Huntington’s disease research news.

In plain language. Written by scientists.
For the global HD community.

Ein Medikament fĂŒr Multiple Sklerose, das auch bei der Huntington Krankheit wirkt: Ist etwas dran oder ist es zu gut um wahr zu sein?

Fingolimod, ein Medikament eingesetzt bei MS, beugt GedÀchtnisproblemen bei HK MÀusen vor. Auch bei Patienten?

Denkstörungen fordern schon im frĂŒhen Stadium der Huntington Krankheit ein großes Tribut. Nun suggeriert eine neue Arbeit, dass ein Medikament, welches bereits durch die FDA zugelassen wurde, um eine andere neurologische Erkrankung – Multiple Sklerose – zu behandeln, dieses Problem bei MĂ€usen mit HK hinauszögern könnte. Können diese Ergebnisse real sein, oder sind sie zu gut um wahr zu sein?

Obwohl Bewegungsstörungen das offensichtlichste Symptom der Huntington Krankheit sind, löst Huntington auch kognitive Probleme aus – wie VerĂ€nderungen des GedĂ€chtnis, beim Planen, im Entscheidungen treffen und der Kommunikation – die ein großes Tribut von den Patienten und ihren Familien bereits im frĂŒhen Stadium der Krankheit fordern. FĂŒr die Behandlung von Huntington ist es sehr wichtig zu verstehen warum diese kognitiven VerĂ€nderungen auftreten und wie man ihnen vorbeugen könnte.

Das ‚Telefon‘-Spiel des Gehirns

Bei Huntington treten Denkstörungen oder kognitive EinschrÀnkungen auf, lange bevor Gehirnzellen absterben. Wenn diese Probleme aber vor dem Absterben der Gehirnzellen auftreten, was löst sie dann aus?

Das Gehirn besteht aus Zellen, die miteinander kommunizieren, wie Spieler bei einem gigantischen Telefon-Spiel. Denkstörungen können entstehen, wenn die Nachrichten in diesem riesigen Telefon-Spiel des Gehirns verfÀlscht werden.
Das Gehirn besteht aus Zellen, die miteinander kommunizieren, wie Spieler bei einem gigantischen Telefon-Spiel. Denkstörungen können entstehen, wenn die Nachrichten in diesem riesigen Telefon-Spiel des Gehirns verfÀlscht werden.
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Schuld daran ist vermutlich eine VerÀnderung der KommunikationsfÀhigkeit zwischen den Gehirnzellen.

Um diese Vermutung zu verstehen, muss man daran denken, dass das Gehirn aus einem großen Netzwerk von Zellen (sog. Neuronen) besteht, die durch einen Nachrichtenaustausch miteinander kommunizieren. Man kann sich die Kommunikation im Gehirn wie ein großes ‚Telefon‘-Spiel vorstellen: Ein Neuron (Gehirnzelle) schickt eine Nachricht zu einer Anderen, diese schickt sie an eine Dritte und so weiter. Da das Gehirn aus rund 86 Billionen Neuronen besteht, ist dieses Spiel jedoch sehr viel grĂ¶ĂŸer als das aus der Kindheit.

Probleme treten dann auf, wenn Nachrichten innerhalb dieses riesigen Telefon-Spiels verfĂ€lscht werden – in anderen Worten: Wenn Neuronen die ankommenden Nachrichten nicht zuverlĂ€ssig abhören oder weiterverschicken.

VerfĂ€lschungen können auf verschiedenen Wegen entstehen. Zum einen können verfĂ€lschte Nachrichten durch kranke Neuronen entstehen. Das Telefon-Spiel wĂŒrde auch fĂŒr dich schwer werden, wenn du deine Stimme verloren hast; denn krank zu sein macht es fĂŒr Neuronen schwer eine Nachricht an andere weiter zu leiten.

Andernfalls kann auch die Umgebung des Neurons beeinflussen, wie gut die Nachrichten abgehört oder weitergeleitet werden. Das Telefon-Spiel gestaltet sich ja auch in einem Raum voll schreiender 2-JĂ€hriger schwieriger als in einem stillen Raum, gewisse Umgebungen im Gehirn erschweren den Neuronen die Kommunikation. Wir wissen zum Beispiel, dass Neuronen im Gehirn von Helferzellen umgeben sind, die eine leichte ‚Persönlichkeitsstörung‘ aufweisen. Denn normalerweise sind die Helferzellen die ‚guten Jungs‘, die die Kommunikation erleichtern; wenn das Gehirn allerdings beschĂ€digt wird, durch eine Verletzung oder Krankheit, können die Helferzellen zu ‚bösen Jungs‘ werden und die Kommunikation der Gehirnzellen behindern.

Vielleicht mĂŒssen wir also die Neuronen, ihre Helferzellen, oder beide gleichzeitig schĂŒtzen, um den Nachrichtenfluss im großen Telefon-Spiel des Gehirns am Laufen zu halten.

Ein Multiple Sklerose Medikament fĂŒr die Huntington Krankheit?

WĂ€re es nicht schön, wenn ein Medikament, das schon auf dem Markt ist, sowohl die Neuronen als auch die Helferzellen schĂŒtzen könnte und auch schon am Menschen angewendet wird?

Ein mögliches Medikament, auf das dies zutrifft ist Fingolimod. Es ist auf der ganzen Welt fĂŒr die Behandlung von Multiple Sklerose (MS) zugelassen. MS ist eine Krankheit, bei der das Gehirn durch exzessive EntzĂŒndungen Schaden nimmt.

Fingolimod reduziert das Risiko der MS-Attacken durch eine VerhaltensĂ€nderung des Immunsystems. Jedoch bewirkt Fingolimod auch noch eine ganze Menge anderer Dinge im Körper – manche Wissenschaftler sind der Meinung, dass es auf Grund zweier Auswirkungen im Gehirn wertvoll fĂŒr die Huntington Behandlung sein könnte.

Erstens erhöht Fingolimod das Level der Gehirn-Chemikalie BDNF. BDNF ist eine Art DĂŒnger fĂŒr Gehirnzellen: es hĂ€lt sie gesund und stark. Zweitens bleiben die Helferzellen durch Fingolimod in ihrem ‚gute Jungs‘ Modus, in dem sie den Neuronen bei der Kommunikation helfen. Diese beiden Effekte schĂŒtzen zusammen sowohl die Neuronen als auch die Helferzellen im Gehirn – das ist genau das, was wir von einer Huntington Behandlung erwarten.

„Die Wirkung von Fingolimod schĂŒtzt sowohl Neuronen als auch Helferzellen im Gehirn – genau das, was wir von einer Huntington Behandlung erwarten.“

Es gibt auch noch weitere GrĂŒnde dafĂŒr anzunehmen, dass Fingolimod bei der Huntington Krankheit von Nutzen sein könnte. Letztes Jahr testeten Wissenschaftler die Fingolimod Behandlung an MĂ€usen mit der Huntington Krankheit und fanden heraus, dass die behandelten MĂ€use weniger Bewegungsprobleme hatten, lĂ€nger lebten und weniger Gehirnzellen verloren hatten.

Allerdings weiß bis jetzt noch niemand, ob Fingolimod auch die Denkstörungen beeinflusst, die im frĂŒhen Stadium der Huntington Krankheit auftreten.

Von MÀusen und dem GedÀchtnis

Um diese Frage zu beantworten, beschlossen Wissenschaftler der UniversitĂ€t von Barcelona in einem Huntington Mausmodell zu testen, ob Fingolimod den Denkstörungen vorbeugen könnte. In diesem Modell wurden die MĂ€use genetisch so verĂ€ndert, dass ihre DNA kleine StĂŒcke des menschlichen Huntington Gens enthalten. Diese genetisch verĂ€nderten MĂ€use erkranken frĂŒher, und entwickeln motorische Probleme, sowie VerĂ€nderungen des Gehirns Ă€hnlich zu denen der Huntington Krankheit im Menschen.

Die Denkleistung von MĂ€usen zu testen ist eine große Herausforderung, vor allen Dingen wenn man bedenkt, dass ein durchschnittliches MĂ€usegehirn weniger als ein Gramm wiegt. Wie kann diese Bewertung ĂŒberhaupt möglich sein?

Um das ‚Denken‘ der MĂ€use zu erforschen, mĂŒssen wir unsere Fragen vereinfachen und Antworten aus dem Verhalten der MĂ€use im Labor ziehen.

Stellen wir uns beispielsweise vor, wir wollen die kognitiven FĂ€higkeiten, wie das Erinnern an etwas, einer Maus bewerten. Wir können die Maus natĂŒrlich nicht einfach fragen, ob sie sich an ein Spielzeug, das ihr gestern gezeigt wurde, erinnert. Allerdings verbringen MĂ€use, genau wie wir Menschen, mehr Zeit damit spannende neue Dinge zu betrachten, als langweilige bekannte. Durch das Messen, wie lang eine Maus ein Objekt untersucht, können wir ein GefĂŒhl dafĂŒr bekommen, wie bekannt ihr dieses Objekt ist – und dadurch herausfinden, wie gut sich die Maus daran erinnert.

Auch wenn es nicht perfekt sein wird, lĂ€sst uns diese Art der Schlussfolgerung Fragen ĂŒber komplizierte kognitive Vorstellungen wie das GedĂ€chtnis von MĂ€usen stellen. Durch das Stellen solcher Fragen, fanden Wissenschaftler heraus, dass MĂ€use, die an der Huntington Krankheit leiden, mit zunehmenden Alter GedĂ€chtnisprobleme entwickeln.

Was hat man herausgefunden?

Was ist also passiert als die Wissenschaftler der UniversitÀt von Barcelona versuchten die GedÀchtnisprobleme der MÀuse mit Huntington durch die Fingolimod-Behandlung zu verhindern?

Zum einen bevorzugten die MĂ€use, welche Fingolimod bekamen, im Gegensatz zu denen mit Placebo, neue Objekte und Orte statt Bekanntes. Da sich diese MĂ€use an Bekanntes ‚erinnerten‘ schlussfolgerten die Wissenschaftler, dass Fingolimod sie vor den GedĂ€chtnisproblemen, wie man sie von Huntington kennt, beschĂŒtzt hat.

So arg wir auch hoffen, dass Wissenschaftler ein Medikament zur Vorbeugung oder Verbesserung der Huntington Symptome finden, mĂŒssen wir uns bei Fingolimod noch zurĂŒckhalten.
So arg wir auch hoffen, dass Wissenschaftler ein Medikament zur Vorbeugung oder Verbesserung der Huntington Symptome finden, mĂŒssen wir uns bei Fingolimod noch zurĂŒckhalten.
Image credit: freedigitalphotos

Außerdem hatten die MĂ€use mit Fingolimod Behandlung im Vergleich zur Placebo-Gruppe viel mehr vom genetischen Rezept, in den Arealen des Gehirns, die wichtig fĂŒr das GedĂ€chtnis sind, um BDNF (der ‚DĂŒnger‘ fĂŒr Gehirnzellen) herzustellen. Die MĂ€use, welche Fingolimod bekamen, entwickelten zudem weniger krankheitsbedingte VerĂ€nderungen der Form und der AktivitĂ€t ihrer Neuronen, und weniger ihrer Helferzellen blieben in ihrem ‚böse Jungs‘ Modus stecken, in dem sie die Zellkommunikation behindern.

Basierend auf all diesen Effekten, schlossen Wissenschaftler, dass durch die Fingolimod Behandlung die Neuronen und Helferzellen der MĂ€use geschĂŒtzt werden und dadurch den GedĂ€chtnisproblemen, wie man sie von Huntington kennt, vorgebeugt wird. Sie suggerierten des Weiteren, dass Fingolimod eine neue therapeutische Strategie fĂŒr die Huntington Krankheit ermöglichen könnte – eine, die sehr schnell implementiert werden könnte, da Fingolimod schon von der FDA (die amerikanische Behörde) fĂŒr den menschlichen Gebrauch bei MS zugelassen wurde.

Immer mit der Ruhe

Auch wenn wir hoffen, dass Wissenschaftler ein Medikament zur PrĂ€vention oder der Verbesserung von Huntington Symptomen finden, mĂŒssen wir uns wegen Fingolimod noch zĂŒgeln. Hier das ‚Warum‘:

Erstens sind die beschriebenen Experimente wirklich schwierig. Es gilt sehr, sehr kleine VerĂ€nderungen im Verhalten der Maus oder der Form und AktivitĂ€t der Gehirnzellen zu messen – und bei dieser Art von Experiment ist es nicht schwer irrefĂŒhrende Ergebnisse zu erhalten. Die BestĂ€tigung, dass die Fingolimod-basierten Verbesserungen real sind und wiederholt werden können, und zu beweisen, dass sie sich auf andere kognitive Tests ausweiten lassen wird der nĂ€chste wichtige Schritt sein.

Zweitens, auch wenn die Verbesserungen des GedĂ€chtnis real sind, liegt immer noch ein Berg Arbeit vor uns, bevor wir tatsĂ€chlich wissen wie Fingolimod diese Verbesserungen bewirkt. Zum Teil, weil Fingolimod den Körper in vielerlei Arten beeinflusst – und erinnern Sie sich, die meist untersuchte Wirkung dreht sich um das Immunsystem. Es muss mehr Forschung betrieben werden, um zu beweisen, dass die Wirkung von Fingolimod auf das Gehirn, und nicht auf andere Teile des Körpers, tatsĂ€chlich fĂŒr die beobachteten GedĂ€chtnisverbesserungen bei MĂ€usen mit Huntington verantwortlich ist.

Drittens ist Fingolimod, auch wenn es ziemlich sicher fĂŒr den Patienten ist, immer noch ein ernstzunehmendes Medikament mit potentiellen schwerwiegenden Nebenwirkungen. Nicht nur Dinge wie Benommenheit oder Hautausschlag – sondern selten auch Nebenwirkungen die das Immunsystem betreffen, durch die das Gehirn eine schwerwiegende virale Gehirninfektion, auch PML (progressive multifokale Leukoenzephalopathie) genannt, entwickeln kann, die oftmals tödlich verlaufen kann. Falls Personen mit der Huntington Krankheit dieses Risiko eingehen, wollen wir uns sehr sicher sein, dass Fingolimod extrem-wirksam darin ist bei den meisten Personen zumindest HK Symptome zu lindern oder das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen.

Schlussendlich sind die MĂ€use in den aufgefĂŒhrten Experimenten nur das: MĂ€use. Wie in jedem Labormodell können sie die KomplexitĂ€t der menschlichen Huntington Krankheit nicht nachstellen. Zwar können wir immer noch eine Menge durch das Erforschen dieser MĂ€use lernen, Wissenschaftler hingegen mĂŒssen Fingolimod in anderen Modellen testen, bevor sie klare Aussagen darĂŒber treffen können, ob Fingolimod bei Menschen wirken könnte.

Die Quintessenz

Es ist eine gute Nachricht, dass ein Medikament, welches schon fĂŒr den menschlichen Gebrauch zugelassen ist, in einem Labormodell der Huntington Krankheit nĂŒtzlich sein könnte, da dieses Medikament sehr schnell in klinischen Studien eingesetzt werden könnte. Im Moment schlagen wir vor, den Champagner noch ungeöffnet zu lassen, bis wir mehr wissen.

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