Von Joseph Ochaba Bearbeitet von Dr Jeff Carroll Übersetzt von Michaela Winkelmann

Eine aktuelle Schlagzeile der Society for Neuroscience (SfN) beschreibt die Arbeit von Stanford-Forschern mit einem Medikament, das die “Veränderungen im Gehirn und die motorischen Defizite im Zusammenhang mit der Huntington-Krankheit reduziert”. Das Medikament wirkt durch die Nachahmung einer Chemikalie namens “BDNF”, die wie Dünger für das Gehirn agiert und eine wichtige Funktion hat, um die Gehirnzellen gesund zu halten. Während dieses neue Medikament einige Symptome der Huntington-Krankheit bei einer Maus verbessert hat, ist es von der Klinik weit entfernt. Was genau wurde gefunden?

Worum handelt es sich bei dem ganzen Hype eigentlich?

Wissenschaftler wissen, dass die Symptome der Huntington-Krankheit durch eine genetische Mutation verursacht werden, die die Form eines Proteins verändert, das sie verwirrender Weise Huntingtin nennen. Veränderungen in der Form des Huntingtin-Proteins scheinen es giftig und auch weniger effektiv darin zu machen, seine normale Arbeit in der Zelle zu erledigen.

Neurotrophische Faktoren wie BDNF wirken als wachstumsfördernde Düngemittel im Gehirn.
Neurotrophische Faktoren wie BDNF wirken als wachstumsfördernde Düngemittel im Gehirn.

Man weiß seit über einem Jahrzehnt, dass eine der normalen Aufgaben des Huntingtin-Proteins ist, den Zellen zu helfen, mehr von einem kritischen Nährstoff für das Gehirn namens Brain Derived Neurotrophic Factor oder BDNF herzustellen. Wenn das Huntingtin-Protein mutiert ist, ist eine der Folgen, dass das Gehirn ein geringeres Niveau an BDNF hat - in der Tat glauben einige Wissenschaftler, dass dieses niedrige BDNF-Niveau und dessen Auswirkungen über einen Rezeptor bekannt als TrkB (wir werden später dazu kommen) zur Entwicklung der Huntington-Symptome beitragen.

Dünger für das Gehirn

BDNF ist das, was Wissenschaftler einen neurotrophischen Faktor nennen, eine Chemikalie (eigentlich ein Protein - für die Streber!), die den Gehirnzellen hilft, schneller zu wachsen und stärkere Verbindungen zu entwickeln. Diese neurotrophischen Faktoren sind im Wesentlichen der “Seramis”-Dünger des Gehirns.

Ein interessantes Merkmal von BDNF ist insbesondere, dass es von den Zellen in der Rinde (der komplizierte und faltige, äußere Teil des Gehirns) hergestellt wird, es wird den Zellen im Striatum (einem tiefen inneren Bereich des Gehirns) ausgeliefert. Weil das Striatum bei der Huntington-Krankheit der am stärksten betroffene Teil des Gehirns ist, ist dieser Prozess der Zellen sich untereinander mit der BDNF-Lieferung zu unterstützen ein attraktives Verfahren, um bei der Huntington-Krankheit studiert zu werden.

In der Tat haben über die Jahre mehrere frühere Studien an Mäusen verschiedene Tricks verwendet, damit das Gehirn mehr BDNF herstellt und dies hat Vorteile für einige Symptome erwiesen. Das macht Sinn - Huntington-Patienten und Modellmäuse haben ein niedriges BDNF-Niveau, dies zu ändern könnte also ihren Gehirnzellen helfen, länger gesund zu bleiben.

Die Zustellung von BDNF an das Gehirn ist im Labor einfach, aber in der Klinik wirklich schwierig.

Grundsätzlich verbessert BDNF die Funktion von Gehirnzellen namens Neuronen und fördert sogar, dass neue Neuronen wachsen und schützt bestehende vor Stress und Tod. Wenn man BDNF auf Neuronen in einer Petrischale gibt, verursacht es, dass die Neuronen keimen und die Zweige wachsen, die für das Lernen und die Kommunikation zwischen den Gehirnzellen erforderlich sind, wie eine wohl-ernährte Pflanze.

Die Zustellung von BDNF an das Gehirn ist im Labor einfach, aber in der Klinik wirklich schwierig. Ein winziges Mäusegehirn ist recht einfach mit der sperrigen Chemikalie vollzupumpen, aber diese an große menschliche Gehirne auszuliefern, ist viel schwieriger. Dies hat Wissenschaftler ein wenig aufgeschmissen zurückgelasssen - mehr BDNF an das Gehirn zu bekommen würde der Huntington-Krankheit wahrscheinlich helfen, aber bisher hatten sie nicht die Werkzeuge, um es auszuliefern.

Das richtige Schloss öffnen

Chemikalien wie BDNF begeben sich nicht nur in die Gehirnzellen hinein, sie wirken wie Schlüssel, die versuchen, die richtigen Schlösser außerhalb der Zelle zu finden, um sie zu öffnen. Während jede Zelle in der Tat tausende von Schlössern hat, die aus ihr herausstehen, können nur bestimmte beim richtigen Schlüssel passen. Eine Chemikalie wie BDNF öffnet nur bestimmte Schlösser, wenn sie in der richtigen Art und Weise hineinpasst.

Eines der großen Probleme mit der Zustellung von BDNF direkt in das Gehirn ist, dass es mindestens zwei verschiedene Schlösser hat, von denen man weiß, die es öffnen kann. Diese verschiedenen Schlösser (von Wissenschaftlern Rezeptoren genannt, die aus Protein hergestellt werden) werden TrkB (ausgesprochen “Träck-bieh”) und p75 bezeichnet. Jeder Rezeptor ist wie ein Schloss, das Türen zu unterschiedlichen Prozessen in der Zelle öffnet.

Nachdem BDNF an der Oberfläche einer Zelle eintrifft, kann es nur Auswirkungen haben, wenn es an dem entsprechenden Rezeptor empfangen wird. Es funktioniert ziemlich ähnlich wie ein Schlüssel, der in ein Schloss passt.
Nachdem BDNF an der Oberfläche einer Zelle eintrifft, kann es nur Auswirkungen haben, wenn es an dem entsprechenden Rezeptor empfangen wird. Es funktioniert ziemlich ähnlich wie ein Schlüssel, der in ein Schloss passt.

Je nachdem mit welchem Schloss BDNF interagiert, kann es ganz unterschiedliche Türen öffnen und entgegengesetzte Effekte in der Zelle haben! Wenn BDNF zum Beispiel das TrkB-Schloss öffnet, aktiviert es ein Signal in der Zelle, das einen Prozess von Zelltod hemmt. Das ist eine Freudenbotschaft für die Zelle!

Wenn BDNF allerdings das p75-Schloss öffnet, öffnet es die Tür und aktiviert ein Protein namens JNK (sprich: “Tschank”), das wiederum die Nachricht weiterleitet, die Zelle zu töten. Keine Freudenbotschaft!

Ein chemisches Signal (BDNF) verursacht also zwei völlig entgegensätzliche Nachrichten innerhalb der Zelle. Dies bedeutet, dass das Gleichgewicht zwischen dem Öffnen der Schlösser TrkB und p75 wirklich wichtig ist. In der Tat scheinen Zellen mit der Huntington-Mutation zu viele geöffnete p75- und zu wenige TrkB-Schlösser zu haben, ein Ungleichgewicht, das helfen könnte, zum frühen Zelltod im Huntington-Gehirn beizutragen.

Wegen des BDNF-Mangels und der veränderten Schlösserlandschaft in den Huntington-Gehirnzellen haben die Wissenschaftler nach einem Medikament gesucht, um die TrkB-Tür öffnen zu können, ohne auch das p75-Schloss zu öffnen. Das wäre ein netter Trick und könnte auch zu einer kleineren Chemikalie führen, die leichter in das Gehirn zu bekommen ist.

Ist man auf dem richtigen Trk?

Die Huntington-Mäuse, denen LM22A-4 gegeben wurde, verbesserten sich bei mehreren motorischen Aufgaben, die Forscher nutzen, um nach den Huntington-Bewegungsproblemen bei Tieren zu suchen

In einer aktuellen Studie untersuchten die Wissenschaftler unter der Leitung des Huntington-Forschers Dr. Frank Longo in Stanford, Kalifornien, die Möglichkeiten, um die Aktivität des TrkB-Rezeptors bei zwei verschiedenen Arten von Huntington-Mäusen zu steigern. Speziell testete Longo‘s Forschungsgruppe die Auswirkungen eines Medikamentes namens LM22A-4, das den Trk-Rezeptor auf den Nervenzellen ohne die Aktivierung des p75-Rezeptors aktiviert.

Die Forscher fanden heraus, dass LM22A-4 das Gehirn erreichte (eine großartige Leistung für viele Medikamentenstudien!) und auch das Ungleichgewicht der zu vielen p75-Rezeptoren und die Unterfunktion der TrkB-Rezeptoren korrigierte. Die Behandlung von Mäusen mit LM22A-4 verstärkte die TrkB-Aktivität und führte auch zu einigen Verbesserungen der Huntington-Symptome in den Gehirnen der behandelten Mäuse.

Insbesondere wurden die Klumpen von mutiertem Huntingtin-Protein bei den mit LM22A-4-behandelten Mäusen reduziert, die sich in der Regel bei der Huntington-Krankheit im Gehirn aufbauen. Das Medikament reduzierte die Entzündungen und verhinderte den Verlust der strukturellen Zweige, die auf den Zellen im Striatum gefunden werden, die bei der Huntington-Krankheit betroffen sind.

Außerdem verbesserten sich die Huntington-Mäuse, denen LM22A-4 gegeben wurde, bei mehreren motorischen Aufgaben, die Forscher nutzen, um nach den Huntington-Bewegungsproblemen bei Tieren zu suchen. Sie fanden heraus, dass Mäuse, denen das Medikament gegeben wurde, schneller eine senkrechte Stange herunterlaufen konnten und stärkeren Griff bei der Übergabe von einem Kabel zeigten. Allerdings schien das Medikament keine Wirkung darauf zu haben, wie gut die Tiere auf einem rotierenden Stab laufen (man stellt sich einen Holzfäller vor, der versucht, sich auf einem drehenden Baumstamm oben zu halten) oder auf die Überlebenszeiten der Maus.

Extra! Extra!

In Zukunft könnte ein Medikament, das wie LM22A-4 funktioniert, in der Lage sein, das BDNF-Niveau im Gehirn nach dem Schlucken einer Tablette anzuheben, statt auf das Gehirn gerichtete Gentherapie zu benötigen.
In Zukunft könnte ein Medikament, das wie LM22A-4 funktioniert, in der Lage sein, das BDNF-Niveau im Gehirn nach dem Schlucken einer Tablette anzuheben, statt auf das Gehirn gerichtete Gentherapie zu benötigen.

Diese Arbeit zeigt einen möglichen, verlockenden, neuen Angriffspunkt für Huntington-Behandlungen und unterstreicht die Bedeutung des Studiums von BDNF und seiner Partner bei der Huntington-Krankheit. Wie leider üblich konzentriert sich die Presseschlagzeile, die herausgegeben wurde, um diese Arbeit zu verkünden, auf die positiven Ergebnisse der Studie und ignoriert einige der weniger spannenden.

Zum Beispiel ist ein wichtiges Ergebnis, dass die Pressemitteilung nicht erwähnt, dass das Präparat die verkürzte Lebensdauer der Maus nicht verlängerte. Wir hoffen alle, dass eine wirksame Behandlung der Huntington-Krankheit den frühen Tod durch die Krankheit verhindern würde! Auch wurden die Mäuse vor einigen aber nicht vor allen Defiziten in der Bewegungssteuerung geschützt, die durch die Huntington-Mutation verursacht werden. In der Tat haben die Autoren in ihrem Bericht über die Studie darauf geachtet, auf diese Bedenken hinzuweisen.

Sollte man die berichteten Verbesserungen glauben, ohne sich über die Dinge Sorgen zu machen, die nicht verbessert wurden? Dies ist ohne weitere Arbeit mit Tieren unmöglich zu sagen, und im Idealfall eine Studie eines Medikamentes am Menschen, das TrkB aktiviert.

Diese Forschung liefert ein wenig Unterstützung, um LM22A-4 oder ähnliche Medikamente weiter zu studieren, als eine mögliche Behandlung für die Huntington-Krankheit. Wenn man das hohe Interesse der Wissenschaftler an BDNF bei der Huntington-Krankheit bedenkt, kann man sicher sein, dass mehr Arbeit in den Laboren auf der ganzen Welt geschieht, um diesen Ansatz zu testen und sich mit den Bedenken zu befassen, die durch dieser Studie aufgebracht wurden.

Die Autoren haben keinen Interessenkonflikt offenzulegen. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...