Den Weg ausleuchten: Ein neuer Biomarker für die Huntington-Krankheit
Ein neuer Biomarker deckt die frühen Veränderungen im Gehirn bei der Huntington-Krankheit auf.
Von Melissa Christianson 30. Mai 2015 Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Christian Schnell Ursprünglich veröffentlicht am 20. April 2015
Bei der Huntington-Krankheit sterben Hirnzellen ab, schon lange bevor Symptome sichtbar werden. Leider waren bisher keine guten Werkzeuge verfügbar, mit denen man diese frühen Veränderungen im Gehirn sichtbar machen und testen konnte, ob neue Therapien diese Änderungen verlangsamen oder stoppen. Nun aber wurde genau ein solches Werkzeug entwickelt, so dass sich großartige Möglichkeiten ergeben, den Krankheitsverlauf zu verfolgen.
Die Symptome der Huntington-Krankheit werden durch den Tod von Nervenzellen in bestimmten Hirnbereichen verursacht. Eine der bemerkenswerten Eigenschaften der Krankheit ist, dass äußerliche Symptome erst sichtbar werden, nachdem ein sehr großer Teil der Nervenzellen bereits gestorben ist. Es existiert also ein zeitlicher Verzug zwischen den Veränderungen im Gehirn und den äußerlichen Symptomen der Huntington-Krankheit.
Dieser zeitliche Verzug macht ein frühes, proaktives Behandeln der Huntington-Krankheit wirklich wichtig. Um zu verstehen warum das so ist, stellen Sie sich die Krankheit wie ein Feuer vor, das im Inneren eines Gebäudes brennt. Wenn niemand die Feuerwehr ruft bevor die Hälfte des Gebäudes verkohlt ist, wird ein so großer Teil des Gebäudes verloren sein, wenn die Feuerwehr dann endlich eintrifft, dass kein Bemühen das Gebäude mehr retten kann. Ziemlich ähnlich bedeutet es im Fall der Huntington-Krankheit, dass mit einer Behandlung so lange zu warten bis die ersten äußerlichen Symptome auftreten, bedeutet, dass viele Gehirnzellen absterben. Und Zellen die einmal gestorben sind, können nicht mehr ersetzt werden.
Daher erscheint es sicher, dass effektive Therapien für die Huntington-Krankheit bereits vor dem Auftreten der äußeren Symptome beginnen müssen. Leider existieren bisher jedoch keine guten Werkzeuge um die Hirnveränderungen im frühen Krankheitsverlauf zu messen. Dies ist insofern ein Problem, weil es bedeutet, dass Mediziner und Forscher praktisch nicht wissen, was in der frühen Phase der Krankheit im Gehirn passiert.
Um wieder zu unserer Feuer-Analogie zurückzukehren: Die Huntington-Krankheit zu behandeln ohne die frühen Änderungen im Gehirn sehen zu können ist vergleichbar damit, ein Feuer mit geschlossenen Augen löschen zu wollen. Wenn man das Feuer nicht sehen kann, kann man auch nicht beurteilen, ob man es gerade löscht oder den Feuerlöscher in Wirklichkeit in eine ganz falsche Richtung hält. Ähnlich geht es den Ärzten, die nicht genau sagen können, ob neue Therapien wirklich helfen oder die Veränderungen verlangsamen. Das bedeutet, dass sie wertvolle Zeit - Zeit, die Patienten mit der Krankheit nicht haben - dafür vergeuden, darauf zu warten, dass sich die äußeren Symptome zeigen, um danach zu beurteilen, ob eine Behandlung Hoffnung macht oder nicht.
Um dieses Wartespiel zu vermeiden, suchen wir dringend nach Werkzeugen, um die Veränderungen im Gehirn in den frühen Phasen der Huntington-Krankheit verfolgen zu können. Genau wie Werkzeuge für das Messen der Temperatur eines Feuers wichtige Informationen über seinen Status übermitteln, liefern Werkzeuge für das Verfolgen der frühen Veränderungen im Gehirn von Huntington-Patienten wichtige Informationen für den Status der Krankheit.
Zeichen, Zeichen, überall Zeichen
In der Klinik werden solche Werkzeuge “Biomarker” genannt. Biomarker sind Zeichen oder Signale über das, was in Krankheiten wie Huntington vor sich geht. Sie können ein Test in jeder Form sein - die ganze Bandbreite von Bluttests über Gedächtnistests zu Hirnscans und alles dazwischen - aber sie haben alle eines gemeinsam: Sie messen etwas Konkretes im Zusammenhang mit der Krankheit. Ein guter Biomarker lässt uns den Status einer Krankheit überwachen. Dies ist wichtig um den weiteren Verlauf der Krankheit vorherzusagen oder um beurteilen zu können, ob eine Behandlung anschlägt.
Im ganz praktischen Sinne sind Biomarker sehr wichtig für die Huntington-Gemeinschaft, weil sie klinische Studien beschleunigen und ihre Aussagen zuverlässiger machen können. Gute Biomarker wären eine wichtige Waffe im Kampf gegen die Huntington-Krankheit.
Ein Biomarker für PDE10
Glücklicherweise könnte ein guter Biomarker über die frühen Hirnveränderungen bei der Huntington-Krankheit in Sicht sein.
Der neue Biomarker zielt auf PDE10 - ein Hirnprotein, das unter Huntington-Forschern bereits für Aufsehen gesorgt hat. Sie glauben, dass PDE10 den Hirnzellen dabei hilft, miteinander zu kommunizieren und dass es ein gutes Ziel für ein Medikament gegen die Krankheit sein könnte. In Tieren helfen Medikamente, die PDE10 als Ziel haben, beim Überleben von Hirnzellen und verschieben das Auftreten von Huntington-Symptomen nach hinten. In der Klinik werden gerade für eine Forschungsstudie Teilnehmer rekrutiert, in der getestet wird, ob Medikamente mit PDE10 als Ziel auch die menschlichen Symptome verbessern.
„Der PDE10-Biomarker könnte für die Huntington-Gemeinschaft wirklich sehr wichtig werden, da er einen einfachen und genauen Weg bietet, die Hirnveränderungen in frühen Stadien der Krankheit zu beobachten. “
Zwei seiner Eigenschaften sind der Grund, warum PDE10 besonders gut als Biomarker für die Huntington-Krankheit geeignet ist. Erstens findet es sich fast ausschließlich in den Gehirnregionen, in denen Nervenzellen durch die Krankheit absterben. Als Biomarker würde es daher spezifisch Informationen über die Problemregionen der Krankheit liefern. Der zweite Grund ist, dass die Hirnzellen normalerweise sehr viel PDE10 herstellen, durch die Krankheit aber immer weniger herstellen. Und das lange bevor sie absterben. Daher würde ein PDE10-Biomarker Informationen über Nervenzellen liefern, die zwar bereits krank, aber noch nicht gestorben sind.
Zusammen würden diese zwei Informationen PDE10 das Potential für einen mächtigen Biomarker liefern, der es erlaubt, den Gesundheitszustand von gefährdeten Nervenzellen während der Huntington-Krankheit zu überwachen - und zwar bevor sich die äußeren Symptome entwickeln.
Leuchte auf, kleiner Biomarker, leuchte auf
Mit dieser Idee im Hinterkopf haben Wissenschaftler bei Pfizer einen PDE10-Biomarker erzeugt, um die frühen Veränderungen im Gehirn von Huntington-Patienten zu verfolgen.
Kurz zusammengefasst ist der neue Biomarker eine wählerische und klebrige Substanz, die sich eng an PDE10 anheftet, aber an keine anderen Proteine des Körpers. Wichtig ist, dass diese Substanz kleine leuchtende Teile hat. Auch wenn sie klein sind, sind diese leuchtenden Anhänge extrem wichtig: Dadurch können Wissenschaftler eine spezielle Kamera benutzen, um die Substanz zu verfolgen, wo immer sie auch hingeht. Die Substanz selbst hat keine Nebenwirkungen, so dass Forscher sie Patienten mit der Huntington-Krankheit geben können, um dann zu verfolgen, wo im Inneren des menschlichen Körpers sie sich befindet.
Viele der neuen Biomarker enden gebunden an PDE10 in den Nervenzellen, was bedeutet, dass es sich genau in den Hirnregionen anhäuft, die wir bei der Huntington-Krankheit beobachten wollen. In diesen Hirnregionen leuchten gesunde Zellen (mit viel PDE10) heller als kranke Zellen (mit weniger PDE10), die vom Tode bedroht sind. Durch das Messen der Helligkeit des leuchtenden Biomarkers mit einer speziellen Kamera können Wissenschaftler also den Gesundheitszustand der gefährdeten Zellen zeitlich verfolgen.
Der Praxistest
Die Pfizer-Wissenschaftler haben ihr neues Werkzeug einem praktischen Test unterzogen, der im Journal des Amerikanischen Medizinischen Verbandes veröffentlicht wurde.
In ihrer Studie nahmen die Forscher Bilder von gefährdeten Hirnregionen auf, die durch ihren Biomarker aufleuchteten und haben dann genau verglichen, ob sie Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne der Huntington-Krankheit fanden. Zu beachten ist, dass sie Huntington-Patienten betrachteten, die in einem sehr frühen Stadium der Krankheit waren und die entweder nur milde oder überhaupt keine Symptome zeigten.
Als die Wissenschaftler ihre Bilder betrachteten, sahen sie, dass die Hirnregionen der beiden Gruppen in der Tat sehr unterschiedlich aussahen - auch wenn es bei den äußeren Symptomen keine Unterschiede gab. Genauer gesagt, leuchtete der PDE10-Biomarker in wichtigen Hirnregionen bei gesunden Probanden heller auf als bei Patienten mit der Huntington-Krankheit. Auch war das Leuchten in Patienten mit keinen äußeren Symptomen heller als bei Patienten, die bereits milde Symptome zeigten.
Es gab also eine starke Korrelation zwischen der Helligkeit des PDE10-Biomarkers und dem Status der Huntington-Krankheit. Diese Beziehung war viel stärker als bei allen bisher existierenden Biomarkern.
Basierend auf diesen Ergebnissen glauben die Forscher, dass ihr neuer Biomarker sensitiv genug ist, um die frühen Veränderungen im Gehirn von Huntington-Patienten sichtbar zu machen.
Wie hilft uns das?
Der PDE10-Biomarker könnte ein wirklich tolles Werkzeug für die Huntington-Gemeinschaft werden, weil er eine einfache und genaue Möglichkeit bietet, die Hirnveränderungen im frühen Krankheitsverlauf zu beobachten. Dies wiederum ermöglicht es viel besser zu beurteilen, ob eine mögliche Behandlung auch anschlägt, so dass klinische Studien beschleunigt werden können. Auch wenn der Biomarker selbst keine Behandlung darstellt, könnte er die Suche nach neuen Therapien dennoch direkt verbessern und beschleunigen.
Weiterhin könnte dieser Biomarker auch Medizinern erlauben vorherzusagen, wann ein Patient, der bisher symptomfrei ist, Symptome entwickeln wird. Diese Vorhersage ist unschätzbar wichtig für klinische Studien (wo es wichtig ist zu wissen, in welcher Krankheitsphase sich die Patienten genau befinden) und auch für Patienten, die im Schatten der sich abzeichnenden Krankheit leben.
Unterm Strich
Es ist ermutigend zu sehen, dass eine große, finanziell gut ausgestattete pharmazeutische Firma in effektive und effiziente klinische Studien für die Huntington-Krankheit investiert. Auch wenn die Pfizer-Wissenschaftler die Sensitivität ihres neuen Biomarkers noch in weiteren Studien bestätigen müssen, sind die möglichen Vorteile dieses neuen Biomarkers für die Entwicklung von neuen Therapien eindeutig. Ganz pauschal wird die Entwicklung und Validierung von guten Biomarkern die Entwicklung von effektiven Behandlungen beschleunigen.