Den Verlauf der Huntington Krankheit erhellen
Forscher verwenden Mäuse mit leuchtenden Gehirnzellen um die ersten Schritte der Neurodegeneration zu entschlüsseln
Von Dr Tamara Maiuri 11. September 2014 Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Martin Oehmen Ursprünglich veröffentlicht am 25. Juni 2014
Der Verlauf der Huntington Krankheit (HK) ist ein langwieriger Prozess, bei dem die ersten Veränderungen im Gehirn stattfinden, lange bevor wir erste Symptome bei Patienten sehen. Es ist sinnvoll den Fokus einer Behandlung auf diese ersten Veränderungen zu legen, um die Erkrankung im Keim zu ersticken. Aber wie sehen diese Veränderungen aus und wie können wir sie behandeln? Eine kürzlich veröffentlichte Studie hat buchstäblich Licht auf diese Frage geworfen. Dies gelang Forschern der Universität der Nottingham Medical School und des Babraham Institutes in GB, indem sie HK Mäuse mit leuchtenden Gehirnzellen erschufen. Sie fanden heraus, dass einige der frühesten Veränderungen auftraten, lange bevor Zellen abstarben, in einer Region des Gehirns, an die die HK Forscher bisher keinen Gedanken verschwendet hatten.
Nutze die Magie des farbigen Lichtes
Bei den in Frage kommenden Mäusen leuchtete ein kleiner prozentualer Anteil der Gehirnzellen, die sogenannten Neurone, und dies aus gutem Grund. Neurone können als winzige Informations-Prozessoren angesehen werden. Sie empfangen eingehende Signale durch Strukturen, die “Dendriten” genannt werden und verarbeiten diese im Zellkörper, dem sogenannten “Soma”. Das ausgehende Signal wird entlang eines dünnen Kabels gesendet, das “Axon”.
Die Information wird zu den Dendriten des nächsten Neurons in der Schaltung geleitet, um Nachrichten über ein unvorstellbar komplexes Netzwerk hinweg zu verteilen - Nachrichten, die all unsere Gedanken, Aktionen und Körperfunktionen koordinieren. Diese Komplexität bedingt, dass die Neurone dicht gepackt zwischen verschiedenen anderen Zellen und Geweben des Gehirns liegen. Indem nur ein kleiner Teil der Neurone erhellt wurde und der Rest dunkel blieb, konnte sich ein klares Bild abzeichnen.
Neurone direkt im Gehirn zu untersuchen erweist sich als schwierig, da ihre “Ausgangsleitung”, oder auch Axon, sehr lang sein kann. Die Neurone, die beispielsweise die Bewegungen deines Körpers steuern, haben ihren Zellkörper im Kortex, senden ihre Axone jedoch bis hinunter zum Rückenmark. Das ist eine sehr weite Strecke für eine winzige Zelle.
Eine komplette Zelle zu erleuchten ermöglicht es den Forschern, den Verlauf eines individuellen Neurons zu verfolgen; von seinen dendritischen Eingängen, über den Zellkörper, bis hin zum Zielpunkt des Axons in einer gänzlich anderen Hirnregion. Auf diese Weise können sie untersuchen, ob Veränderungen des Axons mit weiteren Veränderungen in anderen Segmenten der selben Gehirnzelle im Zusammenhang stehen. Die ersten Veränderungen, welche die HK hervorruft, könnten besser verstanden werden, wenn bekannt wäre welche Segmente des Neurons zuerst betroffen sind.
Die Neurone von zwei verschiedenen HK Mausmodellen wurden auf folgende Weise zum Leuchten gebracht: ein “transgenes” Mausmodell und ein “knock-in” Modell. Das transgene Mausmodell wurde derart verändert, dass es einen kleinen Teil des mutierten HK Gens trägt. Das knock-in Modell hingegen trägt, durch ein sogenanntes “knock-in Verfahren”, die HK verursachende Expansion in seinem eigenen gesunden Huntingtin Gen.
Der Hauptunterschied zwischen beiden Modellen liegt darin, wie schnell und ernsthaft die Mäuse erkranken. Das transgene Modell schreitet sehr viel schneller voran, es zeigt bereits nach 12 Wochen Symptome (im Gegensatz zu 12 Monaten). Dies kann von Vorteil sein, zum Beispiel um schneller Antworten auf potentielle Wirkstoffe zu erhalten. Das knock-in Modell erkrankt sehr viel langsamer und zeigt weniger starke Symptome, welche dadurch schwieriger zu erfassen sein können. Es ähnelt jedoch mehr dem Verlauf in HK Patienten, so dass es das genauere Modell ist. In der Wissenschaft gibt es oft einen Kompromiss zwischen Genauigkeit und Schnelligkeit, wie bei diesen beiden Mausmodellen.
Beulen in der Leitung
„Wir müssen uns Gedanken darüber machen, welcher Teil der Zelle erkrankt, bevor wir an eine Behandlung denken können “
Die HK ist eine Erkrankung des Gehirns. Die Probleme, welche sie verursacht, verteilen sich jedoch nicht gleichmäßig über das Gehirn. Zellen in bestimmten Gehirnregionen erkranken und sterben früher als andere. Eine kleine Region, die tief im Gehirn liegt und “Striatum” genannt wird, ist der verwundbarste Teil des Gehirns bei der HK. Dieser verschwindet fast vollständig während des Krankheitsverlaufs.
Um diese Gehirnregion in HK Mäusen zu untersuchen, vergleichen die Wissenschaftler die leuchtenden Neurone beider Modelle zu ihrem jeweiligen frühen und späten Stadium der Krankheit. In den transgenen Mäusen waren die Neurone des Striatums überraschenderweise normal und gesund, obwohl die Mäuse eine Reihe an Symptomen zeigten. Dies legt nahe, dass auch andere Faktoren, neben Fehlfunktionen und Absterben von Zellen des Striatums, die HK ähnlichen Symptome in diesen Mäusen hervorrufen.
Im knock-in Modell zeigten die Mäuse in der frühen Phase der Erkrankung normal und gesund aussehende Gehirnzellen im Striatum. Die Mäuse in der späten Phase zeigten Regionen mit beulenartigen Anschwellungen an ihren Axonen. Zur Erinnerung: Axone sind die Ausgangsleitung der Neurone, sie tragen ihre Nachrichten weiter zu anderen Zellen im Gehirn.
Ein Anschwellen der Axone geschieht während des natürlichen Alterungsprozesses und in manchen Erkrankungen des Gehirns. Bei den knock-in HK Mäusen trat es jedoch früher und häufiger auf. Das zugehörige Soma (Zellkörper) und die zugehörigen Dendriten des jeweiligen Axons, sahen jedoch normal aus. Das ist sehr interessant, da es nahelegt, dass in diesem Mausmodell die ersten Veränderungen an den Axonen auftreten.
Wenn wir davon ausgehen, dass der milde Krankheitsverlauf in diesem Mausmodell einen frühen Zustand dessen darstellt, was in einem HK Gehirn geschieht, könnten uns diese Ergebnisse dabei helfen, unseren Fokus auf die richtige Region des Neurons zu lenken, insbesondere das Axon. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass es bei der HK zu Problemen im Axon kommt. Diese Probleme zu untersuchen und zu verstehen, scheint somit ein lohnenswertes Ziel zu sein.
Die Wissenschaftler gaben sich jedoch nicht damit zufrieden, ausschließlich Veränderungen im Striatum zu untersuchen. Sie schauten sich viele Regionen des Gehirns an, in der Hoffnung noch weitere frühzeitige Veränderungen durch die HK aufzudecken. Überraschenderweise lag die Region mit den meisten Anschwellungen an Axonen nicht in sondern nahe dem Striatum, sie trägt den Namen Stria terminalis. Diese Region spielt bei Angst bezogenem Verhalten eine große Rolle.
Die Axone der Stria terminalis zeigten schon im frühen Stadium der Erkrankung ein Anschwellen, im späten Stadium verstärkte sich der Effekt noch. Auch hier konnte jedes Axon zu seinem Soma zurück verfolgt werden. Die Zellkörper lagen wiederum in einer anderen Gehirnregion, der Amygdala, waren jedoch gesund. Diese Region scheint somit ebenfalls weitere Studien zur HK wert zu sein.
Vorbeugung ist besser als Heilung
Wir werden niemals müde darauf hin zu weisen, dass selbst genetisch veränderte Mäuse keine HK Patienten sind. Kein Mausmodell wird uns jemals alles zeigen, was in einem HK Gehirn geschieht. Die Ergebnisse dieser Studie machen jedoch deutlich, dass in einem HK nahen Mausmodell die Axone Anzeichen von Degeneration zeigen, bevor andere Regionen der Nervenzellen betroffen sind. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, welcher Teil der Zelle erkrankt, bevor wir an eine Behandlung denken können. Die knock-in Mäuse haben ihre Grenzen, sie eignen sich jedoch hervorragend, um die Degeneration von Axonen im Verlauf der Huntington Krankheit zu untersuchen.
Diese Arbeit zeigt uns weiterhin, dass das Striatum vielleicht nicht die erste Gehirnregion ist, die von der HK beeinträchtigt wird. Wir können uns jedoch nicht sicher sein, da nicht alle Neurone des Striatums markiert und zum Leuchten gebracht wurden. Wir kennen nun aber eine neue Gehirnregion, die es zu erforschen gilt. Sollte sich heraus stellen, dass hier die zelluläre Degeneration beginnt, wäre ein lohnenswertes Ziel für neue Therapieansätze gefunden, um Schäden am Gehirn zu verhindern, bevor sie auftreten.