Eine große Studie deckt neue 'genetische Modifikatoren' der Huntington-Krankheit auf
GeM-HD publiziert Hinweise auf genetische Modifikatoren, die das Alter der Patienten bei Ausbruch der HK beeinflussen
Von Dr Jeff Carroll 9. August 2015 Bearbeitet von Professor Ed Wild Übersetzt von Christian Schnell Ursprünglich veröffentlicht am 31. Juli 2015
Auch wenn jeder Patient mit der Huntington-Krankheit (HK) eine Mutation im gleichen Gen aufweist, ist das Alter, in dem ein Patient die ersten Symptome zeigt, sehr variabel. Ein weltweites Konsortium von HK-Forschern hat nun in einer entscheidenden Studie die genetischen Unterschiede zwischen Menschen aufgedeckt, die einen Teil dieser Variabilität erklären und einige spannende neue Ziele für die Entwicklung von Medikamenten bieten.
Anzahl der CAG-Wiederholungen und Auftreten der Krankheit
Die Mutation, die für jeden einzelnen Fall der HK verantwortlich ist, wurde 1993 von einem großen internationalen Team von Forschern entdeckt, das sich als ‘Kollabarotive Forschungsgruppe zur Erforschung der Huntington-Krankheit’ bezeichnet. Die teilnehmenden Wissenschaftler entdeckten ein Gen mit einer sich wiederholenden Sequenz von den DNA-Buchstaben C-A-G. Die Anzahl der Wiederholungen ist bei Huntington-Patienten länger als normal. Jeder Mensch, der mehr als 40 dieser ‘CAG-Wiederholungen’ in diesem Gen hat, wird irgendwann an der HK erkranken.
Die Wissenschaftler gaben dem Gen den Spitznamen Huntingtin. (Warum? Weil Wissenschaftler Namen mögen, die mit “-in” enden, wie bei Albumin oder Hämoglobin.)
Sie erkannten schnell, dass Huntington-Patienten nicht alle die gleiche Anzahl an CAG-Wiederholungen in ihrer mutierten Kopie des Huntingtin-Gens aufwiesen. Durchschnittlich enthält dieses Gen bei Huntington-Patienten 42 Wiederholungen, aber einige haben auch viel mehr Wiederholungen - sogar mehr als 100 CAG-Wiederholungen können vorkommen. Es zeigte sich, dass dies wirklich wichtig ist, denn durchschnittlich zeigen Patienten mit mehr Wiederholungen früher die ersten Symptome als Patienten mit weniger CAG-Wiederholungen.
Die Anzahl der CAG-Wiederholungen ist der Hauptfaktor um zu erklären, warum die Menschen unterschiedlich alt sind, wenn sie Symptome der HK entwickeln.
Allerdings blieb dennoch einiges im Dunkeln: Menschen mit der gleichen Anzahl an CAG-Wiederholungen entwickeln die Symptome in manchmal sehr verschiedenen Altern. Zum Beispiel kann das Auftauchen der Symptome bei Menschen mit 42 CAG-Wiederholungen Jahre oder sogar Jahrzehnte auseinander liegen.
Das bedeutet, dass die Anzahl der CAG-Wiederholungen nicht der allein entscheidende Faktor ist. Auch deswegen ist die Aussagekraft der CAG-Wiederholungen meistens nicht sehr hilfreich um vorherzusagen, in welchem Alter eine Person Symptome zeigen wird. Das einzige, was wir sicher sagen können, ist, dass man bei 40 oder mehr CAG-Wiederholungen auf jeden Fall irgendwann die HK entwickeln wird.
Jahrelang haben Wissenschaftler vermutet, dass die unterschiedlichen Alter von Personen mit den ersten Symptomen an genetischen Unterschieden in anderen Genen als dem Huntingtin-Gen - den so genannten genetischen Modifikatoren - liegen könnte.
Die Suche nach den Modifikatoren
Die Suche nach den genetischen Modifikatoren ist schon lange ein Interessensgebiet der HK-Forscher und kürzlich wurde eine groß angelegte, neue Studie publiziert, die die größte Studie dieser Art darstellt, die jemals für die HK durchgeführt wurde.
Man kann sich diese genetischen Unterschiede zwischen Menschen als ‘Experimente der Natur’ vorstellen. Viele der kleinen genetischen Unterschiede haben keine wahrnehmbaren Effekte, während andere Unterschiede kleine oder große Effekte auf die Funktionen unseres Körpers haben können. Wir interessieren uns hier für die Unterschiede, die die Schädigungen, die das abnormale Huntingtin-Gen erzeugt, noch beschleunigen oder im Gegenteil sogar abbremsen, so dass sich die HK-Symptome früher oder später als erwartet entwickeln.
In jeder Zelle eines jeden Menschen mit der HK läuft also praktisch ein jahrzehntelanges Experiment! Jede Person besitzt ihren eigenen Satz an genetischen Unterschieden, die sich über die Zeit gegenseitig ausspielen. Das Ergebnis des Experiments ist am Ende, ob die Unterschiede zu einem früheren oder einem späteren Ausbruch der HK führen.
„Auch wenn sie die möglicherweise betroffenen DNA-Regionen von über 3 Milliarden Buchstaben der DNA auf einige Tausend heruntergebrochen haben, sind sie sich noch nicht ganz sicher, welche Gene genau verschieden sind. “
Das Signal im Rauschen finden
Das schöne an der Genetik ist, dass wir bereits wissen, dass diese Unterschiede existieren und moderne genetische Technologien uns ermöglichen, die Unterschiede in der DNA eines Menschen schneller, günstiger und effizienter als jemals zuvor zu finden.
Das gesamte Genom bzw. den DNA-Code eines Menschen zu durchsuchen um individuelle Unterschiede zu finden, die eine Krankheit beeinflussen, nennt man ‘Genom-weite Assoziierungsstudie’ oder GWAS (‘dji-was’ ausgesprochen).
Die Schwierigkeit dieser Art von Studie ist, dass jeder von uns Tausende von diesen kleinen genetischen Unterschieden, die uns einzigartig machen, besitzt. Aber auch bei einer Person, die die HK sehr spät oder sehr früh entwickelt, ist es unmöglich zu wissen, welcher dieser vielen Unterschiede speziell für den geänderten Krankheitsverlauf verantwortlich ist.
Wenn man sich allerdings die DNA von vielen Tausend Menschen anschaut, beginnen sich die wirklich wichtigen Unterschiede langsam zu zeigen. Wenn bei 1000 Menschen mit einer gleichen genetischen Modifikation die HK besonders früh ausbricht, ist dieser Modifikator wahrscheinlich wichtig für den Krankheitsverlauf.
Das GeM-HD-Konsortium
Glücklicherweise haben Kliniken auf der ganzen Welt seit Jahren - teilweise auch Jahrzehnten - DNA-Proben und Krankheitsinformationen von Familienmitgliedern von Huntington-Patienten gesammelt. Ein Team von sehr engagierten HK-Genetik Forschern unter Führung von Drs. Jong-Min Lee und Jim Gusella leitete eine Gruppe von Forschern, die sich Genetische Modifikatoren von HD oder GeM-HD Konsortium nannte und an diesen Proben arbeitete.
Das Team sammelte die DNA-Proben aus den klinischen Gruppen und aus anderen großen Studien, inklusive PHAROS, TREND-HD, PREDICT-HD und HD-MAPS. Das Zusammenstellen aller DNA-Proben resultierte in ca. 4000 HK-Patienten, deren DNA und Jahr des Ausbruchs ihrer Krankheit zur Verfügung standen.
Die Ergebnisse
Am Ende dieser riesigen, jahrelangen Studie fanden die Wissenschaftler, wonach sie suchten. Unterschiede in mindestens zwei, möglicherweise sogar drei Regionen der DNA korrelierten stark mit einem früheren oder späteren Ausbruch der HK.
Zum Beispiel erkrankten Menschen mit einem dieser kleinen genetischen Unterschiede durchschnittlich 6 Jahre früher an der HK als alleine aufgrund der Anzahl der CAG-Wiederholungen prognostiziert wurde. Ein anderer Unterschied in einem benachbarten DNA-Abschnitt hatte den gegenteiligen Effekt: Dieser erzeugte eine Verschiebung des Krankheitsausbruchs um ca. 1 ½ Jahre.
Bisher haben die Forscher die DNA-Abschnitte, die diese Unterschiede erzeugen, lediglich identifiziert. Auch wenn sie die nun mögliche Anzahl DNA-Buchstaben von über 3 Milliarden Buchstaben auf ein paar Tausend reduziert haben, sind sie noch nicht sicher, welche Gene genau in den betroffenen Patienten verändert sind.
Man kann sich das in etwa so vorstellen, als ob die Wissenschaftler eine riesengroße Bibliothek untersucht haben und nun das richtige Buch gefunden haben, aber jetzt noch die genaue Seite in dem Buch suchen müssen, die erzählt, welche genetischen Unterschied genau zum veränderten Ausbruchsalter der HK geführt hat.
Die Bedeutung
Ein wichtiges Ergebnis dieser Studie ist, dass sie zeigt, dass das Auftreten der HK verschoben werden kann.
Mit ein bisschen Hilfe hat die Natur eine kleine Liste von Genen in den Fokus gestellt und gesagt: “Hey, wenn Du die Arbeitsweise dieses Gens verbesserst oder verschlechterst, kannst Du den Verlauf der HK ändern!”
Sobald wir präzise identifiziert habe, welcher genetische Unterschied zum sechsjährigen Aufschub des Krankheitsbeginns in HK-Patienten führt, können wir Medikamente entwickeln, die genau dieses Gen betreffen und seine Funktion in den Zellen ändern, um sie vor der HK zu schützen.
Sie können sicher sein, dass die HK-Forscher hart unter diesen Gesichtspunkten arbeiten.
Mangelhafte DNA-Reparatur?
Das GeM-HD hat seine Arbeit mit einem clever ausgedachten Experiment beendet. Es hat seine Suche auf nur ca. 10 Gene fokussiert, die sich in der richtigen Umgebung befinden, um das erste Auftreten der HK-Symptome zu modifizieren.
Jedes unserer 20.000 Gene macht etwas Unterschiedliches. Einige Gene bauen Enzyme, die Zucker abbauen und daraus Energie produzieren. Andere agieren eher selbst als Buchregal für die DNA, indem sie den Zellen helfen, ihren eigenen DNA-Code zu lesen.
Gibt es einige gemeinsame Funktionen unter den ca. 10 Genen die zum früheren oder späteren Auftreten der HK-Symptome beitragen können? In der Tat fanden die Forscher, dass eine überraschend große Zahl dieser Gene in der korrekten Umgebung irgendetwas mit der DNA-Reparatur zu tun hatte.
Unser DNA-Code ist so wichtig, dass die Zellen viel Arbeit darin investieren, ihn frei von Fehlern zu halten. Wie alles andere auch was unsere Zellen tun, ist die Anleitung für den Bau dieser DNA-Reparatur-Maschine in unseren Genen gespeichert. Und zahlreiche dieser DNA-Reparatur-Gene finden sich unter denen, die durch GeM-HD aufgedeckt wurden.
Die Ergebnisse des GeM-HD-Konsortiums stärkten eine Idee, die bereits seit einiger Zeit im Umlauf ist. Diese besagt, dass Schäden an der DNA - und diese speziell im Gehirn - dazu beitragen, dass die Zellen im Gehirn von HK-Patienten krank werden.
Die Kernaussage
Diese enorm wichtige Studie eröffnet neue Möglichkeiten zur genetischen Erforschung und Entwicklung von Medikamenten, die zu den wichtigsten gehören, seitdem das HK-Gen 1993 entdeckt wurde.
Ohne die tausenden freiwilligen Teilnehmer an klinischen Forschungsstudien wäre dieser Durchbruch nicht möglich gewesen. Es ist eine gute Erinnerung daran, dass die Teilnahme an Studien auch positive Entwicklungen ermöglicht, die noch nicht absehbar waren, als wir uns zuerst für die Studie anmeldeten.
Sie werden sich fragen, ob diese neu identifizierten genetischen Unterschiede auch bei Menschen getestet werden können, um bessere Vorhersagen über den Zeitpunkt des Ausbruchs der Symptome treffen zu können. Das ist zwar für die Zukunft theoretisch vorhersehbar, aber so weit sind wir jetzt noch nicht. Zunächst müssen wir genau die betroffenen Gene finden und verstehen, wie sie den Verlauf der HK beeinflussen.
Die Herausforderung besteht jetzt darin, diese neuen genetischen Beobachtungen in Behandlungen umzumünzen. Seien Sie sich sicher, dass die Forscher alles daran setzen, dieses so schnell wie möglich zu erreichen.