Von Melissa Christianson Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Annika Zeller

Es ist so als würde das Gärtnern schief gehen: Wissenschaftler können laborgezüchtete Gehirnzellen mit dem Huntington-Protein besprenkeln und dadurch klebrige, potentiell schadhafte Proteinklumpen innerhalb der Zellen wachsen lassen. Neue Forschungsergebnisse ergaben, dass das menschliche Hirnwasser sich ähnlich verhält, und könnten uns deshalb bei der Überwachung der Huntington Krankheit helfen.

Die Huntington Krankheit wird durch eine genetische Mutation verursacht, die das Huntington-Protein extra lang werden lässt. Ebenso wie sich ein extra langer Gartenschlauch schwieriger aufwickeln lässt als eine kürzere Variante, ist das extra lange Huntington-Protein schwieriger zu falten als seine normale Version.

Die zusätzlichen Schwierigkeiten beim Falten des extra-langen Huntington-Proteins verursachen dem Gehirn Probleme, denn fehlgefaltete Proteine innerhalb der Gehirnzellen enden in klebrigen Klumpen, die die Gehirnzellen krank machen können. Demnach können bei der Huntington Krankheit die Gehirnzellen gefährdet sein, die klebrige Proteinklumpen entwickeln.

Der Prozess, Proteinklumpen in Gehirnzellen von der Außenseite aus wachsen zu lassen wird "Seeding" genannt.
Der Prozess, Proteinklumpen in Gehirnzellen von der Außenseite aus wachsen zu lassen wird “Seeding” genannt.
Quelle: freeimages.com

Schlechte Saat

Wissenschaftler, die das Wachstum dieser klebrigen Klumpen im Labor erforschen, haben kürzlich eine faszinierende Entdeckung gemacht.

Wenn man die in Petrischalen gezüchtete Gehirnzellen auf der Außenseite mit fehlgefaltetem Huntington-Protein besprenkelt, erscheinen klebrige Proteinklumpen im Inneren dieser Zelle. Aufgrund der Parallelen zur Gartenarbeit, welche Sie vielleicht in Ihrem eigenen Garten ausüben, nennen Wissenschaftler diesen Wachstumsprozess der klebrigen Klumpen auch “Seeding” (dt.: säen).

Es gibt zwei generelle Wege, wie Seeding bei laborgezüchteten Gehirnzellen funktionieren könnte. Zum einen könnten Proteinklumpen tatsächlich von außen in die Gehirnzellen eindringen, ähnlich wie die Wurzeln vom Nachbarsgarten, die in den eigenen eindringen können. Zum anderen könnten die Proteinklumpen außerhalb der Gehirnzellen diese veranlassen sich so zu verändern, dass sie selbst neue Klumpen in ihrem Inneren wachsen lassen, ähnlich wie wenn Sie Ihre gründliche Gartenpflege so ändern, wie die des Nachbarn, der seinen Rasen nicht so gründlich pflegt und dadurch Wurzeln. Egal mit welcher Methode - oder sogar mit beiden gleichzeitig - könnte ein Beitrag dazu geleistet werden, wie klebrige Proteinklumpen im Labor wachsen.

Obwohl wir wissen, dass Seeding in Forschungslaboren funktioniert, bleibt es dennoch ein Geheimnis, ob dies auch bei Menschen mit der Huntington Krankheit funktioniert - oder ob es stattdessen nur ein netter Labortrick ist.

Eine weitere Verwendungsart für Hirnwasser

Um diese Frage zu beantworten, testeten Forscher der University of California Irvine, ob das Seeding auch unter realen Bedingungen, also mit menschlichem “Hirnwasser”, auftritt.

“Hirnwasser”, auch bekannt als Cerebrospinalflüssigkeit oder Liquor, ist eine klare Flüssigkeit, die das Gehirn umschließt und es vor Verletzungen schützt. Liquor ist für eine Reihe von nützlichen Vorgängen im Gehirn zuständig, wie dem Abbau von Toxinen und Abfallprodukten.

Die Funktion Abfallprodukte abbauen zu können, macht Liquor zu einem guten Indikator dafür, was im Gehirn vor sich geht. Als Analogie: denken Sie daran, was man alles über Sie lernen könnte, indem man Ihren Abfall durchsucht - man könnte herausfinden was Sie essen, wo Sie einkaufen und eventuell sogar Ihre Kreditkarten- und Bankinformationen, nur anhand Ihres Abfalls. In gleicher Weise hilft es uns, einen genaueren Blick auf den Liquor zu werfen, um einen kleinen Einblick in das zu bekommen, was im Gehirn vor sich geht.

Menschlicher Liquor kann das Wachstum klebriger Klumpen anregen - und Liquor von Personen mit der Huntington Krankheit regt dies viel leichter an, als der von Personen ohne Huntington-Mutation.

Der Liquor gewährt uns einen Blick auf das Huntington–Protein. Auch wenn man das Huntington-Protein normalerweise innerhalb von Gehirnzellen findet, wissen wir von einer wirklich guten Arbeit, dass es auch im Liquor vorkommt. Das macht Sinn, da eine der wichtigsten Aufgaben des Liquors der Abbau von Toxinen (wie z.B. den fehlgefalteten Proteinen) im Gehirn ist.

Dennoch, falls die fehlgefalteten Huntington-Proteine das Seeding auslösen können, könnte diese „Aufräumaufgabe“ sogar gesunde Gehirnzellen in Gefahr bringen, indem der Liquor fehlgefaltete Huntington-Proteine mitführt und aus dem Gehirn schleust.

Was hat man herausgefunden?

Um herauszufinden, ob das wirklich der Fall ist, sprenkelten Wissenschaftler, angeleitet durch Steven Potkin der University of California Irvine, menschlichen Liquor auf in Petrischalen gezüchtete Gehirnzellen, um zu überprüfen, ob dadurch klebrige Proteinklumpen innerhalb der Gehirnzellen wachsen.

Sie testeten drei Hauptvarianten des Liquor: Liquor von Personen mit symptomatischer Huntington Krankheit (der fehlgefaltetes Huntington-Protein enthält), Liquor von Personen ohne Huntington Krankheit (der keine fehlgefalteten Huntington-Proteine enthält) und Liquor von Personen mit einer Huntington Mutation, die noch nicht symptomatisch sind (dieser liegt vermutlich irgendwo zwischen den beiden).

Die Forscher fanden heraus, dass der Liquor von Personen mit der Huntington Krankheit das Wachstum der Proteinklumpen viel leichter entfacht hat, als der Liquor von Personen ohne Huntington. Des Weiteren verursachte der Liquor von Personen mit symptomatischer Huntington Krankheit eher ein Wachstum, als der Liquor von Personen mit asymptomatischer HK.

Jedoch kann der menschliche Liquor Seeding hervorrufen, wie einfach das Seeding sich abspielt, könnte mit der Schwere der Huntington Symptome zusammenhängen.

Was dies bedeutet

Warum sollten wir uns um diese Seeds (die Proteinpartikel, die das Seeding auslösen) und Klumpen kümmern - die lediglich in einer Petrischale und nicht beim Menschen vorkommen?

Auch wenn diese Forschung wirklich interessant und gut gemacht ist, gibt es  - wie immer - ein paar unbeantwortete Fragen, an wir uns erinnern sollten,  wenn es darum geht die ultimative Auswirkung dieser Arbeit auf die Huntington Community abzuwägen.
Auch wenn diese Forschung wirklich interessant und gut gemacht ist, gibt es - wie immer - ein paar unbeantwortete Fragen, an wir uns erinnern sollten, wenn es darum geht die ultimative Auswirkung dieser Arbeit auf die Huntington Community abzuwägen.
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Zum einen könnte uns das Seeding einen neuen Weg ermöglichen, den Huntington-Protein-Spiegel zu messen und darüber hinaus das Voranschreiten der Krankheit über die Zeit zu bestimmen. Es ist sehr wichtig den Krankheitsfortschritt zu bestimmen, da man daran festmachen könnte, ob die in klinischen Studien getesteten Behandlungen bei der HK wirksam sind. Historisch gesehen waren jahrelange Beobachtungen für solch eine Nachverfolgung notwendig und es ist eine recht ungenaue Wissenschaft, da die klinische Huntington Krankheit von Person zu Person stark variiert. Das Voranschreiten der Krankheit durch Seeding zu messen, könnte uns eine genauere oder einheitlichere - oder zumindest schnellere - Methode bieten, um die Veränderungen zu überwachen, welche während der Krankheit auftreten.

Allerdings gibt es immer noch eine Menge Arbeit, bevor eine auf Seeding basierende Methode zur Überwachung von Krankheiten entwickelt werden kann. Eine wichtige frühzeitige Frage, die die Wissenschaftler beantworten müssen, ist, können Dinge, die bei Mäusen mit der Huntington Krankheit Verbesserungen hervorrufen, überhaupt das Wachstum der Proteinklumpen beeinflussen, das durch Mäuseliquor angeregt werden kann? Falls das der Fall ist, könnten wir im Geschäft sein!

Zum anderen könnten diese Experimente die Suche nach neuen Huntington Medikamenten beeinflussen. Normalerweise nehmen wir an, dass das Huntington-Protein Schlechtes innerhalb der Gehirnzellen bewirkt. Jedoch beleuchten die Seeding Experimente auch Huntington-Proteine im Liquor - welcher außerhalb der Gehirnzellen ist. Deswegen soll diese Arbeit als eine Erinnerung dienen, dass Huntington Therapien eventuell das Protein an beiden Stellen blockieren sollten.

Ein paar weitere Fragen

Auch wenn die Forschung, über die wir gerade sprechen, wirklich interessant und gut gemacht ist, gibt es - wie immer - ein paar unbeantwortete Fragen, an die wir uns erinnern sollten, wenn es darum geht, die ultimative Auswirkung dieser Arbeit auf die Huntington Community abzuwägen.

Erstens wussten wir schon, dass das Huntington-Protein im Liquor vorkommt und wir konnten auch schon messen, wieviel davon vorhanden ist. Warum also benötigt man Seeding überhaupt, um die Huntington Krankheit zu überwachen? Das ist eine schwierige Frage, solange wir noch keine auf Seeding basierende Methode zur Überwachung der Huntington Krankheit tatsächlich getestet haben. Nichtsdestotrotz ist es durchaus möglich, dass uns das Seeding, welches das Huntington-Protein “in Aktion” betrachtet, mehr oder andere Informationen gibt, als wir bisher erhalten haben. Im Allgemeinen ist es besser eine Erkrankung zu erforschen, wenn man mehr Informationen hat. Zweitens, auch wenn wir mit dem Seeding eine neue Methode haben, die Huntington Krankheit zu verfolgen, könnte eine Seeding basierte Methode wirklich sensibel genug sein, um damit herauszufinden, wie sich die Huntington Krankheit mit der Zeit oder durch eine Behandlung verändert? Das Experiment, über das wir gerade sprechen, beabsichtigte nicht diese Frage zu beantworten, deswegen ist es schwer zu sagen, ob das, was die Wissenschaftler im Labor beobachtet haben, auch in eine aussagekräftige Untersuchung am Menschen übertragen werden kann. Forscher arbeiten ohne Zweifel schon tatkräftig daran, dies herauszufinden.

Die Quintessenz

Auch wenn einige wichtige Fragen unbeantwortet bleiben - und es eine Menge Arbeit in Zukunft zu tun gibt - sind diese neuen Ergebnisse interessant und relevant für die Huntington Community. Sie geben uns Auskunft darüber, für was das Huntington-Protein zuständig sein könnte und wie es das tun könnte, außerdem legen sie den Grundstein für zukünftige Forschungen, um die Art und Weise zu verbessern, wie wir Behandlungen entwickeln oder verfolgen. Und wie jeder gute Gärtner müssen wir der Saat Zeit geben, um wachsen zu können.

Die Autoren haben keinen Interessenkonflikt offenzulegen. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...