Jeff CarrollVon Dr Jeff Carroll Übersetzt von Laura Emily Clemens Bearbeitet von Professor Ed Wild

Die Huntington-Mutation führt zu zahlreichen krankhaften Veränderungen in den Nervenzellen des Huntington-Patienten. Eine dieser Veränderungen ist die Bildung von Stoffen, die die Zellen schädigen. Um diese Stoffe zu entsorgen, wird ein zellulärer Recyclingprozess benötigt: die Autophagie. Nun haben Wissenschaftler sichere Wirkstoffe erkannt, die diese Recyclingprozesse, also die „Müllentsorgung“ in den Zellen von Huntington-Patienten ankurbeln.

Autophagie

Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass die Autophagie, ein zellulärer Abbau- oder Recyclingprozess bei Huntington eine Rolle spielt. Autophagie heißt wörtlich übersetzt „sich selbst aufessen". Bei der Autophagie handelt es sich um einen Vorgang, bei dem die Zellen Teile von sich selbst, die schadhaft sind, verdauen. Dadurch werden die defekten Teile der Zelle entsorgt und die Bausteine, aus denen sie aufgebaut waren, werden erneut für die Zelle verfügbar gemacht - ein effektives Recycling, dass die Gesundheit und das Wachstum der Zelle fördert.

Molekulardesign-Experimente können helfen herauszufinden, welche Teile eines Arzneimittels am wichtigsten sind.
Molekulardesign-Experimente können helfen herauszufinden, welche Teile eines Arzneimittels am wichtigsten sind.

Forscher wissen, dass es bei Huntington zur Zusammenlagerung von Huntingtin-Proteinen in den Zellen der Patienten kommt. Diese Anhäufung führt zur Ausbildung von Klumpen oder wissenschaftlich ausgedrückt Aggregaten, die man bei mikroskopischer Betrachtung in den Gehirnen von verstorbenen HD-Patienten sehen kann. Diese Aggregate sind normalerweise in Gehirnen nicht vorhanden und man hat aufgrund ihres Vorhandenseins bei Huntington-Patienten die Vermutung angestellt, dass dort möglicherweise die zellulären Recyclingprozesse beeinträchtigt sind.

Es gibt Moleküle, die zu einer Aktivierung der Autophagie führen. Sie erhöhen also die Rate, mit der defekte Teile der Zelle recycelt werden. Einige Wissenschaftler sind der Meinung, dass diese Substanzen bei Huntington nützlich sein könnten. Indem nämlich die Entsorgungsrate von Proteinen erhöht wird, kann möglicherweise das mutierte Huntingtin-Protein abgebaut werden, bevor es zu großen Schaden in der Zelle anrichtet. Die Forschungsgruppe der Universität Cambridge um David Rubinsztein hat auf diesem Gebiet die meiste Wissenschaftsarbeit geleistet. Sie konnten zeigen, dass sich Moleküle, die die Autophagie erhöhen positiv auf die Krankheitssymptome in Huntington-Tiermodellen wie zum Beispiel Mäusen, auswirken.

Allerdings handelt es sich bei den angesprochenen Molekülen um sogenannte „schmutzige Medikamente" (engl. dirty drugs). Das heißt, dass diese Medikamente eine große Bandbreite an Wirkungen erzielen und somit neben der eigentlichen Wirkung auch zu zahlreichen Nebenwirkungen führen. Tatsächlich sind in Wirklichkeit alle Medikamente „schmutzig". Es wird allerdings versucht, sie so sauber wie nur möglich zu machen, um Nebenwirkungen gering zu halten.

Ein Beispiel für ein schmutziges Medikament ist Rapamycin, das Arzneimittel, das am häufigsten von Wissenschaftlern zur Anregung der Autophagie eingesetzt wird. Es führt außerdem zu einer starken Unterdrückung des Immunsystems. Diese Nebenwirkung kann bei der Behandlung von Huntington-Patienten nicht toleriert werden, da die Patienten das Medikament über einen langen Zeitraum einnehmen müssten. Medikamente mit Nebenwirkungen, die etwa bei der kurzfristigen Behandlung von Krebs-Patienten akzeptiert werden können, sind für den lebenslangen Einsatz bei Huntington-Patienten einfach nicht geeignet. Mehrere Forschungsgruppen, darunter auch die Gruppe um David Rubinsztein sowie die Gruppe um Junying Yuan von der Harvard Medical School, haben an der Entwicklung von Autophagie-Medikamenten mit geringeren Nebenwirkungen gearbeitet.

Medikamente und Nervenzellen

Ein weiterer Punkt, der beachtet werden muss, wenn es um die Entwicklung von Medikamenten für Huntington-Patienten geht, ist dass es Nervenzellen sind, die behandelt werden müssen und dass diese sich stark von anderen Körperzellen unterscheiden. Während Blut- und Hautzellen nur einige Tage lang leben, müssen Nervenzellen ein Leben lang halten, da sie nicht mehr teilungsfähig sind. Wir besitzen praktisch stets dieselben Nervenzellen mit denen wir bereits geboren wurden und diese sind unersetzlich. Das heißt, Nervenzellen werden mit weitaus größeren Herausforderungen konfrontiert als andere Zellen. Ein Großteil der bisherigen Arbeiten über den Autophagie-Signalweg wurde an Haut- oder Krebszellen durchgeführt, die sich wahrscheinlich deutlich von Nervenzellen unterscheiden.

Aber Nervenzellen sind aufwendig und schwierig zu kultivieren, zudem verfügen nicht viele Forschungsgruppen über die notwendige Fachkenntnis. An dieser Stelle kommt Steve Finkbeiner von der University of California, San Francisco ins Spiel. Finkbeiner´s Team hat versucht herauszufinden, ob die Autophagie in Nervenzellen anders abläuft, als in anderen Zellen.

Wir besitzen nun eine Liste von Stoffen, die die Autophagie in Nervenzellen erhöhen können.

Sie verwendeten Nervenzellen von Mäusen, um auf schnelle Weise Autophagie-Moleküle in den richtigen Zellen untersuchen zu können. Der Prozess, bei dem eine Vielzahl an unterschiedlichen Substanzen auf eine bestimmte Wirkung hin durchgetestet werden, heißt Arzneimittel-Screening. Mit einer Substanz, von der die Forscher eine Zunahme der Autophagie erwarten (der Name der Substanz ist „10-NCP"), konnte bestätigt werden, dass sie in der Lage waren, den Anstieg der Autophagie in Nervenzellen zu messen.

Entwicklung von Medikamenten

Ausgehend von dem Molekül 10-NCP von dem bekannt war, dass es wirksam ist, führte Finkbeiner ein anspruchsvolles Arzneimittel-Screening zur Suche nach Molekülen mit ähnlicher Wirkung durch. Mit fundierten Vermutungen darüber, welche Teile des Stoffes den Anstieg der Autophagie verursachen könnten und durch das Screening von Substanzen mit ähnlicher Form, konnten die Forscher schließlich mit einer Liste von in Nervenzellen wirksamen Molekülen aufwarten.

Interessanterweise wurden für diese Studie auch Arzneimittel verwendet, die von der FDA bereits für verschiedenste Zwecke zugelassen sind. Durch den Einsatz bereits zugelassener Mittel spart man eine Menge Zeit, die sonst für die Entwicklung aufgewendet werden müsste. Diese Art der Forschung wird auch als translational bezeichnet, weil sie dazu beiträgt, Fortschritte in der Forschung in Behandlungsmöglichkeiten für Patienten umsetzen.

Das Resultat aus dieser Studie ist, dass wir nun eine Liste von Arzneimitteln besitzen, die die Autophagie in Nervenzellen erhöhen können. Diese Stoffe könnten wirksam zur Behandlung von Huntington beim Menschen sein oder auch nicht. Was Finkbeiner und sein Team gezeigt haben ist, dass die Stoffe so wirken, wie wir es uns wünschen, nämlich dass sie in Nervenzellen wirksam sind und dass bereits belegt wurde, dass sie sicher sind. Diese Ergebnisse verhelfen kommenden Studien, wenn sie denn durchgeführt werden, zu mehr Aussagekraft.

Die Autoren haben keinen Interessenkonflikt offenzulegen. Weitere Informationen zu unserer Offenlegungsrichtlinie finden Sie in unseren FAQ ...