Ed WildVon Professor Ed Wild Übersetzt von Lisanne Mütze Bearbeitet von Dr Jeff Carroll

Eine rückwärts Botschaft, versteckt in der Sicherungs-DNA des HK-Gens … was hat das zu bedeuten?

Entpacken Sie Ihre Gene!

Sie haben vielleicht schon mal den Ausdruck ‘Doppel-Helix’ gehört, welcher unsere DNA beschreibt, welche die Gene bildet. Aber was genau bedeutet er?

Die beiden Stränge der DNA mögen es aneinander zu haften, können aber wie ein Reißverschluss aufgetrennt werden, wenn die Zelle die DNA nutzen möchte.
Die beiden Stränge der DNA mögen es aneinander zu haften, können aber wie ein Reißverschluss aufgetrennt werden, wenn die Zelle die DNA nutzen möchte.

Ein jedes Gen ist eine Anleitung zur Herstellung eines Proteins. Diese Anleitungen sind in einer Reihe von ‘Buchstaben’, welche man Basen nennt, ‘niedergeschrieben’. Jede dieser Basen ist ein kleines Molekül und diese Basen hängen an langen Strängen zusammen. Die Basen werden abgekürzt mit A, C, G und T.

Ein einzelner Strang klingt nicht wirklich nach einer Doppel-Helix - und die DNA, welche die Anweisungen für die Herstellung von Proteinen enthält, ist nur die halbe Geschichte. Die Basen in unserer DNA mögen es für gewöhnlich, sich paarweise zusammen zu finden, wie Tanzpartner - A gepaart mit T und C gepaart mit G.

Diese Paarung verleiht der DNA ihre Doppel-Helix-Struktur. Jede Base auf dem ‘Haupt-Strang’ paart sich mit ihrem Partner, und alle Partner zusammen bilden einen zweiten Strang. Die beiden Stränge umschlingen sich wie eine Wendeltreppe und bilden somit die Doppel-Helix. Der wissenschaftliche Name für den Hauptstrang ist Sinn-strang (oder kodierender Strang, da sich hier die Gensequenz befindet), der andere wird als Gegen-strang (oder auch Antisinnstrang) bezeichnet.

Aus 2 Gründen ist unsere DNA derartig angeordnet.

Zum einen erleichtert diese Struktur das Kopieren der DNA, was bei jeder Zellteilung notwendig ist: alles was die Zelle zu tun hat, ist die DNA-Doppelhelix in der Mitte aufzuspalten, so dass die Stränge sich trennen und sich Basen an die Einzelstränge anlagern können. Die Basen heften sich an ihren jeweiligen Partner, so dass zwei exakte Kopien der originalen Doppelhelix entstehen!

Zum anderen kann der ‘zusätzliche’ Gegenstrang als Sicherungskopie dienen, falls der Sinnstrang beschädigt wird. Die DNA-Reparatur-Maschinerie der Zelle kann über den Gegenstrang den beschädigten Sinnstrang wieder herstellen.

Gegenstrang-Botschaften

Der Gegenstrang hat offensichtlich seinen Nutzen. Bis vor kurzem dachte man noch, dass alle wichtigen Arbeiten der DNA durch den Sinnstrang erledigt werden. Das alles änderte sich vor ein paar Jahren, als Wissenschaftler erkannten, dass einige Gene nützliche DNA in ihren Gegensträngen versteckt haben.

Dies ist möglich, weil die beiden Stränge unserer DNA chemisch sehr ähnlich sind. Der Hauptunterschied liegt darin, dass die Maschinerie, welche die DNA abliest, nur in einer Richtung von jedem Strang entlanglaufen kann. Wie Autos, die in entgegen gesetzter Richtung auf einer Straße fahren, werden der Sinn- und Gegenstrang in entgegen gesetzten Richtungen abgelesen.

Was ist mit ‘nützlicher DNA’ gemeint? Nun, wenn eine Zelle ein Gen liest, ist das erste, was produziert wird, eine Einzelstrang-Kopie des Gens. Diese Kopie des Gens wird mittels chemischer Verbindungen, der so genannte RNA, hergestellt. Die RNA ist dem DNA-Original chemisch sehr ähnlich. Die RNA-Kopie wird von der Protein bildenden Maschinerie der Zelle verwendet. Durch die Verwendung dieser Genkopien wird das eigentliche Gen vor Dauerstress geschützt.

In der Vergangenheit dachten die Wissenschaftler, dass die RNA in Zellen hauptsächlich aus diesen Genkopien besteht, der so genannten ‘Boten’-RNA. Aber in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Zellen voll von RNA verschiedenster Typen sind - nicht nur Kopien von Genen, welche in Proteine umgewandelt werden, sondern eine verblüffende Palette von RNA in verschiedenen Größen und Modellen, mit Funktionen, die wir nicht vollständig verstehen. Einige dieser RNAs in der Zelle werden tatsächlich vom Gegenstrang hergestellt, und nicht vom Sinnstrang. In einigen genetischen Erkrankungen ist eine vom Gegenstrang abstammende Boten-RNA der Grund für eben diese.

Eine Gegenstrang-Botschaft im HK-Gen

Vor einigen Jahren haben Wissenschaftler herausgefunden, dass einige Gene nützliche DNA in ihren Gegensträngen versteckt haben.

Prof. Russell Margolis ist ein Chorea Huntington-Forscher an der Johns Hopkins Universität, dessen Interesse in Gegenstrang-Botschaften liegt. Somit entschied er sich, den Gegenstrang des Gens, welches die HK verursacht, zu betrachten. Das Gen, genannt HTT, ist die Rezeptur für das Huntingtin Protein. Bei Menschen mit der HK, oder denjenigen bei denen die Krankheit noch ausbrechen wird, hat ein Abschnitt am Anfang des Gens mehr als die übliche Anzahl an Wiederholungen einer CAG-Sequenz.

Die Gegenstrang-Sequenz für das HTT-Gen herauszufinden ist ziemlich einfach, da wir bereits die Sequenz des Sinnstranges kennen, und wir wissen, dass die Basen der DNA sich nur in einer speziellen Weise zusammenpaaren. Dort wo der Sinnstrang beispielsweise C-A-G-C-A-G-C-A-G etc. liest, muss der Gegenstrang, rückwärts gelesen und transformiert auf die entsprechenden Partnerbasen, C-T-G-C-T-G-C-T-G lauten.

Bei der Betrachtung von Hirngewebe, gespendet von verstorbenen Chorea Huntington-Patienten, suchte Margolis nach dem vorhanden sein von Gegenstrang-Informationen vom HTT-Gen. Er wurde fündig - ebenso in Gehirnen gespendet von Menschen ohne HK.

Margolis nannte die Gegenstrang (anti-sense) HTT-Information HTTAS - kurz für Huntingtin anti-sense.

Durch das Abfragen zahlreicher Computer-Datenbanken nach allen bekannten Proteinen fand Margolis heraus, dass HTTAS keine Rezeptur für irgendein bekanntes Protein darstellt. Dies bedeutet wahrscheinlich, dass die HTTAS-Botschaft zwar in den Zellen vorhanden ist, aber nicht als Vorlage für die Proteinsynthese dient. Es ist jedoch bekannt, dass Gegenstrang-Botschaften selbstständig aktiv sein können. Margolis machte sich nun daran herauszufinden, ob, und wenn ja, was das HTTAS-Botschaften-Molekül in den Zellen verrichtet.

Was bewirkt die HTTAS-Botschaft?

Obwohl die HTTAS Botschaft überraschenderweise in allen untersuchten Gehirnen nachzuweisen war, waren die Werte in den HK-Gehirnen geringer. Das deutet darauf hin, dass im HK-Gehirn etwas die Menge an HTTAS Botschaften verringert. Und je länger die CAG- Länge war, desto weniger HTTAS-Botschaften konnten nachgewiesen werden.

Läuft es vielleicht anders herum? Kann das Gegenstrang-Botenmolekül das vorwärts Ablesen des HTT-Gens beeinflussen? Es hat den Anschein, dass dies der Fall ist. Bei der Arbeit mit Zellen im Labor hat Margolis’ Gruppe einen chemischen Schalter benutzt, um die Zellen an der Produktion der HTTAS- Botschaft zu hindern. Diese Zellen produzierten mehr von dem vorwärts gelesenen Huntingtin-Protein.

Das alles schien einen Sinn zu ergeben - in Zellen mit einer verlängerten CAG-Sequenz gibt es weniger HTTAS (die Gegenstrang-Botschaft). Da HTTAS die Menge an HTT verringert, nimmt der Gehalt an HTT zu, wenn weniger HTTAS vorhanden ist.

Das Sandkorn im Getriebe

Diese Erklärung spricht für sich selbst. Aber wenn es stimmt, erwarten wir, dass in den Gehirnen von Menschen mit der HK insgesamt mehr von der HTT- Botschaft vorhanden ist. Aber so hat es sich nicht gezeigt - alle Gehirne haben etwa die gleiche Menge der HTT- Botschaft, unabhängig davon, ob ihre Besitzer an HK erkrankt waren oder nicht.

Natürlich - wie es oft der Fall ist - passiert etwas ganz anderes im Gehirn eines Patienten als das was wir im Labor gesehen haben.

Die 'Sinn' und 'Antisinn' -stränge der DNA werden von der Zelle in entgegen gesetzter Richtung gelesen. Die meisten Anleitungen zur Proteinherstellung sind im 'Sinn' -strang enthalten.
Die ‘Sinn’ und ‘Antisinn’ -stränge der DNA werden von der Zelle in entgegen gesetzter Richtung gelesen. Die meisten Anleitungen zur Proteinherstellung sind im ‘Sinn’ -strang enthalten.

Durch weitere Experimente an Zellen mit verschiedenen CAG- Längen war Margolis in der Lage zu zeigen, dass nicht nur ein Effekt von HTTAS auf das HTT-Niveau zu verzeichnen ist, sondern auch ein Effekt des HTT-Gens auf sich selbst vorhanden ist - und diese Effekte waren gegensätzlich zu den Effekten von HTTAS.

Also gibt es bei Personen mit einer erweiterten CAG-Folge im HTT-Gen weniger der HTTAS- Botschaft, daher steigt das Niveau der HTT- Botschaft. Aber zur gleichen Zeit bewirkt das erweiterte HTT-Gen einen Abfall des Niveaus seiner eigenen Botschaften.

Insgesamt heben die beiden Effekte sich gegenseitig auf, und das Niveau an HTT-Botschaften ist am Ende gleich!

Könnte die Gegenstrang-Botschaft trotzdem nützlich sein?

Das klingt nach einem komplizierten Weg zurück dahin wo wir gestartet sind. Haben diese Entdeckungen etwas enthüllt, das nützlich sein könnte?

Obwohl sich die beiden Effekte, welche Margolis nachgewiesen hat, für gewöhnlich gegenseitig aufheben, ist es theoretisch dennoch möglich, dass sie getrennt voneinander manipuliert werden könnten, um einen Nutzen zu erzielen.

Da die HTTAS-Botschaft die Menge der HTT-Botschaft verringert, könnte eine künstliche Erhöhung des HTTAS-Niveau die Produktion des schädlichen Huntingtin-Proteins reduzieren. Dies könnte einen vorteilhaften Effekt mit sich bringen, ähnlich der ‘Gen-silencing’ -Behandlungen im Tiermodell der Huntington-Krankheit.

Diese Arbeit brachte ein weiteres lohnenswertes Ziel hervor: wir können die ‘Erhöhung von Huntingtin-Gegenstrang-Botschaften’ zu unsere Liste der möglichen Wege zur Verbesserung der Gesundheit von Zellen in der Huntington-Krankheit hinzufügen.

Es handelt sich um Arbeit in einem sehr frühen Stadium, es ist unwahrscheinlich, dass sie in absehbarer Zeit zu einer Behandlungsmethode führt. Die direkteren Ansätze von Gen- Silencing, welche wir zuvor beschrieben haben, werden sicherlich zu einem früheren Zeitpunkt an menschlichen Patienten getestet werden.

Aber wenn es zur Entwicklung von Behandlungen der HK kommt ist jedes weitere Ziel hilfreich, und nun gibt es ein neues potenzielles Ziel: eine versteckte Botschaft, rückwärts geschrieben in unserer DNA.

Die Autoren haben keinen Interessenkonflikt offenzulegen. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...