeln, die den Zusammenhang zwischen CAG-Länge und der HK bestimmen. Diese können für Huntington-Familien sehr verwirrend sein, wenn sie die Ergebnisse eines Gentests verstehen möchten. HDBuzz hat diese Regeln bereits früher im Detail behandelt: Die genetische ‘Grauzone’ der Huntington Krankheit: Was bedeutet das alles? und Wie lang ist zu lang? Das Überdenken der Huntington-“Grauzone”.
Um es kurz zusammenzufassen, was wir zum bisherigen Zeitpunkt wissen: Menschen, die eine CAG-Länge von 40 oder mehr ererben, werden mit Sicherheit an Huntington erkranken, wenn sie eine normale Lebensspanne erreichen. Menschen mit weniger als 36 Wiederholungen werden niemals an Huntington erkranken, wie lange sie auch leben mögen.
Die Situation von Menschen mit ererbten Genlängen in der Nähe dieser Grenzen kann etwas verwirrend aussehen. Traditionell haben Forscher diese grenzwertigen Mutationen in zwei Kategorien unterteilt: Reduzierte Penetranz und Zwischenallele.
Die erste Gruppe meint Menschen, die das Huntington-Gen mit 36-39 CAG-Wiederholungen geerbt haben. Ärzte und Forscher ordnen sie in die Gruppe von Huntington-Patienten mit einer reduzierten Penetranz-Mutation ein. Einige Patienten, sagen wir mal mit einer CAG-Länge von 37, leben ein normal langes Leben ohne jemals Symptome der HK zu zeigen. Während andere mit der gleichen CAG-Länge im Laufe ihres Lebens Symptome zeigen werden. Penetranz ist ein Wort mit dem Forscher beschreiben, wie viele Menschen mit einer genetischen Veränderung entsprechende Krankheitssymptome zeigen, d.h. dass jeder, der diese Veränderung erbt, die Krankheit in einer normalen Lebensspanne bekommen werden wird.
Auf der anderen Seite der Grenze werden Menschen mit einer CAG-Länge zwischen 27 und 35 niemals an Huntington erkranken wird, zumindest so weit wir das wissen. Dieses Wissen kommt von Studien an Tausenden von Menschen aus Huntington-Familien mit einer derartigen Anzahl von CAG-Wiederholungen, bei denen niemals medizinisch korrekt Huntington-Symptome beschrieben wurden. Diese Mutationen sind zwar länger als normal, aber sie verursachen die Krankheit nicht, daher nennen wir sie Zwischenallele.
Um diesen ‘Graubereich’ möglichst einfach zu beschreiben, sagt man, dass eine CAG-Länge (36-39) mit reduzierter Penetranz manchmal die Huntington-Krankheit verursacht, während in Menschen mit *Zwischenallelen" (27-35) die Krankheit nicht auftritt. Die Wissenschaftler sind sehr daran interessiert, Menschen mit CAG-Längen in diesem Graubereich zu untersuchen, weil wir denken, dass diese Mutation wachsen können, wenn sie an die Nachkommen vererbt werden. Vermutlich ist dieser Mechanismus die eigentliche Ursache von neu auftretenden Huntington-Mutationen in der Bevölkerung.
Eine neue Studie
Eine neue Studie von Forschern inklusive Chris Kay und Dr. Michael Hayden von der University of British Columbia setzte sich daran zu verstehen, wie häufig CAG-Längen, die unter die reduzierte Penetranz fallen, in der allgemeinen Bevölkerung vorhanden sind.
Warum ist dies eine neue Idee? Forscher haben die Häufigkeit von Mutationen mit reduzierter Penetranz doch sicherlich schon seit Jahren untersucht, oder? Ja, aber meistens wurden diese Mutationen in den Familien untersucht, die den Huntington-Forschern bekannt sind. Und das sind Mitglieder von Huntington-Familien, die ihre DNA freiwillig für Studien zur Verfügung gestellt haben.
Kay und Hayden hatten die wirklich schlaue Idee, sich die Häufigkeit der Huntington-Mutationen mit reduzierter Penetranz in mehr als 7000 Menschen aus der ganzen Welt anzuschauen, die überhaupt keine Verbindung zur Huntington-Krankheit aufwiesen. Sie sammelten die DNA von Teilnehmer aus einem großen Bereich klinischer Studien, die nichts mit der HK zu tun hatten, um zu untersuchen und besser zu verstehen, wie häufig die Mutationen mit reduzierter Penetranz in der allgemeinen Bevölkerung vorkommen.
Kay und seine Kollegen maßen die CAG-Länge von 7315 Menschen aus der Allgemeinbevölkerung. Da - Sie erinnern sich - jeder Mensch zwei Huntington-Gene hat (eins von der Mutter, eins vom Vater), konnten sie in Wirklichkeit die CAG-Länge von 14630 Huntington-Genen messen. Unter diesen 7315 Menschen fanden sie 18 mit einer Huntington-verursachenden Mutation. Nur 3 dieser Mutationen waren voll penetrante Mutationen mit einer CAG-Länge von mehr als 40 Wiederholungen. Diese niedrige Zahl ist nicht überraschend, da die Studie sich auf den Teil der Bevölkerung konzentrierte, der kein bekanntes Risiko für die HK aufwies.
Die restlichen von Kay und seinen Kollegen gefundenen Huntington-Mutationen (15 der 18 gefundenen) hatten eine Länge zwischen 36 und 39 CAG-Wiederholungen und lagen damit im Bereich der reduzierten Penetranz. Mit etwas Berechnung lässt sich zeigen, dass etwa 1 von 400 Menschen in der untersuchten Bevölkerung eine Mutation mit reduzierter Penetranz ererbt habt - das sind etwa 10 mal mehr Menschen als vorherige Schätzungen.
Zeit für ein Umdenken?
Dieser überraschende Fund führte zu einer Reihe von schlechten Zeitungsartikeln in aller Welt. Der Scottish Herald, der offensichtlich noch nicht einmal Huntington’s richtig schreiben kann, preschte mit der Überschrift: “Studie: 1 von 400 Menschen hat das Huntingdon’s Gen”. Schreckliche Meldung!
Aber was bedeutet das wirklich? Wenn all diese Menschen - bis zu 1 von 400 - die Huntington-verursachende Mutation haben, würde man allein für die USA 800.000 Huntington-Patienten berechnen.
Eine alternative von Kay und seinen Kollegen vorgeschlagene Erklärung ist, dass die Penetranz der Huntington-Mutationen im Bereich von 36-39 CAG-Wiederholungen sehr viel niedriger sein muss, als man bisher gedacht hat.
Warum das? Bei welchen Menschen hat man früher die Untersuchungen zu Mutationen mit reduzierter Penetranz durchgeführt? Richtig, bei den Menschen, die in den Huntington-Kliniken auftauchten. Dies ist fast eine Garantie dafür, dass die Auswahl der Studienteilnehmer selektiv, als nicht zufällig war, da man nur Menschen mit einer reduzierten Penetranz-Mutation untersucht hat, die auch Symptome entwickelten.
Durch die hier vorgestellte Studie an tausenden zufällig ausgewählten Menschen aus aller Welt haben Kay und seine Kollegen bewiesen, dass die bisherige Strategie ihre Grenzen hatte. Als Konsequenz daraus sind Mutationen mit reduzierter Penetranz wohl weit häufiger als bisher gedacht, führen allerdings auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit zum Ausbruch der Krankheit.
Das sind jetzt schlechte Nachrichten, oder?
Diese Studie ist ein wirklich gutes Beispiel dafür, wie gute Wissenschaft durch schlecht recherchierte Pressemeldungen übertrieben alarmierend wirkt. Aber mit dem richtigen Verständnis kann man erkennen, dass diese Studie in Wirklichkeit womöglich eher eine gute Nachricht ist - vielleicht erkranken weniger Menschen mit CAG-Wiederholungen zwischen 36 und 39 als wir bisher gedacht haben.
Was führt dazu, dass einige aber nicht alle Menschen mit CAG-Längen zwischen 36 und 39 die Krankheit bekommen. Das wissen wir bisher nicht, aber diese Studie liefert ein weiteres Beweisstück dafür, dass zumindest einige Menschen auch mit relativ langen CAG-Wiederholungen keine Symptome der HK entwickeln. Da wir dies nun wissen können wir gezielt diese Menschen untersuchen und neue Strategien für die gesamte Huntington-Gemeinschaft entwickeln.
Wie jede gute wissenschaftliche Arbeit eröffnet diese Studie eine Reihe von neuen unbeantworteten Fragen. Man kann sich sicher sein, dass die Huntington-Forscher sich gerade am Kopf kratzen und zurück in ihre Labore hechten, um wichtige neue Studien als Ergebnis zu publizieren.